Deutschland braucht eine Auto-Agenda 2040
Die Branche hat mit 800 000 Arbeitsplätzen eine überragende Bedeutung. Damit das so bleibt, muss das Innovationstempo höher werden
Trotz des selbst verursachten Image-Schadens muss die deutsche Autoindustrie nicht Trauer tragen. Es gibt keinen Grund zur Branchen-Depression. Denn nach wie vor werden in keinem anderen Land Autos hergestellt, die weltweit so begehrt sind. Wer je einen Inder mit verzücktem Blick auf Englisch die drei Buchstaben BMW hat wie ein Heiligtum aussprechen hören, kann das ahnen. Wer gar bei der Vorstellung des neuen Audi A8 in Barcelona sah, wie Chinesen sich dauerfotografierend dem neuen Flaggschiff des Unternehmens näherten, dem sollte nicht bange sein um unsere Autoindustrie mit ihren 800000 Jobs im Inland.
BMW etwa bleibt, wie die Experten von Ernst & Young errechnet haben, vor Suzuki der profitabelste Autobauer der Welt.
Es lässt sich vor der Internationalen Automobil-Ausstellung im September in Frankfurt jenseits des Diesel-Skandals auch Gutes über heimische Hersteller sagen. Etwa, dass sie beste Chancen haben, das Auto zum „rollenden Smartphone“zu machen, also die Vernetzung mit dem Internet zu realisieren.
Dann gibt es gerade in Süddeutschland viele enorm leistungsfähige Auto-Zulieferer. Ein Blick in unsere Region genügt: ob der Dach- und Cabriodachhersteller Webasto in Utting am Ammersee und Stockdorf, der Massivumformungs-Spezialist Hirschvogel aus Denklingen im Kreis Landsberg, der Maschinen zur Herstellung von Autos liefernde Spezialist Grob aus Mindelheim oder der Roboterbauer Kuka aus Augsburg: Die Global Player sichern dank Innovationen tausende Stellen in der Region.
Es könnte also alles so schön sein im Autoland Deutschland. Vielleicht war es auch zu schön, dass Manager der Auto-Riesen überheblich wurden. Ja, so schön, sodass Politiker weggeschaut haben und sich der vielen Arbeitsplätze in ihren Wahlkreisen erfreuten. In dem Klima aus Größenwahn und Ignoranz ist gerade bei VW der AbgasBetrug vortrefflich gediehen.
Was viel schlimmer wiegt und durch den Skandal ans Tageslicht kam: Konzerne wie Volkswagen haben sich zu sehr auf klassische Antriebe konzentriert. Weil Benzinmotoren als Klimakiller gelten und die EU strenge CO2-Vorgaben machte, perfektionierten Ingenieure den Dieselmotor. Die ehrgeizigen Stickoxid-Ziele der Manager ließen sich aber nicht erfüllen. Techniker wurden zu Betrügern.
Gerade VW-Männer klammern sich noch heute verzweifelt an die Welt herkömmlicher Verbrennungsmotoren. Vielleicht lassen sie sich von einer intelligenten Physikerin überzeugen. Kanzlerin Angela Merkel ruft die erschreckend konservativ wirkenden Autobauer auf, mehr Mut und Kraft bei der Entwicklung neuer Antriebe zu zeigen. Das darf nicht nur für die E-Mobilität gelten. Womöglich kann sogar neues synthetisches Benzin den Verbrennungsmotor retten. Und was ist eigentlich aus der Wasserstofftechnologie geworden?
Deutsche Verzagtheits-Automobilisten müssen endlich aufwachen. Vielleicht sollten sie Maß an Tesla-Chef Elon Musk nehmen, dem großen amerikanischen E-Mobilitäts-Träumer. Die hiesigen Autohersteller dürfen dabei bloß nicht den Spruch des Ex-Kanzlers Helmut Schmidt zu ernst nehmen, nach dem Menschen mit Visionen zum Arzt gehörten. Wenn aber dennoch die utopische Kraft der AutoBosse nicht ausreicht, ist Merkel am Steuer gefragt, damit nicht hunderttausende Arbeitsplätze gefährdet sind. Dann muss sie wie nach der Atomkatastrophe in Fukushima rasch handeln und für 2040 den Ausstieg aus der herkömmlichen Technologie für Verbrennungsmotoren verkünden. Mit so einer Auto-Agenda 2040 würde sie auf das Innovations-Gaspedal drücken.
Auto-Bosse sollten auf eine Physikerin hören