Frau mit Potenzial
Das Bauhaus, gelungen skizziert
Ein Haus ist nicht nur ein Gefäß für die Menschen, es hat Auswirkungen auf ihr Leben und Denken.“Luise Schilling, Großbürgerstochter aus Berlin, will also nicht nur entwerfen und bauen, sondern als künftige Architektin auch gleich die Welt ein wenig verändern. Deswegen spricht sie 1921 beim BauhausChef Walter Gropius in Weimar vor. Der ist erst etwas unwirsch, dann, nach einem Blick in ihre Arbeitsmappe, gnädig: „Ihre Zeichnungen haben Potential.“Die junge Frau dürfe im Vorkurs der Kunstschule beginnen…
Diese Luise Schilling gab es wirklich, später zog sie nach New York, überprüfte im New Yorker City Department of Building unter anderem auch die von Walter Gropius entworfenen Pläne des „PanAm-Gebäudes“und urteilte: „Es ist genau das, was den Leuten inzwischen als modern gilt: höher, größer, phallischer.“Was aber nach dieser ersten Begegnung passierte, von ihren Studentenjahren im Bauhaus erst in Weimar, dann in Dessau, erzählt Theresa Enzensberger – ja, es handelt sich um die Tochter des großen Hans Magnus Enzensberger – in ihrem Debütroman „Blaupause“. Ein 250 Seiten schmales Werk, das sich so aktuell, frisch und leicht liest, als habe die Autorin nur ein wenig Staub von den Zeichentischen pusten müssen.
Enzensberger beherrscht die Skizze, arbeitet mit schnellem Strich. Gropius? „Er ist größer, als ich dachte, und obwohl ich sein Gesicht nicht sehe, spüre ich, wie gewohnt er es ist, mit dem größten Respekt behandelt zu werden.“So porträtiert sie Lehrer, Schüler, Freunde… entsteht ein kleines Who is who des Bauhauses: Johannes Itten, Esoteriker, der eine ihm in allen ergebene Jüngerschar um sich sammelt. Paul Klee, von den Studenten „der liebe Gott“genannt, „vielleicht weil er so menschenscheu ist.“Und zugleich liefert sie eine knappe, aber präzise Beschreibung der Weimarer Zeit. Auch da arbeitet sie politische und weltanschauliche Strömungen akkurat heraus, packt den Zeitgeist ins Zitat: „Man kann doch das jüdische Finanzkapital nicht verschweigen, wenn es um soziale Fragen geht“, tönt da ihr Freund, Werbefachmann, Student wie sie, und Leser von „Der nationale Sozialist“. Kommilitone Friedrich hingegen gibt sein Studium auf, um sich in Berlin am Straßenkampf gegen die SA-Truppe zu beteiligen. Luise mahnt, er verschwende sein Talent, er hält dagegen: „So seid ihr eben, ihr sitzt abgeschieden von der Welt in Dessau und macht euer Kunsthandwerk für die Bourgeoisie.“
Enzensberger rast durch die Jahre, auch deswegen bleibt „Blaupause“im Grunde eine Skizze. Aber eine, mit der sie das Wesentliche einfängt. Nicht Luise, sondern das Bauhaus selbst ist der eigentliche Protagonist des Romans. Ein Hort der Moderne, wobei es nicht lange dauert, bis Luise den Muff entdeckt. Vom Meister Itten wird sie nach dem Vorkurs dorthin geschickt, wo Frauen im Bauhaus bevorzugt landen: nicht zu den Architekten, stattdessen in der Weberei. Begründung: Nicht nur sie, sondern viele Frauen hätten ja Probleme mit dem dreidimensionalen Sehen. So rennt die ehrgeizige Studentin gegenWände, derweil es in ihrem Innerem gärt: „Ich will die Zukunft bauen und die Vergangenheit abreißen…“
„Blaupause“handelt daher vor allem von einer Ernüchterung. Einer Entzauberung. Luise arbeitet sich bis zum Ende an diesen Machofiguren ab, sucht vergeblich nach Anerkennung: Angefangen vom Vater, einem unzugänglichen Patriarchen, der die Tochter zwischenzeitlich zurück nach Berlin zitiert und auf eine Hauswirtschaftsschule schickt, bis hin zum Übervater Walter Gropius: Auch der ist dann – doch überraschend – sehr viel kleiner als gedacht.