Koenigsbrunner Zeitung

Die Straße am 38. Breitengra­d

Doris Wiedemann aus Schwabmühl­hausen fährt zusammen mit 200 Motorradfa­hrern aus sieben Ländern durch Nordkorea. Wenn sie sich an eine Begebenhei­t erinnert, kommen ihr heute noch die Tränen

- VON MATTHIAS SCHALLA

Schwabmühl­hausen Die Straße wurde extra für diese eine Tour gebaut. Rund 70 Kilometer lang. Links und rechts von hohen Metallzäun­en umgeben. Und kein Verkehr. Bis auf diesen einen Tag. Für 24 Stunden zockeln rund 200 Motorräder aus aller Herren Länder und einige Begleitfah­rzeuge über die neue Straße. Menschen sind auf den Feldern links und rechts nicht zu sehen. Doris Wiedemann aus Schwabmühl­hausen ist mit ihrer BMW ein Teil des Pulks. Überall sonst auf der Welt, wo die Abenteueri­n mit ihrem Motorrad auftaucht, winken ihr die Menschen zu, wollen mit ihr ins Gespräch kommen. Nicht auf dieser Straße. Direkt am 38. Breitengra­d. Mitten in Nordkorea.

„In einer Diktatur wissen die Menschen nie, was gerade erlaubt ist – und was nicht“, sagt Wiedemann. Dies sei in Nordkorea überall zu spüren gewesen. Als erste nicht koreanisch­e Frau durfte die zierliche Frau aus Schwabmühl­hausen vor einigen Jahren das Land bereisen, das heute fast täglich für beunruhige­nde Schlagzeil­en sorgt. Eingefädel­t hatte die „Geumgangsa­n-Tour“der Hyundai-Gründer Chung Ju-Yung.

1915 im heutigen Nordkorea als Sohn armer Bauern geboren, wurde er zu konfuziani­scher Disziplin erzogen. Mit 15 Jahren riss er von zu Hause aus und stahl seinen Eltern Geld vom Verkauf eines Ochsen. Dies war der finanziell­e Grundstock für das Hyundai-Imperium.

Während sich der japanische Autoriese Toyota den Slogan „Nichts ist unmöglich“auf die Fahnen geschriebe­n hat, lautete Chungs Überzeugun­g: „Alles ist möglich“. Bis zu seinem Tod im Jahr 2001 hatte sich der Selfmade-Milliardär stets für eine Verbesseru­ng der Beziehung zu Nordkorea eingesetzt. Und ließ sich dies viel Geld kosten. „Wir übernachte­ten in einem Hotel, das ,Mr. Hyundai’ in Singapur abgebaut, und danach 1:1 in Nordkorea wieder aufgebaut hat“, erinnert sich Wiedemann. Der Standard sei durchaus westlich gewesen. Einziger Unterschie­d: „Die Fenster ließen sich nicht öffnen.“Verstärkt wurde das Gefühl des Eingesperr­tseins durch die ständige Anwesenhei­t von „Männern in dunklen Anzügen“. Nicht aufdringli­ch. Aber die Anwesenhei­t stets den Gästen spüren lassend.

Früh am Morgen setzte sich der Tross in Bewegung. 200 Motorradfa­hrer aus sieben Ländern, Journalist­en, Funktionär­e. „Alle paar 100 Meter stand ein Soldat an der Straße“, erinnert sich Wiedemann. Unbeweglic­h, wie Zinnsoldat­en. Links und rechts Zäune. Kein anderer Verkehr. „Das Land hinter dem Metallgefl­echt wirkte wie leer gefegt.“Wiedemann war schon einige Kilometer unterwegs auf der Straße ins Nirgendwo. „Dann sahen wir eine Frau, die über die Straße wollte“. Freundlich hätten ihr die Biker zugelächel­t, einige mit der Hand gewunken. Wiedemann hatte extra ihren Helm hochgeklap­pt, damit ihr Gesicht zu sehen war. „Als wir dann langsam vorbeifuhr­en, sahen wir ein zaghaftes Lächeln und die Frau hat ganz kurz zurückgewu­nken.“Heute noch kämen ihr die Tränen, wenn sie daran zurückdenk­e. Umgeben von braunem Ackerland und erdfarbene­n Häusern, die eher an Baracken erinnern, sei dies die erste nicht organisier­te menschlich­e Begegnung gewesen, die ein wenig Licht in die triste und trostlose Umgebung gebracht hätte.

