Verrückt nach Glück
Früher haben wir unser Schicksal den Göttern anvertraut. Heute kämpfen wir in einer Art Leistungssport darum, die Gunst des Lebens zu gewinnen. Aber macht das wirklich Sinn? Und was ist Glück überhaupt?
Selten war Glück so gesucht wie heute. Sogar einen Glücksatlas, der zeigt, wo in der Republik die glücklichsten Deutschen leben, wird jährlich aufgelegt. Die Deutsche Post lässt ihn einmal im Jahr als repräsentative Studie erheben. Ratgeberliteratur zum Thema füllt ganze Regale in Bibliotheken und Buchhandlungen und verspricht, dem Leser den Weg zum großen Glück zu weisen. Der aus Billenhausen bei Krumbach stammende Philosoph Professor Wilhelm Schmid deutet dieses Phänomen als regelrechte „Glückshysterie“. Und der Mann sollte es wissen, denn er hat quasi ein Standardwerk zum Thema Glück („Glück: Alles, was Sie darüber wissen müssen, und warum es nicht das Wichtigste im Leben ist“) verfasst.
All der Trubel zeigt also schon einmal: Glücklich zu sein ist offenbar kein gar so einfaches Unterfangen. Und die, die verbissen danach streben, finden es offenbar leider am allerwenigsten. Wobei wir schon mitten in der Diskussion wären.
Bei vielen Menschen herrscht noch immer die Meinung vor, dass man sich nur genügend anstrengen muss, um glücklich zu sein. Experten rücken dieses Phänomen in einen engen Zusammenhang mit der Leistungsgesellschaft. Dort gilt das Motto: Wenn ich nur lange genug diszipliniert um das Glück ringe, werde ich es auch bekommen. Doch das ist Unsinn.
Bei Licht betrachtet, steckt hinter dieser Art modernen Glücks-Leistungssports eine gewisse Unbarmherzigkeit. Denn im Umkehrschluss heißt das: „Jeder ist selbst schuld, wenn er unglücklich ist – er strengt sich eben nicht genügend an“, behauptet Annegret Braun vom Institut für Volkskunde der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Die Lehrbeauftragte hat sich mit dem Thema Alltagsglück bereits intensiver befasst. Die Leute glauben: „Ich habe alles im Griff, ich muss es nur richtig anstellen“, sagt Braun. Daraus lasse sich jedoch auch folgern: Wer mit all seiner Kraft nach dem Glück strebt und es doch nicht findet, der kann bitter enttäuscht und unglücklich werden.
Um glücklich sein zu können, sollte man erst einmal wissen, um welchen Gemütszustand es sich dabei überhaupt handelt. Der Schwabe Schmid weiß da weiter. Er unterscheidet drei Arten von Glück.
Das Zufallsglück, ein Glück, das den Menschen unvermutet zufällt und günstig für sie ausfällt, zum Beispiel ein Lottogewinn. Schmid bezeichnet das Zufallsglück nicht als reine Schicksalsfügung. Er geht davon aus, dass wir aber mit einer positiven Einstellung das Zufallsglück beeinflussen – weil wir es nur so erkennen können. Schmid nennt das „das Schmetterlingsnetz bereithalten“. Wer nie Lotto spielt, hat auch keine Aussichten auf einen Lottogewinn. Oder wer auf den Zufall einer Begegnung, Erfahrung oder Information hoffe, tut gut daran, dies anderen mitzuteilen. Nur so könne man das Glück kitzeln, ihm eine Chance geben, sagt Schmid. Aber mehr dazutun, kann man nicht.
Nach Ansicht des Philosophen gibt es aber viele, die Zufallsglück haben und gar nicht gut damit zurechtkommen. Manche Lottospieler beispielsweise. Wenn sie etwas gewonnen haben und leichtfertig damit umgehen, seien sie die Millionen gleich wieder los. Das Zufallsglück könnte man also wie eine eigenwillige Katze sehen, die sich nicht drängen lässt. Das lässt sich schon eher bei der nächsten Kategorie bewerkstelligen: das Wohlfühlglück.
Im allgemeinen Streben nach Glück versteht Wilhelm Schmid das Gefühl, dass es einem gut geht: Gesund sein, sich wohlfühlen, Spaß haben, angenehme Erfahrungen machen, Erfolg haben. Kurz: All das erleben, was für uns als positiv besetzt gilt. Das Problem: „Wohlfühlglück erfahren wir nur momentweise“, sagt Schmid. Andererseits kann ein Mensch mit ein bisschen Erfah- rung daran arbeiten, Tag für Tag Glücksmomente wie eine duftende Tasse Kaffee (für Schmid ist das ein Espresso täglich in einem Café) in sein Leben einzubauen.
Weil es zwischen unseren kleinen und größeren Glücksmomenten den schnöden grauen Alltag gibt, sind die meisten von uns neidisch auf andere, bei denen das anders erscheint. Denn insbesondere die Schönen, Reichen und Berühmten haben offensichtlich das permanente Wohlgefühl gepachtet. Immer irgendwo durch die Welt jetten, an großartigen Stränden planschen, in glamourösen Villen leben, die schönsten Partner lieben. Dass diese Leute glücklicher sind als wir Normalverbraucher, halten Glücksexperten für Unsinn. In Wahrheit würden viele Prominente nur eine Meisterschaft darin entwickeln, schlechtere Zeiten vor fremden Augen zu verbergen.
