Schlöndorff geht neue Wege
Der „Oscar“-Preisträger arbeitete lange Jahre nicht mehr fürs Fernsehen. Und: Einen „Tatort“habe er noch nie ganz gesehen, sagt er. TV-Krimis interessieren ihn einfach nicht. Warum er nun trotzdem seinen ersten drehte
Herr Schlöndorff, abgesehen von dem vor fünf Jahren für Arte entstandenen Kriegsdrama „Das Meer am Morgen“haben Sie ewig nicht mehr fürs Fernsehen gearbeitet … Volker Schlöndorff:
Dabei habe ich in den 70ern sogar viel Fernsehen gemacht! Aber nach der „Blechtrommel“endete die Zusammenarbeit abrupt. Der „Oscar“hat offenbar wie ein Kainsmal gewirkt. Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass mich das deutsche Fernsehen wieder mit offenen Armen aufgenommen hat.
Es gab in der ganzen Zeit keine Anfragen, auch nicht zum Beispiel für einen „Tatort“? Schlöndorff:
Doch, vom aber das ist 40 Jahre her. Ansonsten hat mich das Fernsehen schon seit Jahrzehnten nicht mehr auf dem Schirm. Aber ich habe ohnehin die allermeisten meiner Projekte selbst initiiert. Trotzdem hatte ich immer wieder mit den Sendern zu tun, man kann in Deutschland ja keinen Kinofilm ohne TV-Beteiligung drehen. Die Auseinandersetzung mit Redakteuren ist also keine völlig neue Erfahrung für mich, und bei Kino-Co-Produktionen ist sie in der Regel auch anstrengender als bei einem reinen TV-Krimi, bei dem mir das nun einen roten Teppich ausgerollt hat. Das war zwar angenehm, aber natürlich nicht der Grund, warum ich „Der namenlose Tag“drehen wollte.
Wie hat sich das Projekt ergeben?
Schlöndorff:
Ich habe in den letzten Jahren mehrfach mit der Produktionsfirma Provobis zusammengearbeitet. Der Produzent Jens Susa hatte mir Friedrich Anis Buch noch vor der Veröffentlichung geschickt. Die Figur des Kommissars im Ruhestand hat mich sehr angesprochen, ich fand Jakob Franck mit seinen Zügen von Maigret sehr französisch. Ich habe großen Respekt vor Anis Arbeit. Er ist ein Schriftsteller, der sehr genau beobachtet. Bei der Lektüre seiner Bücher spürt man: Es steckt erlebtes Leben dahinter.
„Der namenlose Tag“ist ein „Fernsehfilm der Woche“montags im ZDF. Kennen Sie den Sendeplatz? Schlöndorff:
Bitte sagen Sie’s nicht weiter, aber ich könnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob ich je einen Montagsfilm im gesehen habe.
Ich bin vermutlich auch der einzige Deutsche, der noch nie einen „Tatort“von Anfang bis Ende verfolgt hat. Das hat aber nichts mit Missachtung zu tun. Krimis interessieren mich einfach nicht. Ich sehe mir im Fernsehen am liebsten Dokumentarfilme und Diskussionsrunden an.
Gab es Vorgaben vom ZDF bezüglich der Umsetzung oder der Dramaturgie? Schlöndorff: Die einzige Vorgabe war die Hauptrolle: Jens Susa hatte mit Thomas Thieme gesprochen, der gleich zugesagt hat, den Kommissar zu spielen. Als ich Anis Roman las, hat mich das sofort überzeugt, allerdings habe ich Thieme nicht als Polizist in München gesehen. In dieser Besetzung gehörte Jakob Franck meiner Ansicht nach in eine ganz andere Landschaft. Mir schwebte als Schauplatz ohnehin eher eine Kleinstadt vor, und weil Thieme aus Thüringen stammt, haben wir uns für Erfurt entschieden.
Die radikalste Änderung gegenüber dem Roman ist die Verkürzung der Zeitspanne von zwanzig auf zwei Jahre. Warum war das nötig? Schlöndorff:
Ani schildert plausibel, wie sehr es Franck selbst zwanzig Jahre später noch nahegeht, dass er die Mutter eines Mädchens, das sich offenbar aufgehängt hat, mit einer stundenlangen Umarmung trösten konnte. Für einen Film ist dieser Zeitraum aber viel zu lange. Die Schauspieler hätten entweder aufbereits wändig geschminkt oder in den Rückblenden von anderen Darstellern gespielt werden müssen. Trotzdem habe ich gezögert. Ich hätte das nicht gegen Anis Willen gemacht.
War es eine große Umstellung vom Kino aufs Fernsehen? Schlöndorff:
Im Gegenteil. Mein letzter Kinofilm, „Rückkehr nach Montauk“, war viel schärfer kalkuliert. Wir haben in New York, Long Island und Berlin sowie mit einer bunt gemischten internationalen Besetzung gedreht, aber ich hatte keinen einzigen Drehtag mehr als bei „Der namenlose Tag“, nämlich 26, weshalb eine viel härtere Disziplin nötig war.
Und die Produktionsbedingungen?
Schlöndorff:
Was das angeht, kann man nur zwischen großen und kleinen Projekten unterscheiden, nicht mehr zwischen Kino und Fernsehen. Gerade bei uns in Deutschland ist die Differenz ohnehin nicht mehr so groß. Bei einem Kinofilm zittern allerdings immer alle, ob das Geld wieder reinkommt, weshalb es beim Fernsehen viel größere Freiheiten gibt. Das würden sicher auch Regisseure wie Dominik Graf bestätigen.
Graf ist ja ein großer Genrefilmer. War „Der namenlose Tag“auch als Genrefilm gedacht? Schlöndorff:
Nein, das sollte er auch nicht werden. Ich habe mir einige andere Ani-Verfilmungen angesehen und auch hier und da mal eine halbe Stunde in verschiedene „Tatort“-Beiträge reingeschaut. Anschließend war mir klar: Beim Wettbewerb mit den jüngeren Kollegen bin ich chancenlos. Deshalb habe ich mich lieber aufs klassische Drama beschränkt und einen möglichst unspektakulären Film gedreht.
Werden Sie mehr TV-Filme drehen?
Schlöndorff:
Nein, ich glaube nicht. Die Herausforderung eines Kinofilms setzt dann doch noch deutlich mehr Adrenalin frei. Aber eine Reihe wie die Jakob-Franck-Filme könnte mich durchaus interessieren. Im Augenblick habe ich andere Pläne, weshalb ich das zweite Drehbuch, das ja bereits existiert, eher nicht verfilmen werde. Aber ich kann mir gut vorstellen, den dritten Film zu übernehmen.