Kratzen und Beißen
Jaguar hat mit dem XJR575 eine neue Power-Limo im Angebot, die es in sich hat
Eines kann man Jaguar sicherlich nicht vorwerfen: mangelnden Charakter. Während andere Hersteller die Zyklen ihrer Modelle immer straffer takten, schicken die Briten ihre Oberklasse-Limo XJ 2018 ganz cool ins neunte Produktjahr.
Ganz unbelassen ist der neue Jahrgang allerdings nicht. Bei allen XJ-Modellen wurde in den Bereichen Infotainment und Fahrassistenzsysteme nachgebessert. Neu im Angebot sind nun unter anderem ein 4G-Wifi-Hotspot, ein 10-ZollTouchscreen, Spurhalte- und Aufmerksamkeitsassistent.
So richtig vom Hocker haut das im Jahr 2017 freilich niemanden mehr – schon gar nicht in der Liga, in der die Briten mit dem XJ preislich spielen. Wobei wir wieder beim Charakter wären. Bei Jaguar sieht man sich als Fahrer-Marke – wohl wissend, dass man bei Komfort und Innovation der deutschen Konkurrenz ohnehin kaum das Wasser reichen kann. Und so passt es perfekt zur Story, dass neben dem Technik-Upgrade zum neuen Modelljahr eben auch ein neues „High-Performance Flaggschiff“an den Start geht, das mal eben 575 PS im Gepäck hat.
Der XJR575 rundet die Modellpalette mit beeindruckenden Leistungsdaten und einem Preis von 143 900 Euro nach oben ab. Die zusätzlichen 25 PS zum Vorgänger sollen den Sprint von 0 auf 100 in 4,4 Sekunden und eine Spitzengeschwindigkeit von 300 km/h ermöglichen. Überprüfen ließ sich im Test lediglich Ersteres. Wobei der erste Eindruck eigentlich nicht unbedingt glauben lässt, dass der Jaguar sein Versprechen halten kann.
Auch in der Standardvariante mit kürzerem Radstand misst der XJR575 über fünf Meter Länge. Die ausgestellten Seitenschweller, die Heckspoilerlippe, die Luftauslässe auf der Motorhaube und die größeren Einlässe in der Frontschürze ändern dabei nichts daran, dass der XJR unauffällig, fast bieder daherkommt. Auch der Klang des 5-Liter-V8 beim Start ist bissig, aber nicht aufdringlich. Umso dankbarer muss man den Interieur-Designern für die drei kleinen roten Zahlen sein, die sie vorne im Cockpit angebracht haben. Ebenfalls dezent, aber doch ein klarer Fingerzeig: Sie sitzen auf 575 PS. Und die beißen sich beim Druck auf das Gaspedal gnadenlos in die Straße. Bemerkenswert: Jaguar lässt die 700 Nm Drehmoment ausschließlich auf die Hinterachse los. Daraus resultiert ein ziemlich außergewöhnliches Fahrverhalten: Die Reifen haben immer mal wieder etwas Spiel, bevor die Systeme greifen. Und die Lenkung ist direkter, als man es einem 1,9Tonnen-Auto zutrauen würde.
Der XJR575 ist wie alle XJ-Modelle ab sofort bestellbar. Unterhalb des Top-Derivats bietet Jaguar sechs Ausstattungsversionen an, die zwischen 82700 und 121200 Euro liegen. Stefan Drescher