Ein Bekenntnis zur Versöhnung – und noch mehr
Die Städtepartnerschaft zwischen Bobingen und Aniche besitzt gerade im heutigen Europa eine wichtige Strahlkraft. Die Ideale von einst sind noch immer aktuell, aber nicht immer jedem bewusst
Bobingen Ist eine Städtepartnerschaft in unserer schnelllebigen und globalen Zeit überhaupt noch zeitgemäß? Waltraut Wellenhofer muss nicht lange nachdenken. Auch heute gelte es, gerade wegen der Globalität, partnerschaftliche Beziehungen über Staatsgrenzen hinweg zu festigen und zu vertiefen, bekräftigt sie.
Die ehemalige Studienrätin an der Realschule Bobingen ist Vorsitzende der Vereinigung Freunde von Aniche. In den letzten Jahrzehnten hat sie mit viel Engagement die Städtepartnerschaft zwischen Bobingen und dem französischen Aniche und dem damit verbundenen jährlichen Jugendaustausch vorangetrieben.
Im Mittelpunkt der Partnerschaft stehen – ohne Wenn und Aber – die Begegnungen von Mensch zu Mensch. Und das, obwohl über 800 Kilometer zwischen den beiden Kommunen liegt. Gerade für Jugendliche sei es wichtig, aus der gewohnten Wohlfühlzone herauszukommen und eine andere Kultur kennenzulernen, sagt der Jugendpfleger der Stadt Bobingen, Ralf Eberle. Der Jugendaustausch bilde eine Basis zum besseren Verständnis, zum gemeinsamen Miteinander und Abbau von Vorurteilen.
Die Partnerschaft hat mehrere „Väter“
Die Faszination dieser Fahrten liegt auf der Hand: Die Teilnehmer wohnen nicht in Hotels oder Jugendherbergen, sondern bei Familien zu Hause und genießen dort deren Gastfreundschaft. Bürgermeister Bernd Müller nennt diese Begegnungen den „Kern“der Städtepartnerschaft.
Begründet wurde das Miteinander bei der Stadterhebung des damaligen Marktes Bobingen im Jahr 1969. Was Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Kon- Adenauer mit der Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags initiiert hatten, führten die Bobinger und die Anichois beim Erhalt der Stadtrechte fort. Mit dem damaligen Schritt zum aktiven Bekenntnis einer fundierten Partnerschaft ging Bobingen als eine der ersten Städte in Bayern diesen Zusammenschluss ein. Alle großen Bewegungen gehen von engagierten Menschen aus. Im Falle der Städtepartnerschaft war es der Bürgermeister von Aniche, François Longelin. Als Kriegsgefangener wurde er der Familie Füchsle zur Arbeit im landwirtschaftlichen Anwesen Gnadenbauer an der Lindauer Straße in Bobingen zugeteilt. Schnell fand er dort Familienanschluss. Als er in den 1960er-Jahren – zwischenzeitlich war er Gemeindeoberhaupt von Aniche – seine einstigen Arbeitgeber besuchte, entwickelte sich zwischen ihm und dem damaligen Bobinger Rathauschef Alois Häring und dem gut Französisch sprechenden Albert Amann eine Freundschaft, die schließlich zur Partnerschaft der beiden Städte führte. Longelin übte sein Amt bis März 1971 aus. Im September 1986 verstarb er 72-jährig.
Eine gute Städtepartnerschaft zeichne sich durch echtes gegenseitiges Interesse aus, hatte Longelin einmal bekundet. Für ihn war die vorurteilsfreie Begegnung und offene Kommunikation das A und O. Letztere sei nicht nur an Sprache gebunden, erklärte er wiederholt. Sie sei vielmehr eine Frage des Herzens.
Hinter jedem Bisou steckt eine persönliche Geschichte
So ist zwischen den beiden Kleinstädten eine unkomplizierte Freundschaft gewachsen. Sie wird vor allem von den Menschen getragen. Dabei hat sich die Partnerschaft schon früh von der Politik emanzipiert. Vereine, Kulturschaffende und Privatpersonen beleben sie bis heute mit vielen Aktionen und Aktivitäten. Engagiert tragen sie entscheidend dazu bei, dass „Amitié“– ein weiterer französischer Begriff für Städterad freundschaft – vor Ort einen besonderen Stellenwert einnimmt.
Wie wichtig die erfolgreiche Partnerschaft jedoch auch auf politischer Ebene ist, zeigt das Jahr 2009. Anlässlich des 40. Jahrestags bekräftigten Aniches damaliges Stadtoberhaupt Michel Meurdesoif und sein Bobinger Kollege Bernd Müller die Vereinbarung der Städtepartnerschaft erneut im Rahmen eines Festakts in der Singoldhalle. Dabei wurde der Kulturpreis der Stadt Bobingen an Waltraud Wellenhofer und Jocelyne Bizé, der Präsidentin des Anicher Vereins für internationale Kontakte, AADEI, verliehen.
Heute ist die Städtepartnerschaft – nicht zuletzt auch durch die neuen und einfachen Kommunikationswege – mit viel Leben, Empfindungen und Gefühlen gefüllt. Zahlreiche Beziehungen und Freundschaften haben sich daraus entwickelt. Hinter jedem „Bisou“(Küsschen) und jeder vergossenen Träne beim Abschied stehe mittlerweile eine ganz persönliche Geschichte, sagt Waltraud Wellenhofer. „Durch die vielen deutsch-französischen Partnerschaften ist ein Stück Frieden zwischen den beiden Ländern geschaffen worden“, resümiert sie. Ein Mosaiksteinchen dazu hätten auch die Bürger von Bobingen und Aniche beigetragen, freut sie sich.
Auch wenn die Bedeutung von Städtepartnerschaften nicht mehr jedem bewusst ist, in Zeiten von wirtschaftlicher und politischer Abschottung mancher Staaten sei die verbindende Freundschaft wichtig wie eh und je.