Er zieht allein nach Lissabon
Michael Schulte gewinnt den deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest klar. Eine Soulballade brachte ihm den Sieg gegen fünf Konkurrenten und das Ticket für das Finale in Lissabon
Berlin
Zweimal letzter, einmal vorletzter Platz: Die Bilanz der deutschen Teilnehmer bei den drei vergangenen Auflagen des Eurovision Song Contests waren nicht gerade von Erfolg gekrönt. So ist der Druck dieses Jahr nicht nur auf die Musiker groß. Auch die Veranstalter des Vorentscheids, der gestern Abend in Berlin stattfand, haben Maßnahmen getroffen: So sollten nicht allein die Zuschauer am Telefon die Entscheidung treffen. Zusätzlich gab es eine Jury bestehend aus 20 internationalen Experten, die bereits in ihren jeweiligen Heimatländern in der ESCJury saßen. Zusätzlich durften noch 100 ausgewählte Fans des europäischen Liederwettbewerbs ihre Stimme abgeben. Sie sollten das Fernsehpublikum repräsentieren.
Doch ein Missgeschick konnte nicht einmal dieses ausgeklügelte System vermeiden – zumal es für die Fernsehzuschauer gleich zu Beginn der Show er- und offensichtlich war: Die Bühne hatte die Form eines Penis. Den zu erwartenden Shitstorm auf Facebook, Twitter und Co. nahm das Moderatorenpaar Linda Zervakis und Elton gleich vorweg. Zu Beginn der Sendung machte die Nachrichtensprecherin – passend in einem Tagesschau-blauen Einteiler gekleidet – die Zuschauer auf das Malheur aufmerksam. Elton witzelte: „Das ist unser Glied für Lissabon.“
Das „Lied für Lissabon“steuerten die sechs vorher erlesenen Kandidaten bei. Und die präsentierten eine breite musikalische Vielfalt. Die Auftritte eröffnete die Georgierin Natia Todua. Die quirlige 21-Jährige mit den Dreadlocks präsentierte ihren Song „My Own Way“. Um den persönlichen Lebensweg ging es auch im Lied von Michael Schulte. Der Popmusiker aus Buxtehude – „gibt es tatsächlich“, wie er selbst kommentiert – sang über seinen verstorbenen Vater. „You let me walk alone“hieß seine emotionale Soulballade.
Weniger Gänsehaut-Stimmung als Bierzelt-Atmosphäre vermittelten die fünf Musiker der Volksmusik-Kombo „Voxxclub“. Mit ihrem „I mog di so“bewiesen sie, dass elektronische Beats und Mundart keine unvereinbare Mischung sind. Weniger an Andreas Gabalier und mehr an die Folk-Band „Mumford and Sons“erinnerte Xavier Darcy, der auch allein die Bühne rocken konnte. Nicht ganz allein war Ryk alias Rick Jurthe. Der Hannoveraner brachte eine Ballerina mit auf die Bühne. Für seine Rockballade „You and I“bekam er stehende Ovationen. Viel Beifall erntete auch Ivy Quaino, die für ZuSong schauer der Sendung „Voice of Germany“keine Unbekannte ist: Sie gewann die erste Staffel der Show. Doch Deutschlands Stimme wurde gestern nicht die für Lissabon.
Der Vorentscheid präsentierte sich ähnlich eines Mini-EurovisionSong-Contests. Während die Musiker nach ihrem Auftritt auf großen Ledersofas das Ergebnis erwarteten, verteilte die dreigeteilte Jury Punkte. Nach und nach musste ein Kandidat nach dem anderen mit schmerzlichem Lächeln zum Abschied in die Kamera winken.
Am Schluss blieb nur noch einer: Michael Schulte mit den lockigen roten Haaren – der nicht nur vom Aussehen her eine gewisse Ähnlichkeit zu dem britischen SingerSongwriter Ed Sheeran hat. Auch musikalisch dürften die beiden auf einer Wellenlänge liegen. Am 12. Mai beim ESC-Finale in Lissabon wird Schulte zeigen, ob er mit seinem Lied nicht nur die Herzen, sondern auch Punkte gewinnt. Das Gute für ihn: Eigentlich kann es fast nur besser laufen als in den vergangenen Jahren.