Polizist versagt – und erstreitet ein mildes Urteil
Ein 16-Jähriger wird von mehreren Jugendlichen bedroht und später brutal verprügelt. Doch der Beamte am Notruftelefon wimmelt ihn mit einer Lüge einfach ab. Wie die Justiz mit einem Zickzackkurs das Opfer enttäuscht
Augsburg Er war in einer Notlage, und er hat alles richtig gemacht. Eigentlich. Johannes N.*, 16, wählt von seinem Handy aus die 110, als er Ende März vorigen Jahres auf dem Skateplatz in Stadtbergen von mehreren Jugendlichen bedroht wird. Sein Freund ist bereits zusammengeschlagen worden, nun drohen die Angreifer auch ihm Prügel an. Als ein Polizist den Notruf entgegennimmt, nennt er seinen vollen Namen. Er erklärt, wo er ist und er schildert die Situation. Heute weiß er: Er war zu höflich. Der Notrufbeamte nahm ihn nicht ernst. Er wurde brutal verprügelt, weil die Einsatzzentrale keine Streife schickte.
Johannes N. erzählt, sein Vertrauen in die Polizei habe dadurch massiv gelitten. „Da braucht man sie einmal“, sagt er. „Und dann helfen sie einem einfach nicht.“Inzwischen liegt der Fall mehr als ein Jahr zurück. Drei Mal musste der Jugendliche seither als Zeuge vor Gericht aussagen. Zuletzt an diesem Montag vor dem Landgericht, wo zum zweiten Mal gegen den Notruf- aus der Einsatzzentrale der Polizei verhandelt worden ist. Vom Ergebnis sind der heute 17-Jährige und seine Eltern enttäuscht. Der Polizeibeamte kommt am Ende mit einer Geldstrafe von 3000 Euro davon. Das ist weniger als ein NettoMonatsgehalt des Oberkommissars. Die Strafe liegt mit 50 Tagessätzen zu je 60 Euro deutlich unter der Grenze, ab der sie ins Führungszeugnis kommt. Die Zahl der Tagessätze entspricht der Zahl der Tage, die ein Verurteilter in Haft absitzen muss, falls er die Strafe nicht zahlt.
Richter Christoph Bauer äußert die Hoffnung, dass Johannes N. sein Vertrauen in den Rechtsstaat wiedergewonnen habe – durch die Aufarbeitung des Falles vor Gericht. Doch danach sieht es nicht aus. Das Gegenteil ist der Fall. Er und seine Eltern sind nach dem Prozess spürbar enttäuscht, dass der Rechtsstaat gegenüber dem Beamten so viel Milde walten lässt. Johannes N. wurde von drei Jugendlichen mit Fäusten und Füßen traktiert. Sie trafen auch seinen Kopf und hörten nicht auf, als er zu Boden ging. Er erlitt Prellungen an Kopf und Oberkörper, hatte ein blaues Auge, blaue Flecken und Schürfwunden. Wochenlang litt er unter Schmerzen.
Was für das Opfer schwer nachvollziehbar ist: Die Staatsanwaltschaft wechselte gleich mehrfach ihre Ansicht. Es war ein Zickzackkurs. Zuerst sollte der Polizist sogar straffrei wegkommen. Mit einer Einstellung des Verfahrens war jedoch das Amtsgericht nicht einverstanden. Dann sollte gegen den 53-jährigen Beamten per Strafbefehl auf schriftlichem Weg eine Geldstrafe über 50 Tagessätze verhängt werden. Weil der Polizist Einspruch einlegte, kam es zum Prozess. Hier forderte die Staatsanwaltschaft dann saftige 120 Tagessätze. Das Amtsgericht verhängte 100 Tagessätze zu je 60 Euro – also insgesamt 6000 Euro. Damit wäre der Beamte vorbestraft gewesen. Er ging gegen diese Entscheidung aber wieder vor.
Und hatte jetzt vor dem Landgericht Erfolg. Staatsanwältin Yvonne Möller beantragte plötzlich nur noch 60 Tagessätze. Im Urteil sind es nun sogar noch einmal zehn Tagessätze weniger. Mit der 3000-Eubeamten ro-Geldstrafe ist die Sache für ihn strafrechtlich erledigt. Ein Disziplinarverfahren läuft noch. Mit einer Entlassung muss der Beamte aber sicher nicht rechnen. Gegen die drei jugendlichen Angreifer wurden inzwischen auch Strafen verhängt. Sie müssen jeweils eine Woche in den Arrest, einer muss zudem gemeinnützige Arbeit leisten.
Eigentlich ging es in dem Verfahren gegen den Polizisten von Anfang an nur um eine Frage: Hat der Beamte eine Körperverletzung des Jugendlichen bewusst in Kauf genommen? Oder ging er davon aus, dass es sich um einen Scherzanruf handelt und deshalb nichts passieren wird? Der Beamte beteuerte wiederholt, dass es sich um eine „Fehleinschätzung“gehandelt habe. Er „schäme sich“für sein Verhalten, es sei falsch gewesen. Er habe nicht gewollt, dass der Jugendliche geschlagen wird. Die Richter des Landgerichts glauben ihm. Obwohl in dem aufgezeichneten Telefongespräch deutlich zu hören ist, dass der Polizist von Beginn an aggressiv reagiert. Er fordert den Jugendlichen auf, einfach wegzugehen. Als Johannes N. entgegnet, die anderen ließen ihn nicht fort, reagiert der Beamte darauf nicht. Er macht dem Jugendlichen Vorwürfe, dass er sicher nicht unschuldig an dem Streit sei. Und er behauptet, die nächste Streife könne frühestens in einer halben Stunde da sein. Das ist gelogen. Eine Streife saß zu der Zeit sogar einsatzbereit in der zuständigen Wache. Sie hätte in spätestens zehn Minuten da sein können, sagt die Revierleiterin.
Über seinen Anwalt Wolfgang Fahrmbacher-Lutz hat sich der Polizist bei dem Jugendlichen entschuldigt – und er hat 500 Euro Schmerzensgeld gezahlt. All das geschah aber erst, als sich abzeichnete, dass er wohl nicht ohne Strafe davonkommen wird. Der Verteidiger leistete sich dann auch noch eine Entgleisung. Er fragt mit süffisantem Grinsen den Jugendlichen, ob er sich von dem Schmerzensgeld denn schon ein neues Skateboard gekauft habe. *Name geändert »Kommentar
Eine Streife saß zu der Zeit einsatzbereit auf der Wache