Wo ein Prediger den Aufstand auslöste
Bei den Handwerkern in der Unterstadt fiel die Reformation auf fruchtbaren Boden. Hier hörte man die radikalsten Kanzelreden. Und der Rat war bald ziemlich machtlos
Als der Augustinermönch Martin Luther 1517 zu Wittenberg seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel publizierte, blieb sein Protest in der Kaufmannsstadt Augsburg nicht ohne Widerhall. Im Jahr 1518 hatte sich Luther dann auch hier auf dem Reichstag für seine Aufsässigkeit zu rechtfertigen. Unsere neue Serie, immer dienstags an dieser Stelle, verfolgt Luthers Spuren in Augsburg. Einen Aufstand für einen Prediger? Die Handwerker aus der Unterstadt wagten ihn. Am 6. August 1524 zogen sie aufgebracht vors Rathaus, damit der Ehrbare Rat sich unterstehe, den Franziskanerbruder Johannes Schilling von der Kanzel der Barfüßerkirche zu entfernen. Denn sie verehrten ihn als einen zweiten Johannes den Täufer, als Propheten voll heiligem Zorn und Strenge, der den Etablierten die Leviten las und Gerechtigkeit für die kleinen Leute forderte. Schilling habe „dapffer darauff gehauwen und die missbrauch strefflich angriffen“, berichtet der Chronist Clemens Sender. Deswegen habe er vor allen anderen Prädikanten allhie einen großen Zulauf von dem gemeinen Volk bekommen „und also in der gantzen statt ainen grosen Rueff erlanget“.
Ihn, den religiösen Revolutionär, versuchte der Rat auf stille Weise loszubringen, indem sie dem Franziskaner ein Stipendium
Luther in Augsburg
in Wittenberg anboten. Als das Rathaus dann vom protestierenden Volk belagert wurde, beeilte sich der Rat zu erklären, dass er Schilling nur zum Studium beurlaubt und keineswegs der Stadt verwiesen habe. Doch die Handwerker von der Barfüßer-Gemeinde, denen sich die Armen auch aus anderen Stadtteilen anschlossen, hatten längst weitere Forderungen nach Reformen: Papistische Prediger sollten in allen Kirchen der Stadt verboten werden, Geistliche nicht länger Immunität gegenüber städtischen Autoritäten genießen sowie Monopole und Ungelder, also Steuern, sofort abgeschafft werden.
So sehr spitzte sich die Situation zu, dass der Rat 300 bewaffnete Söldner einstellte und hart durchgriff. Hans Karg und Hans Spaisser wurden als Drahtzieher vor St. Peter am Perlach enthauptet, weitere sieben Weber inhaftiert und der Stadt verwiesen. Schillings Nachfolger sollte kein bisschen leiser auftreten: Michael Keller, der im Novem- 1524 berufen und fast 20 Jahre Prediger an der Barfüßerkirche war, gilt als einer der aggressivsten und radikalsten Reformatoren in Augsburg. „Er ist von Luzifer selbst in die Stadt geschickt worden (...) um das dort fröhlich aufblühende Evangelium zu schädigen“, empörte sich sein Kollege Kaspar Huber im Streit um das Verständnis vom Abendmahl, der 1525 heftig tobte.
Auch einen Bildersturm inszenierte Keller am 14. März 1529 in der Barfüßerkirche. Nach einer Predigt gegen die Anbetung der Heiligen zerschlug er zusammen mit dem Barfüßermönch Marcus Reim, ei- nem Zimmermann, und Sigmund Welser – immerhin ein Mitglied der städtischen Wirtschaftselite – ein schönes, großes Kruzifix am Altar und forderte diejenigen, die davon Reliquien wollten, auf, mit einem Sack zu kommen, er wolle ihnen pfundweise Trümmer des „verbotenen Holzes“schenken. Der Rat knirschte mit den Zähnen, aber gegen Prädikant Keller wagte die Obrigkeit offenbar aus Furcht vor dem Volk nichts zu unternehmen.
Keller provozierte munter weiter und drohte am 24. Juni 1529, priesterliche Messgewänder aus Protest gegen die papistische Messe öffentber lich in der Barfüßerkirche zu begraben. Den Leuten gefiel die Respektlosigkeit, der Prediger war schlagfertig, witzig, derb und allzeit verständlich. Kellers rhetorische Fähigkeit sicherte ihm auch direkten Zugang zu führenden Politikern.
Die Barfüßerkirche, in der sich bereits 1522 der zur neuen Lehre übergegangene Dompfarrer Johannes Grießbeutel verehelichte, wurde zum zentralen Ort bei der Gestaltung der reformatorischen Kirchenordnung. In der Stadt kursierte ein geflügeltes Wort: „Bet den Abgott Zu den Barfüßern an, so wirst du gut Platz in Augsburg han.“