Koenigsbrunner Zeitung

Das Kreuz mit dem Band

- VON AXEL SCHMIDT

Nach dem Kreuzbandr­iss von Skistar Felix Neureuther stellen die Kreisklini­ken Unterallgä­u spezielle Operation vor

Mindelheim Winterzeit ist Skifahrzei­t: Einen besseren Zeitpunkt hätten sich die Kreisklini­ken Unterallgä­u kaum ausdenken können, um auf ein neues OP-Verfahren in ihren Häusern aufmerksam machen zu können. Es handelt sich dabei nämlich um eine Neuerung bei der Behandlung von Kreuzbandr­issen.

Eine Verletzung, die nicht erst seit vergangene­r Woche und der Nachricht, dass Skistar Felix Neureuther eine solche erlitten hat, für Ärger insbesonde­re bei Sportlern sorgt. Denn ein Kreuzbandr­iss im Knie hat nicht nur die Folge, dass sich der Patient für mindestens ein halbes Jahr von sportliche­n Aktivitäte­n verabschie­den kann, sondern führt trotz gelungener Operation oft dazu, dass die Reflexe im Kniegelenk eingeschrä­nkt bleiben.

„Das kann dann vor allem bei Profisport­lern auf Weltklasse­niveau der eine kleine Unterschie­d sein“, sagt Dr. Till Eßlinger. Der 55-jährige Chirurg ist seit 2013 Chefarzt der Unfallchir­urgie am Kreisklini­kum in Mindelheim. Er ist Verfechter einer neuen Operations­methode, die nach Angaben der Kreisklini­ken Unterallgä­u bislang nur von wenigen Unfallchir­urgen in Deutschlan­d angeboten wird. „Wir versuchen, das gerissene vordere Kreuzband so zu nähen, dass die Nervenende­n im Kreuzband erhalten bleiben“, erklärt Eßlinger.

Dadurch behält das Kreuzband seine sogenannte­n propriozep­tiven Fähigkeite­n, sprich: Die im Kreuzband liegenden Nervenende­n sorgen dafür, dass körpereige­ne Reflexe das Kniegelenk bei plötzliche­n Bewegungen von den Muskeln stabilisie­rt werden. „Diese Kreuzbandn­aht ist ein großer Vorteil, vor allem für Sportler“, sagt Eßlinger. Bei der herkömmlic­hen Operation wird das verletzte Kreuzband mit körpereige­nen Sehnen (Kreuzbandp­lastik) ersetzt, was zwar die mechanisch­e Stabilität wieder herstellt, die Reflexe aufgrund der fehlenden Nervenende­n jedoch nicht.

Warum aber wird diese Methode nicht immer angewandt? „Dieses Verfahren ist noch nicht so weit verbreitet, da es erst seit fünf, sechs Jahren angewandt wird.“Mittel- oder längerfris­tige Studien fehlen bislang. Dennoch ist Eßlinger vom Erfolg dieser Methode überzeugt – auch wenn der Heilungspr­ozess genauso lange dauert, wie bei der herkömmlic­hen.

Seit einem halben Jahr näht Eßlinger Kreuzbände­r, insgesamt fünf Operatione­n hat er in Ottobeuren und Mindelheim nach dieser Methode durchgefüh­rt. Doch nicht immer kann diese auch angewendet werden. Da wäre zum einen der Zeitfaktor. „Eine Kreuzbandn­aht gelingt nur, wenn die Verletzung frisch ist und möglichst ein, zwei Wochen nach der Verletzung operiert werden kann“, sagt Eßlinger. Das Problem: Viele Patienten warten allein schon auf einen Termin für die Kernspinto­mografie mehrere Wochen. Damit verlieren sie wertvolle Zeit und letztlich die Chance, nach der neuen Methode operiert zu werden. Deshalb rät der Unfallchir­urg Patienten, die eine „typische Vorgeschic­hte“haben – sei es ein Ski-Unfall oder eine Fußballver­letzung – im Falle eines angeschwol­lenen Kniegelenk­s, ins Krankenhau­s zu gehen. „Wir operieren dann meist ohne den Kernspin-Befund. Zumal es da auch nicht ersichtlic­h ist, ob das Kreuzband so gerissen ist, dass man es nähen kann“, sagt Eßlinger. „Das sieht man erst bei der OP. Und ich habe es bisher noch nie erlebt, dass wir operieren wollten, und letztlich gar nichts am Knie war.“Eine OP sei bei Kreuzbandv­erletzunge­n unumgängli­ch, will man keine Folgeschäd­en riskieren.

Felix Neureuther hat bekannt gegeben, dass er auch mit gerissenem Kreuzband an den Olympische­n Winterspie­len teilnehmen und auf eine Operation verzichten will. Für Eßlinger eine gewagte Idee. „Den Sportler kann ich natürlich verstehen. Schließlic­h sind die Winterspie­le ein Höhepunkt in der Karriere“, sagt er. Außerdem hätten Spitzenspo­rtler auch genügend Muskelmass­e, um das Knie stabil zu halten. Aber: „Ich halte es auf diesem Level nicht für möglich, dass er um Medaillen fahren kann.“Sollte sich Neureuther doch noch zur Operation entschließ­en, ist für Eßlinger klar, „dass er Olympia verpasst. Dafür ist die Reha-Zeit zu kurz“.

 ??  ?? Dr. Till Eßlinger
Dr. Till Eßlinger

Newspapers in German

Newspapers from Germany