„Deutsch muss immer Vorrang haben“
Seit diesem Jahr können Erstklässler an ausgewählten bayerischen Grundschulen Französisch lernen. Heinz-Peter Meidinger, Chef des deutschen Lehrerverbands, hält davon wenig. Er hat ganz andere Sorgen
Herr Meidinger, zehn bayerische Grundschulen bieten seit diesem Jahr Französischunterricht schon in der ersten Klasse an. Manche Experten haben das überschwänglich begrüßt. Sie schwärmen davon, wie schön es sei, wenn Kinder bilingual aufwachsen würden. Sie, Herr Meidinger, sind skeptischer. Warum? Heinz Peter Meidinger: Gegen echten bilingualen Unterricht habe ich nichts. Dann müssen aber auch die Voraussetzungen stimmen. Die Lehrkräfte müssten die Fremdsprache auf hohem, am besten auf muttersprachlichem Niveau beherrschen. Die Kinder müssten am besten täglich mit dieser Zweisprachigkeit konfrontiert werden. Zudem bräuchte man einheitliche Standards und klare Zielvorgaben. Nur dann könnte es gelingen.
Sie kritisieren auch, dass durch den bilingualen Unterricht das Erlernen der deutschen Sprache leiden könnte. Meidinger: Das Kultusministerium beteuert zwar, dass der Vorrang von Deutsch dadurch nicht gefährdet wird. Da bin ich aber skeptisch, denn auch die Einführung von Englisch ab Klasse drei wurde mit dem Verzicht auf Deutschstunden erkauft. Zudem fehlt vielen Lehrkräften noch die entsprechende fremdsprachliche Qualifizierung.
Nach Angaben des Ministeriums sind die Lehrer des Französisch-Modellversuchs sehr wohl qualifizert. Meidinger: Trotzdem macht man da den zweiten Schritt vor dem ersten. Denn selbst wenn das so wäre, fehlen für die meisten Schüler die Anschlussmöglichkeiten. In der fünften Klasse weiterführender Schulen wird in aller Regel Französisch nicht angeboten und selbst danach können viele Schüler Französisch nicht weiter wählen. Ich gönne den beteiligten Schulen die Teilnahme. Zweifel an der Nachhaltigkeit dieses Modellversuchs sind aber berechtigt.
Einige Eltern drängen aber darauf, dass ihre Kinder möglichst früh Fremdsprachen lernen. Was sagen Sie ihnen? Meidinger: Dass es kaum einen Unterschied macht, ob Schüler mit ei- ner Fremdsprache in der ersten oder der dritten Klasse beginnen. Das haben jüngst empirische Studien gezeigt. Hinzu kommt, dass noch immer die Fremdsprachenkenntnisse von Kindern, die auf weiterführende Schulen übertreten, oft stark auseinanderklaffen. Nicht selten beginnen die Lehrer in der fünften Klasse wieder von ganz vorn.
Wäre es dann nicht sinnvoller, erst an den weiterführenden Schulen mit dem Fremdsprachenunterricht zu beginnen? Meidinger: So weit muss man nicht unbedingt gehen. Der Fremdsprachenunterricht kann schon in der dritten Klasse beginnen, wenn die Bundesländer endlich klare und verbindliche Bildungsstandards erarbeiten. Die gibt es für Viertklässler in Deutsch und Mathematik, aber nicht in Englisch. In der Grundschule sollten die Kinder aber vor allem Deutsch lernen. Da haben wir genug Probleme, wie die jüngste Iglu-Studie zeigte.
Demnach kann fast jeder fünfte Viertklässler in Deutschland nicht richtig lesen. Meidinger: Das finde ich verheerend. Mich macht vor allem wütend, dass die Schere zwischen denjenigen, die gut lesen können, und denjenigen, die das Lesen kaum beherrschen, immer weiter auseinandergeht. Das ist besonders bitter, weil wir wissen, dass in der Grundschule abgehängte Kinder ihre Defizite später kaum mehr ausgleichen können. Wer aber im Deutschen schon strauchelt, kommt mit einer weiteren Sprache noch mehr ins Schleudern.
Die Bundesländer scheinen trotzdem weiter auf möglichst frühen Fremdsprachenunterricht zu setzen, oder? Meidinger: Wir erleben derzeit eher eine Trendumkehr. In Baden-Württemberg sollen Grundschüler künftig erst wieder ab der dritten Klasse Englisch lernen, nicht mehr ab der ersten. In Rheinland-Pfalz gibt es ähnliche Bestrebungen. Viele Hoffnungen, die vor zehn Jahren mit der Einführung des frühen Fremdsprachenlernens geknüpft worden sind, haben sich nicht erfüllt.