Deutschland muss die fetten Zeiten nutzen
Das Land erlebt schon das fünfte Aufschwung-Jahr. Doch Selbstzufriedenheit ist gefährlich. Der Erfolg kann brüchig werden. Jetzt sind Reformen dringend notwendig
Deutschland ist ein TrotzLand, ein ökonomischer Trotzkopf: Trotz des harten Brexits setzt sich der Aufschwung im fünften Jahr fort. Trotz der protektionistischen Drohungen Trumps geht es für heimische, stark vom Export abhängige Unternehmen meist weiter bergauf. Und trotz immer neuer Terroranschläge und trotz des Risikos, dass Populisten in Frankreich sowie Italien weiter an Einfluss gewinnen, bleibt das Land wundersam auf Wachstumskurs.
Die Trotz-Liste ließe sich lange fortsetzen und findet ihre Bestätigung im neuen Gutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute. Dafür, dass Deutschland von reichlich Risiken umzingelt ist, erlebt das Land fette wirtschaftliche Zeiten. Die Arbeitslosenrate geht wohl weiter zurück. Es können noch mehr Jobs entstehen, jedenfalls solange es Firmen hierzulande gelingt, den Globalisierungs-Siegeszug fortzusetzen. Zwar schwächeln Märkte wie Russland wegen des Embargos. Heimische Unternehmen gleichen diese Einnahmeausfälle aber in wieder stabileren europäischen Ländern aus. Die enorme angriffslustige Raffinesse – in der Fußballersprache könnte man von einem intelligenten Umschaltspiel sprechen – ist das wahre Erfolgsgeheimnis unserer Industrie.
Deutschland hat nicht nur hervorragende Facharbeiter und Ingenieure, sondern auch weltgewandte, mehrsprachige Vertriebsprofis. Die eloquenten Spezialisten schwärmen selbstbewusst aus und ergattern Auftrag um Auftrag. Ob es um Laser-Schneidmaschinen von Trumpf oder Roboter von Kuka geht – diese Produkte sind rund um den Globus gefragt. Französische Konkurrenten verstehen sich nicht derart gut auf das Zusammenspiel von Hightech und PowerMarketing. Zu lange glaubten die Eliten der Grande Nation, die Welt müsse zu ihnen, ja ihren Produkten pilgern – und Geschäfte auch noch auf Französisch abwickeln. Währenddessen waren mehrsprachige und hungrige deutsche Verkäufer in aller Welt unterwegs. Dabei schrecken sie vor politischen Problemländern wie dem Iran nicht zurück. Dort ist die deutsche Wirtschaft präsent, auch wenn wirklich große Geschäfte vielleicht erst in zehn Jahren locken.
Doch die fetten deutschen Jahre währen nicht ewig. Im Überschwang des Erfolgs schleichen sich schlechte Angewohnheiten ein. In der Summe kann sich das in Zeiten einer Rezession verheerend auswirken. Alle Trotzköpfigkeit und Weltgewandtheit würde verpuffen. Dann erweist es sich gerade für einen stark von der Produktion abhängigen Wirtschaftsraum wie Süddeutschland als nachteilig, dass die Lohnstückkosten im internationalen Vergleich zu hoch sind. Ist auch noch die Europäische Zentralbank mit ihrem Nullzins-Latein am Ende, wird es rasch brenzlig. Schon 2019 könnte die EZB gezwungen sein, die Zinsen zu erhöhen. Die US-Zentralbank macht das bereits vor, was die Euro-Notenbanker unter Zugzwang setzt. Geht nach Zinserhöhungen die Politik des billigen Geldes zu Ende, geraten chronische Schuldensünder wie Italien in Not. Eine neue Eurokrise wäre somit greifbar nahe. Wenn parallel auch noch China schwächelt, wird es schwerer für Deutschland, mit kreativem Angriffsspiel anderweitig notwendige Tore zu erzielen.
Deshalb ist es so wichtig, die fetten Jahre zu nützen, um Unternehmen und Beschäftigte zu stärken. Dazu gehören höhere Investitionen in Bildung, um bei der Revolution der Digitalisierung vorne mitzuspielen. Wer die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter fördern will, kommt um eine Steuerreform nicht herum. Vor allem Bezieher mittlerer Einkommen müssen entlastet werden. Das Land braucht eine Agenda 2025. Der Reformdruck ist in guten Zeiten aber leider gering.
Das Land braucht eine Agenda 2025