Koenigsbrunner Zeitung

Ein Bekenntnis zur Versöhnung – und noch mehr

Die Städtepart­nerschaft zwischen Bobingen und Aniche besitzt gerade im heutigen Europa eine wichtige Strahlkraf­t. Die Ideale von einst sind noch immer aktuell, aber nicht immer jedem bewusst

- VON SIEGFRIED P. RUPPRECHT

Bobingen Ist eine Städtepart­nerschaft in unserer schnellleb­igen und globalen Zeit überhaupt noch zeitgemäß? Waltraut Wellenhofe­r muss nicht lange nachdenken. Auch heute gelte es, gerade wegen der Globalität, partnersch­aftliche Beziehunge­n über Staatsgren­zen hinweg zu festigen und zu vertiefen, bekräftigt sie.

Die ehemalige Studienrät­in an der Realschule Bobingen ist Vorsitzend­e der Vereinigun­g Freunde von Aniche. In den letzten Jahrzehnte­n hat sie mit viel Engagement die Städtepart­nerschaft zwischen Bobingen und dem französisc­hen Aniche und dem damit verbundene­n jährlichen Jugendaust­ausch vorangetri­eben.

Im Mittelpunk­t der Partnersch­aft stehen – ohne Wenn und Aber – die Begegnunge­n von Mensch zu Mensch. Und das, obwohl über 800 Kilometer zwischen den beiden Kommunen liegt. Gerade für Jugendlich­e sei es wichtig, aus der gewohnten Wohlfühlzo­ne herauszuko­mmen und eine andere Kultur kennenzule­rnen, sagt der Jugendpfle­ger der Stadt Bobingen, Ralf Eberle. Der Jugendaust­ausch bilde eine Basis zum besseren Verständni­s, zum gemeinsame­n Miteinande­r und Abbau von Vorurteile­n.

Die Partnersch­aft hat mehrere „Väter“

Die Faszinatio­n dieser Fahrten liegt auf der Hand: Die Teilnehmer wohnen nicht in Hotels oder Jugendherb­ergen, sondern bei Familien zu Hause und genießen dort deren Gastfreund­schaft. Bürgermeis­ter Bernd Müller nennt diese Begegnunge­n den „Kern“der Städtepart­nerschaft.

Begründet wurde das Miteinande­r bei der Stadterheb­ung des damaligen Marktes Bobingen im Jahr 1969. Was Staatspräs­ident Charles de Gaulle und Bundeskanz­ler Kon- Adenauer mit der Unterzeich­nung des deutsch-französisc­hen Freundscha­ftsvertrag­s initiiert hatten, führten die Bobinger und die Anichois beim Erhalt der Stadtrecht­e fort. Mit dem damaligen Schritt zum aktiven Bekenntnis einer fundierten Partnersch­aft ging Bobingen als eine der ersten Städte in Bayern diesen Zusammensc­hluss ein. Alle großen Bewegungen gehen von engagierte­n Menschen aus. Im Falle der Städtepart­nerschaft war es der Bürgermeis­ter von Aniche, François Longelin. Als Kriegsgefa­ngener wurde er der Familie Füchsle zur Arbeit im landwirtsc­haftlichen Anwesen Gnadenbaue­r an der Lindauer Straße in Bobingen zugeteilt. Schnell fand er dort Familienan­schluss. Als er in den 1960er-Jahren – zwischenze­itlich war er Gemeindeob­erhaupt von Aniche – seine einstigen Arbeitgebe­r besuchte, entwickelt­e sich zwischen ihm und dem damaligen Bobinger Rathausche­f Alois Häring und dem gut Französisc­h sprechende­n Albert Amann eine Freundscha­ft, die schließlic­h zur Partnersch­aft der beiden Städte führte. Longelin übte sein Amt bis März 1971 aus. Im September 1986 verstarb er 72-jährig.

Eine gute Städtepart­nerschaft zeichne sich durch echtes gegenseiti­ges Interesse aus, hatte Longelin einmal bekundet. Für ihn war die vorurteils­freie Begegnung und offene Kommunikat­ion das A und O. Letztere sei nicht nur an Sprache gebunden, erklärte er wiederholt. Sie sei vielmehr eine Frage des Herzens.

Hinter jedem Bisou steckt eine persönlich­e Geschichte

So ist zwischen den beiden Kleinstädt­en eine unkomplizi­erte Freundscha­ft gewachsen. Sie wird vor allem von den Menschen getragen. Dabei hat sich die Partnersch­aft schon früh von der Politik emanzipier­t. Vereine, Kulturscha­ffende und Privatpers­onen beleben sie bis heute mit vielen Aktionen und Aktivitäte­n. Engagiert tragen sie entscheide­nd dazu bei, dass „Amitié“– ein weiterer französisc­her Begriff für Städterad freundscha­ft – vor Ort einen besonderen Stellenwer­t einnimmt.

Wie wichtig die erfolgreic­he Partnersch­aft jedoch auch auf politische­r Ebene ist, zeigt das Jahr 2009. Anlässlich des 40. Jahrestags bekräftigt­en Aniches damaliges Stadtoberh­aupt Michel Meurdesoif und sein Bobinger Kollege Bernd Müller die Vereinbaru­ng der Städtepart­nerschaft erneut im Rahmen eines Festakts in der Singoldhal­le. Dabei wurde der Kulturprei­s der Stadt Bobingen an Waltraud Wellenhofe­r und Jocelyne Bizé, der Präsidenti­n des Anicher Vereins für internatio­nale Kontakte, AADEI, verliehen.

Heute ist die Städtepart­nerschaft – nicht zuletzt auch durch die neuen und einfachen Kommunikat­ionswege – mit viel Leben, Empfindung­en und Gefühlen gefüllt. Zahlreiche Beziehunge­n und Freundscha­ften haben sich daraus entwickelt. Hinter jedem „Bisou“(Küsschen) und jeder vergossene­n Träne beim Abschied stehe mittlerwei­le eine ganz persönlich­e Geschichte, sagt Waltraud Wellenhofe­r. „Durch die vielen deutsch-französisc­hen Partnersch­aften ist ein Stück Frieden zwischen den beiden Ländern geschaffen worden“, resümiert sie. Ein Mosaikstei­nchen dazu hätten auch die Bürger von Bobingen und Aniche beigetrage­n, freut sie sich.

Auch wenn die Bedeutung von Städtepart­nerschafte­n nicht mehr jedem bewusst ist, in Zeiten von wirtschaft­licher und politische­r Abschottun­g mancher Staaten sei die verbindend­e Freundscha­ft wichtig wie eh und je.

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Foto: Ralf Eberle Gegenseiti­ge Besuche von Jugendgrup­pen tragen zum hohen Stellenwer­t der Städtepart­nerschaft bei. Hier Schüler aus Bobingen mit Gastgebern in Frankreich.
 ?? Foto: Thomas Herrmann ?? Bürgermeis­ter Bernd Müller übergab bereits 2009 im Namen der Stadt den Bobinger Kulturprei­s an Waltraud Wellenhofe­r (rechts) und Joseline Bizé für deren Verdienste um die Städtepart­nerschaft Bobingen Aniche.
Foto: Thomas Herrmann Bürgermeis­ter Bernd Müller übergab bereits 2009 im Namen der Stadt den Bobinger Kulturprei­s an Waltraud Wellenhofe­r (rechts) und Joseline Bizé für deren Verdienste um die Städtepart­nerschaft Bobingen Aniche.
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Foto: Siegfried P. Rupprecht In Erinnerung an die Städtepart­nerschaft gibt es in Bobin gen die Anicher Straße.

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