Ab in den Urlaub
Nach dem WM-Aus gegen Titelverteidiger Kanada hat sich die deutsche Nationalmannschaft in alle Winde zerstreut. Vorher wurde noch Bilanz gezogen
Köln Philipp Grubauer ist geschafft. Schweißperlen tropfen von der Nasenspitze und aus dem Bart auf das Mikrofon der Radio-Reporterin, während der Torwart im Bauch der Lanxess-Arena das Spiel und die Weltmeisterschaft aufarbeitet. „Am Anfang waren wir zu nervös und haben erst spät ins Spiel gefunden“, sagt der überragende Schlussmann. Mit 1:2 hat seine Mannschaft das Viertelfinale gegen Kanada verloren und ist aus dem Turnier ausgeschieden. Mitten im Feuer stand der gebürtige Rosenheimer und erzählt danach, dass er froh sei, 50 Schüsse bekommen zu haben. Typisch verrückter Torwart, denkt man im ersten Moment, doch die Erklärung des Keepers der Washington Capitals leuchtet ein: „Wirklich schwierig sind die Spiele, in denen du nur zehn Schüsse bekommst. Da musst du vom Kopf her stark sein.“
48 Mal reagierte der Schlussmann großartig und ließ nur die Versuche von Mark Scheifele und Jeff Skinner passieren. Die Fangquote von 96 Prozent ist überdurchschnittlich gut. Es reichte dennoch nicht zum Sieg, weil mehr als der 1:2-Anschlusstreffer von Yannic Seidenberg nicht gelang. Das Viertelfinale war, wie schon bei der letztjährigen Eishockey-WM in Russland, Endstation. Die deutsche Nationalmannschaft hatte es zwar wieder unter die besten acht Nationen geschafft, aber um die Großen zu ärgern, reichte es nicht.
Warum, das erklärt „der beste Verteidiger des Turniers“, wie Bundestrainer Marco Sturm seinen einstigen Mannschaftskollegen Dennis Seidenberg bezeichnet: „Wir haben nicht konsequent genug im Aufbau gespielt. Die Konzentration hätte besser sein können, über das ganze Turnier hinweg“, sagt der 35-Jährige, der mit Abstand die meiste Eiszeit in der deutschen WM–Mannschaft hatte. Seidenberg, der sieben Vorlagen gab und ein Tor schoss, Kapitän Christian Ehrhoff und Stürmer Leon Draisaitl wurden nach dem WM-Aus als die drei besten deutschen Turnierspieler ausgezeichnet.
Alle drei setzten sich jenseits des Atlantiks durch. Seidenberg (831 NHL-Einsätze) und Ehrhoff (789) blicken auf lange Karrieren in der nordamerikanischen Profiliga zurück. Dem 21-jährigen Jungstar Draisaitl von den Edmonton Oilers wird eine große Zukunft vorhergesagt. Was den meisten anderen Nationalspielern aus dem Alltag in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) fehlt, sagt Sturm in seiner WMAnalyse: „Es passiert zu oft, dass der ein oder andere andere Wege geht, als es verlangt ist. Das hat auch mit der Liga etwas zu tun.“Kanadier, Russen, Finnen und Schweden werden tagtäglich in der NHL gefordert. „Bei uns ist das leider nicht so. Das ist der große Unterschied“, erklärt Sturm. Deshalb verpasste der WM-Gastgeber den Halbfinal-Einzug, der bei der vorhergehenden Heim-WM 2010 noch geglückt war.
Mit dem Endresultat kann der Bundestrainer gut leben: „Am Schluss war es eine gute Weltmeisterschaft. Wir haben uns gesteigert, die beiden letzten Spiele waren unsere besten.“
Mit der Arbeit seines wichtigsten Angestellten ist Verbands-Präsident Franz Reindl mehr als einverstanden. „Er ist einfach ein Top-Bundestrainer, der seine Spuren hinterlässt und überall gut ankommt, vor allem bei den Spielern.“Sturms Vertrag endet nach der WM 2018 in Dänemark. Bereits in diesem Sommer will Reindl, der Sturm 2015 als seinen Wunschkandidaten aus dem Hut gezaubert hatte, mit dem Coach über eine Vertragsverlängerung verhandeln.
Am Tag nach dem WM-Aus zerstreute sich die Mannschaft in alle Richtungen. Jeder will nach einer langen Saison mit bis zu 80 Partien in den Knochen nur nach Hause. Philipp Grubauer hat allerdings auch die nächste Saison bereits im Kopf. „Im Sommer werde ich wieder nach Amerika abhauen“, formuliert der Rosenheimer salopp. Der Schlussmann der Washington Capitals will noch besser werden, er will im Klub nicht mehr Ersatzmann sein wie zuletzt. In der Nationalmanschaft ist Grubauer schon die Nummer eins. Aber das ist auch leichter, als sich in der NHL durchzusetzen.