Der Herbst der Patriarchin
Noch steht die CDU geschlossen zu Angela Merkel. Aber die Debatte um die Nachfolge dürfte bald beginnen. Wofür steht die Partei in den Jamaika-Gesprächen?
Der FDP-Vorsitzende Lindner übertreibt ein bisschen, wenn er von einem „spürbaren Autoritätsverlust“der Kanzlerin spricht. Noch hat ja die CDUVorsitzende Angela Merkel ihren Kanzlerwahlverein im Griff. Noch steht niemand bereit, der Merkel mit einiger Aussicht auf Erfolg herausfordern könnte. Die CSU hat das Endspiel um das Erbe Seehofers nach der verlorenen Bundestagswahl sofort eröffnet – auch auf das Risiko hin, den eigenen Verhandlungsführer bei den Koalitionsverhandlungen zu schwächen. Die Granden der CDU hingegen haben die Reihen weitgehend geschlossen gehalten. Während der Boden unter dem CSU-Vorsitzenden Seehofer wegbricht, steht Merkel noch auf festem Fundament. So unangefochten allerdings, wie sie als Garantin der Macht in ihrer Partei über viele Jahre hinweg war, ist die Kanzlerin bei weitem nicht mehr. Der Absturz der Union auf 33 Prozent geht nun einmal in erster Linie auf ihre Kappe. Merkels Flüchtlingspolitik hat Millionen Stimmen gekostet und der Union eine neue starke Konkurrenz am rechten Rand des Spektrums beschert. Die Volkspartei hat diesmal in der rechten Mitte weit mehr verloren, als in der linken Mitte zu gewinnen war. Der brachiale Unionsstreit um die „Obergrenze“hat diesen Schrumpfungsprozess beschleunigt, nicht jedoch verursacht.
Nicht nur die Junge Union und parlamentarische Hinterbänkler, sondern auch Landesfürsten wie der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Günther rufen jetzt nach neuen Gesichtern in Führungspositionen und einem Generationenwechsel. Dies ist ein sicheres Indiz dafür, dass Merkels Machtbasis zu bröckeln beginnt und die Frage, wer eigentlich eines Tages an die Stelle der ewigen Kanzlerin treten soll, die Union zunehmend umtreiben wird. Merkel hat den Zenit ihrer großen Laufbahn überschritten. Der Herbst der Patriarchin ist angebrochen. Will sie das Heft des Handelns in der Hand behalten, so wird die Kanzlerin alsbald die Weichen für die Zeit nach ihr stellen müssen. Andernfalls droht der CDU 2021 ein noch größeres Debakel.
Helmut Kohl hat es einst versäumt, beizeiten loszulassen. Merkel hat es – noch – in der Hand, die notwendige Erneuerung selbst in die Wege zu leiten. Wobei es nicht nur um neue Köpfe geht. Am absehbaren Ende der Ära Merkel drängt sich ja auch verstärkt die Frage auf, wofür die CDU eigentlich steht. Merkels auf Modernisierung und Schritthalten mit dem Zeitgeist angelegte Politik ist insofern richtig, als sich nur so die strategische Mehrheitsfähigkeit sichern lässt. Das Ungefähre, Beliebige und Überstürzte jedoch, das damit häufig einhergeht, beschädigt den Markenkern der für Recht und Ordnung sowie einen aufgeklärten Konservatismus stehenden Union. Merkels CDU bietet vielen wertund nationalkonservativen Wählern keine Heimat mehr. Und überhaupt: Seltsam blass ist das inhaltliche Profil. Es kommt nicht von ungefähr, dass FDP, CSU und Grüne ihre Kernanliegen für die „Jamaika“-Sondierungen formulieren und sich aneinander reiben. Worin aber bestehen die Kernbotschaften der CDU – abgesehen von dem Signal, man werde und könne sich schon mit allen verständigen?
Die Rolle einer über den Parteien schwebenden schwarz-grün-gelben Koalitionspräsidentin ist Merkel auf den Leib geschneidert. Sie braucht dieses Bündnis, weil bei einem Scheitern der Verhandlungen die Karten neu gemischt würden und ihre Kanzlerschaft zur Disposition stünde. Entsprechend weit wird Merkel FDP und Grünen entgegenkommen. Sollte die Handschrift der Union dabei allerdings zu kurz kommen, wird die Debatte um die Nachfolge Merkels umgehend Fahrt aufnehmen.
Die Kanzlerin hat es noch selbst in der Hand