Der lange Absturz eines jungen Menschen
Mit zwölf trinkt er das erste Mal Alkohol, ein Jahr danach nimmt er Drogen. 15 Jahre später attackiert er Polizisten mit einer Schere
Landkreis Augsburg Ruhig sitzt der Mann auf der Anklagebank des Amtsgerichts Augsburg. Aufmerksam verfolgt er die mehrstündige Verhandlung. Bernd (Name geändert) ist 29, er spricht klar und deutlich über sein Leben, nennt viele Einzelheiten seiner bewegenden Vergangenheit. Er hat ein Problem mit Alkohol, Drogen und Medikamenten – und zwar seit frühester Jugend. Wegen dieser Sucht steht er auch als Angeklagter vor Gericht. Er hat Polizisten mit einer großen Schere attackiert, sie beleidigt und ihnen mit dem Tod gedroht.
Bernd ist erst zwölf Jahre alt, als er das erste Mal Alkohol trinkt. Mit 13 greift er regelmäßig zur Flasche. Im selben Jahr kommt er in Kontakt zu Drogen, mit 14 raucht er regelmäßig Marihuana, mit 15 nimmt er auch Ecstasy. Doch das reicht Bernd nicht, er greift zu noch härteren Drogen. Mit 16 nimmt er Kokain, danach kommt noch Heroin dazu. Sein Trinkverhalten wird immer exzessiver. „Alkohol war mein ständiger Begleiter“, sagt der 29-Jährige. Als er 19 ist, will er sein Leben ändern: Er löst den Kontakt zu seinem Freundeskreis auf, verzichtet auf Alkohol, Drogen und Zigaretten. Er geht einer geregelten Arbeit nach, treibt viel Sport, geht weder in Bars oder Discos. Sein Körper erholt sich von dem Gift, doch ein Jahr später dann der Rückfall. „Ich habe mich auf den Sport und die Arbeit gestürzt und hatte kaum soziale Kontakte. Das hat mich irgendwann frustriert“, sagt Bernd.
Er sucht seinen alten Freundeskreis auf und fängt da an, wo er aufgehört hat – mit Drogen und Alkohol. Er verliert seinen Job, die Beziehung geht zu Ende. Was folgt, ist ein „Ping-Pong-Spiel“, wie es Bernd nennt. Immer wieder unternimmt er Versuche, von den Drogen loszukommen, doch die Erfolge sind nur von kurzer Dauer. Mehrere Entgiftungen bringen nur kurzzeitig Erfolg. Optisch sieht man Bernd die jahrelange Abhängigkeit nicht an. Richter Wagner und der Sachverständige sprechen von einem objektiv guten Zustand, bei dem keine heftige Sucht vermutet wird.
Im Frühjahr vorigen Jahres ist er bei seinen Eltern zum Grillen eingeladen. Er nimmt Medikamente, aber nicht genug. Bernd versucht, das mit Alkohol zu kompensieren. Er trinkt mehrere Flaschen Bier und etwa eine Flasche Wodka – von den Eltern weitgehend unbemerkt. Doch sein Zustand wird schnell schlechter; er wird unruhig, läuft in der Wohnung auf und ab, bekommt schwitzige Hände, wird aggressiv.
Die Eltern rufen die Polizei. Als die Beamten mit den Sanitätern eintreffen, hat Bernd eine große Haushaltsschere in der Hand. Er macht Stichbewegungen in Richtung der Beamten, droht ihnen mit dem Tod und beleidigt sie. Die Polizisten setzen zweimal Pfefferspray ein. Bernd wirft die Schere auf die Beamten, verfehlt sie. Dann wird er überwältigt und ins Klinikum gebracht.
Staatsanwalt Benjamin Rüdiger plädiert auf eine 18-monatige Freiheitsstrafe für den mehrfach vorbestraften Angeklagten, sowie die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. In einer solchen ist Bernd seit knapp fünf Monaten. Verteidiger Marco Müller plädiert auf Freispruch, da eine Schuldunfähigkeit wegen seines Zustands nicht ausgeschlossen werden kann. Richter Wagner folgt der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und verurteilt Bernd zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten.
Bier und Wodka auf der Grillfeier bei den Eltern