Am Ende dreht sich alles nur noch um ein Thema
Vom langen und beschwerlichen Weg nach Jamaika Wie die FDP im Ringen um eine Lösung die Position der CSU übernahm
Berlin Kann sich an einem so nasskalten wie tristen Volkstrauertag wirklich die Tür zu einer bunten Jamaika-Regierung öffnen? Hinter dem Grau der modernistischen Fassade der baden-württembergischen Landesvertretung im Berliner Botschaftsviertel versuchten Union, FDP und Grüne gestern fast verzweifelt, die letzten großen Streitpunkte zu klären. Am Ende spitzten sich die Sondierungsgespräche vor allem auf ein einziges Thema zu: Das Recht auf Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem, also eingeschränktem Schutzstatus.
Hintergrund: Wurde zu Beginn der Flüchtlingskrise etwa fast allen Syrern voller Schutzstatus gewährt, wurde später vielen nur noch subsidiärer Schutz zuerkannt. Auch für diese Gruppe gilt grundsätzlich das Recht auf Familiennachzug. Diese Regelung war – vor allem auf Initiative der Grünen – erst im August 2015 eingeführt geworden, also unmittelbar vor Beginn des Massenzustroms von Flüchtlingen.
Doch als sich abzeichnete, wie viele hunderttausend Flüchtlinge nach Deutschland kommen, beschloss die schwarz-rote Regierung im Frühjahr 2016 im Asylpaket II, den Familiennachzug für die subsidiär geschützten Flüchtlinge für zwei Jahre auszusetzen. Rund 200000 Flüchtlinge mit dem eingeschränkten Schutzstatus leben derzeit in Deutschland. Ab März 2018 könnten auch sie ihre Angehörigen nach Deutschland holen. Doch schon in der Frage, um wie viele Menschen es überhaupt geht, herrscht Uneinigkeit.
Manche Schätzungen legten zugrunde, dass jedem Flüchtling eine Großfamilie folgen würde und gingen teils von mehr als 700 000 Menschen aus. CSU-Chef Horst Seehofer rechnet aktuell mit mehreren hunderttausend zusätzlichen Zuwanderungen, Unions-Fraktionschef Volker Kauder spricht von „noch einmal 300 000 Personen, die solche Anträge stellen könnten“. Die Union forderte deshalb in den Jamaika-Gesprächen bis zuletzt eine Aussetzung des Rechts über das Frühjahr 2018 hinaus. Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung rechnet dagegen mit deutlich niedrigeren Zahlen: 50000 bis 60000 Angehörige von subsidiär geschützten Flüchtlingen würden demnach nach Deutschland kommen. Denn bei den Flüchtlingen handle es sich in der Mehrzahl um junge und ledige Personen. Für die Grünen steht in der Frage des Familiennachzugs für subsidiär geschützte Flüchtlinge nichts weniger als der humanitäre, weltoffene Markenkern ihrer Partei auf dem Spiel.
Auf der anderen Seite beharrt vor allem die CSU darauf, dass der Familiennachzug für subsidiär Geschützte auch über 2018 hinaus ausgesetzt bleiben müsse. Sonst werde die Aufnahmebereitschaft Deutschlands überfordert. In der Diskussion ist auch immer wieder zu hören, dass es nicht sinnvoll sei, Menschen, die möglicherweise bald ausreisen müssten, jetzt noch zu erlauben, ihre Familien nachzuholen – in Syrien etwa gehen die Kriegshandlungen zurück.
Für die CSU geht es in diesem Punkt vermeintlich um nichts weniger als das politische Überleben. Bei den Bundestagswahlen haben die Christsozialen ein Horror-Ergebnis eingefahren, das sie auf die Flüchtlingspolitik
Gleich mehrere Kompromissvorschläge
der Bundesregierung zurückführen. Jetzt fürchten sie, ein Einknicken beim Familiennachzug werde auch bei der Landtagswahl im kommenden Jahr viele Stimmen kosten. Horst Seehofer sitzt zudem die Angst im Nacken, im CSU-Führungsstreit zu unterliegen. Im Kampf um konservative Wähler wird nicht mehr nur die AfD als Konkurrenz gesehen – sondern neuerdings auch die FDP.
In der finalen Phase der Sondierung wird genau das zum Problem. So kam es am Freitag in den Jamaika-Gesprächen zu einer kuriosen Situation: Als sich, ganz zaghaft, mögliche Kompromisse zwischen CSU und Grünen abzeichneten, habe FDP-Chef Christian Lindner die harte Linie der CSU übernommen. Wie es aus Teilnehmerkreisen weiter heißt, habe sich das Fenster für einen Kompromiss damit gleich wieder geschlossen.
Immer neue Versuche, eine für alle tragbare Einigung zu erzielen, wurden am Wochenende unternommen – etwa verschiedene Ansätze von Quoten-, Fristen- oder Härtefallregelungen. Darunter die Formel, dass durch den Nachzug von Angehörigen subsidiär geschützter Flüchtlinge der von der Union geforderte Richtwert von 200000 Zuwanderern pro Jahr nicht überschritten werden dürfe. Doch als der graue Tag in schwarze Nacht überging, dauerten die Sondierungen an.