Radlerleben
Warum es mehr Querdenker braucht
Eigentlich wollte ich Ihnen etwas Schönes erzählen. Ich wollte Ihnen erzählen von Schokolade, die auf ihrem Weg von der KakaoBohnen-Plantage bis zum Laden ganz ohne CO2-Emission auskommt – dank Segelfrachter und Lastenrädern. Aber das muss leider warten. Denn grade eben stand mir wieder ein Bierlaster im Weg.
Es ist nicht so, dass mich dies schon aus der Fassung bringt: Zuerst nahm ich das nach Art des resignierten Radlers hin und rollte vorsichtig über die kleinen Eisberge, die sich rechts und links des Radweges auftürmten. Nachdem ich den Fahrer angesprochen hatte, stieß seine Reaktion, die an Gleichgültigkeit und Ohnmacht nicht zu überbieten war, einen inneren Monolog an, der mich die Schokolade vergessen ließ. „Das ist asozial“, schimpft der Grantler in mir. „Er macht doch auch nur seinen Job“, beschwichtigt der Diplomat. Doch irgendwie hat der Grantige recht: Schließlich macht der Bierkutscher sein Problem zu meinem.
Sein Problem besteht darin, dass Ladezonen – wenn vorhanden – zu klein, zu weit weg oder belegt sind. Also stellt er seinen Brummi auf den Radweg, wo dieser zu meinem Problem wird. Man kann also sagen, dass er aus Ohnmacht („wo soll ich denn sonst stehen?“) sein Problem zu meinem macht. Doch warum kann er sich nicht einfach dafür einsetzen, dass sein Problem – zumindest ansatzweise – gelöst wird? Seine Interessen werden von mehreren Lobbygruppen vertreten. Denn er ist a) Kraftfahrer für ein b) großes lokales Wirtschaftsunternehmen, dessen Geschäftsführer sich c) in der IHK-Schwaben engagierte.
Und wen habe ich? Den kleinen Kreisverband des Verkehrsclubs Deutschland, der öffentlich kaum wahrgenommen wird, und den ADFC Augsburg. Ob ich mich von Letzterem vertreten fühle, beantwortet ein kleines Quiz: Von welcher Person stammt welche Aussage zur Fahrradstadt 2020?
1) „Es hat sich was bewegt. Ob wir bis 2020 tatsächlich 25 Prozent [Radverkehrsanteil] erreichen, ist nicht entscheidend.“
2) „...man muss sich ehrgeizige Ziele setzen, auch wenn es schwierig sein wird, sie zu erreichen. Aber ich würde es für verfehlt halten, das Ziel aufzugeben.“
a) Kurt Gribl, Augsburger Oberbürgermeister,
b) Janos Korda, Vorstandsmitglied ADFC Augsburg.
Wenn ich ihnen nun sage, dass Aussage 1) von Person b) und 2) von a) stammt, verstehen Sie die Bredouille, in der die Radlobby in Augsburg steckt: Es sind zu wenige Querdenker da, die auch mal Finger in die verkehrsplanerischen Wunden legen und sich nicht abspeisen lassen, sondern Innovationen fordern. Daher habe ich eine
Bitte an Radfahrer: Engagiert euch, der ADFC braucht euch, habt Durchhaltevermögen, resigniert nicht. Natürlich habe ich auch eine an die Berufskraftfahrer, die sich „gezwungen“fühlen, ihren Job auf dem Radweg zu machen: Tragen Sie Ihr Problem des Lieferzonenmangels zu Ihren Vorgesetzten, bringen Sie Kollegen dazu, es auch zu tun, sorgen Sie dafür, dass Ihre Firma diese Probleme in die kommunale Politik trägt.
Nur so haben wir alle was davon. So können wir uns wieder den schönen Dingen im Leben widmen, können wieder von Schokolade reden. Von Schokolade, deren Kakao-Bohnen fair bei Bauern in der Dominikanischen Republik eingekauft und dann mit dem Segelfrachter ganz ohne CO2-Emission nach Amsterdam gebracht werden. Dort werden sie in einer Manufaktur, die sich der nachhaltigen Produktion verschrieben hat, zu edler Schoki verarbeitet. Damit die Transportkette weiter nichts emittiert, haben ein paar Münsteraner Fahrrad- und Slow-Food-Interessierte beschlossen, die Tafeln mit (Lasten-)Fahrrädern zu Läden vor Ort zu bringen. Inzwischen transportiert diese Aktion schon Schokolade in 24 Städte in Deutschland und Österreich und startet in Amsterdam mit einer Transportkapazität von über 900 Kilogramm.
Dieses Jahr wird eine Staffel der „Schokofahrt 2018“auch nach Augsburg führen. Das ist nötig, denn Schokolade beruhigt die Nerven. Und das kann man als Radfahrer gut gebrauchen, wenn mal wieder jemand sein Kfz-Problem zum Radfahrerproblem macht.
Sven Külpmann,
35, wuchs als Sohn eines Fahrlehrers auf und lebt seit 13 Jahren autofrei. *** Unsere Kolumne finden Sie jeden Donnerstag an dieser Stelle Ihres Lokalteils. Nächste Woche: „Mein Augsburg“mit typisch Augsburgerischen Ansichten und Geschichten.