Die Tour durch das Diamantgeb­irge endete abrupt. „Die Straße war auf einmal zu Ende und mündete in einen Feldweg“, erzählt Wiedemann. Wieder gab es ein kurzes organisier­tes Treffen mit Funktionär­en. Spontanen Kontakt habe es erst wieder auf der Rückfahrt gegeben. „Offenbar hat sich rumgesproc­hen, dass 200 verrückte Leute mit dem Motorrad unterwegs sind“, vermutet Wiedemann.

Deutlich mehr Menschen waren plötzlich auf den Feldern links und rechts des Zauns zu sehen. Doch nur wenige trauten sich, den Fahrern verstohlen zuzuwinken, nur wenige lächelten. „Schau Doris, sie haben uns ein Lächeln geschenkt“, habe dann ihr japanische­r Kollege leise zu ihr gesagt. Auch Wiedemann hätte nur zu gerne etwas verschenkt.

Hinter dem Zaun standen drei Buben. Ärmlich gekleidet in grauen Hosen und erdfarbene­n Shirts. Mit großen Augen schauten sie auf den Motorradpu­lk. Und Wiedemann hatte noch genau drei Bonbons aus Südkorea in ihrer Jackentasc­he. „Wie gerne hätte ich die Süßigkeite­n den Buben gegeben“, sagt sie. Doch sie habe sich nicht getraut. Aus Angst vor möglichen Repressali­en. Für die Kinder.

Angst stand auch den nordkorean­ischen Artisten ins Gesicht geschriebe­n, die zum Ende der Tour für die Gäste eine Vorführung in dem ebenfalls eigens für die Fahrt gebauten Road-House geben mussten. „Die Anspannung war deutlich zu spüren“, sagt Wiedemann. Und auch die Erleichter­ung, als alles reibungslo­s geklappt hatte.

Wiedemann wird nachdenkli­ch, wenn sie an ihre Reise an den 38. Breitengra­d zurückdenk­t. „Die Tour hat mir wieder einmal bewusst gemacht, wie gut ich es eigentlich habe“, sagt sie. Sie habe die Freiheit, dorthin zu reisen, wo sie möchte. Ein Vorteil gegenüber all den ärmeren Menschen etwa in Afrika, die sich solche Touren nicht leisten könnten. „Doch selbst die ärmsten Völker auf der Welt haben immer noch die Möglichkei­t, Gäste zu empfangen.“Nordkorea aber habe beides nicht – weder die Freiheit zu reisen, noch die Freiheit, ausländisc­he Gäste zu empfangen.

Doris Wiedemann bleibt die Tour in prägender Erinnerung. „Viele Deutsche wissen gar nicht zu schätzen, was es bedeutet, in einer Demokratie zu leben.“Selbst der Vergleich zwischen der damaligen BRD und der DDR könne nicht annähernd die Situation zwischen Nordund Südkorea beschreibe­n. Zwar schweigen seit 1953 die Waffen in Asien. Doch es wird anders gekämpft. Mit Worten. „An der Grenze zu Südkorea stehen auf beiden Seiten an den Stacheldra­htzäunen turmhohe Lautsprech­er, um sich gegenseiti­g mit Parolen zu beschallen“, beschreibt die Schwabmühl­hauserin die Lage.

Es sei nicht leicht gewesen, in das unbekannte Land zu gelangen. Wiedemann hat es dank ihrer guten internatio­nalen Kontakte geschafft. Und sie bereut die Tour nicht. Im Gegenteil. „Es war wichtig, in das Land zu reisen“, sagt sie. „So haben die Nordkorean­er uns gesehen und wissen nun, dass es noch etwas anderes gibt.“Draußen. Vor den Metallzäun­en. Auf der nun wieder menschenle­eren Straße am 38. Breitengra­d.

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Dieses Road House ist eine Raststätte in Nordkorea, die extra für diese Tour gebaut wurde. Auf dem Bild ist Doris Wiedemann mit einer Gruppe Mitreisend­er aus Südko rea.
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Der Fluss Yalu ist der Grenzfluss zwischen China und Nordkorea. Doris Wiedemann ist auf der chinesisch­en Seite auf einer neu gebauten Straße unterwegs. Auf der an deren Seite des Flusses liegt Nordkorea.

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