In den Bereich des Wohlfühlglücks fallen auch die Themen Karriere, Liebe und Kinder. Aber machen sie auch wirklich glücklich? Die Münchner Forscherin Annegret Braun meint: „Es ist erst einmal ein schönes Gefühl, wenn man durch einen Karriereschritt Anerkennung für seine Arbeit bekommt. Karriere ist aber meist damit verbunden, dass man auch mehr Zeit investieren muss und dass man unter Druck gerät – und das macht auf Dauer eher wieder unglücklich.“
Außerdem gewöhne man sich an diesen Erfolg, und damit sei er nichts Besonderes mehr. Gleiches gilt auch für Geld oder materielle Anschaffungen wie Autos oder Jachten. Sie verlieren schnell an Glücksglanz. Der Neid anderer auf Reiche wachse, und bei keiner Beziehung sei nicht mehr sicher, ob sie der Person oder dem Geld gelte, sagt auch Schmid. Das sei Gift für Partnerund Freundschaften, die doch so wichtig sind für den Lebenssinn.
Und was ist nun mit der Liebe, die Romantikern zufolge als das größte der Glücksgefühle gilt? In der modernen Glücksforschung ist man inzwischen davon überzeugt, dass der Glaube, man habe ein Recht auf eine glückliche Liebesbeziehung, ziemlich naiv ist. „Partnerschaften waren früher nicht besser – aber die Erwartungen waren anders“, sagt Braun. Heute würden Partner mehr als früher unter einer unglücklichen Beziehung leiden, weil sie erwarteten, glücklich zu sein. Auch Schmid sagt: „Wer glaubt, Beziehungen müssten einem nur Glück bescheren, der sollte es lieber gleich sein lassen.“Beziehung sei Sauna. Da schwitze man ordentlich, dann gebe es wieder eine kalte Dusche und hinterher fühle man sich wieder wohl. „Aber in Beziehungen muss man auch durch die Wüste gehen“, weiß Schmid.
Ähnliches gilt im nächsten Fall: In Befragungen sagen viele Leute, dass ihre Kinder sie glücklich machten. Das ist nach einhelliger Meinung der Forschung natürlich auch richtig. Wenn ein Kind lacht oder sich an die Eltern kuschelt, sei das ein großer Glücksmoment. Aber diese Augenblicke seien mit viel Arbeit und Stress verbunden, die wiederum nicht immer glücklich machten, wenn etwa Babys immerzu schreien: Amerikanische Forscher haben den Tagesablauf von Hausfrauen protokolliert und untersucht, wobei sie Glück empfinden. Ganz oben auf der Liste standen Gespräche mit Freundinnen und Einkaufen. Kinderbetreuung stand unten bei Wäschewaschen.
Den permanenten Glücksrausch gibt es sowieso nicht. Sinnvoll sei daher grundsätzlich nicht die Maximierung, sondern die Optimierung, um das beste Maß zu finden, sagt Schmid. Das Glück in einer Art von Dauerlust zu suchen, erscheint auch ihm als der sicherste Weg, unglücklich zu werden.
Wer glücklich werden will, muss nach Ansicht des Philosophen Schmid das Glück auf eine andere Weise suchen. Er empfiehlt das Glück der Fülle: Es umfasst immer auch die andere Seite, das Unangenehme, das Schmerzliche und Negative, mit dem man zurechtzukommen hat. Es ist eine geistige Haltung zum Leben, die anerkennt, dass diese Seite ebenso wichtig ist.
Denn das Leben fordert seine Gegensätzlichkeit und Widersprüchlichkeit, die sich in allen Dingen und Erfahrungen zeigt. „Das Glück der Fülle ist umfassender und dauerhafter als jedes Zufalls- und Wohlfühlglück“, meint Schmid. Es sei nicht abhängig von günstigen oder ungünstigen Zufällen. Es sei die immer aufs Neue zu findende Balance in allen Widersprüchen des Lebens. Dazu gehören nicht nur Gelingen, sondern auch Misslingen; nicht nur Erfolg, sondern auch Misserfolg; nicht nur Lust, auch Schmerz; nicht nur Gesundheit, auch Krankheit. Nicht nur erfüllte, sondern auch leere Tage, die als langweilig empfunden würden. Hundert leere Tage sind laut Schmid vollkommen gerechtfertigt für einen einzigen „mit überbordender Fülle“.
„Keine der Glücksarten ist verzichtbar, das dritte Glück aber ist das einzige, das dauerhaft sein kann“, sagt Schmid. Es sei eine Lebenshaltung, die alles einbeziehe, was die Fülle des Lebens ausmache. Eine heitere Gelassenheit, die wisse, dass Höhen und Tiefen sich abwechselten wie Tag und Nacht.
Und dann gibt es noch eine weitere Kategorie des Glücks, die man dort gar nicht vermutet: das Glück des Unglücklichseins. Schmid empfiehlt, im Leben auch der Melancholie einen gewissen Platz einzuräumen. Diese bewahre in sich eine Ahnung davon, wie brüchig alles sei, was Menschen schaffen. Wie nichtig die menschliche Existenz selbst sei, und dass ihr der Boden jederzeit unter den Füßen weggezogen werden könne. Sinnvolle Möglichkeiten, seiner Melancholie Raum zu geben, sieht der Philosoph unter anderem in der Pflege eines Gartens. Der symbolisiere mit seinem Werden und Vergehen von Natur die verschiedenen Zeiten.
Glück sei nicht das Wichtigste im Leben, sagt Schmid darum. Wichtiger sei der Sinn. Da gebe es zwar Überschneidungen, aber Sinn ist für ihn eine andere Dimension: „Die Menschen suchen heutzutage eigentlich nach Sinn. Weil sie diesen aber nicht so richtig greifen können, bezeichnen sie es als Glück.“
Das Zufallsglück ist wie eine eigenwillige Katze, die sich nicht drängen lässt Kinder machen glücklich? Forscher sind da nicht so sicher