Mit vier Ohren schwierigen Menschen begegnen
Was abstrakt klingt, ist die Lehre von Schulz von Thun, die Mediator Hermann Müller in praxisnahe Beispiele verpackt. Dabei zeigt sich: Die meisten nehmen es erst einmal persönlich / Serie (3)
Markus hetzt die Stufen ins Büro hinauf. Ein Blick auf die Uhr verrät ihm: Er ist 30 Minuten zu spät. Das passiert ihm sonst nie. Und noch etwas ist anders. An der Bürotür angekommen, empfängt ihn auch noch sein Chef mit den Worten: „Heute sind Sie aber spät dran!?“Wie Markus nun darauf reagieren wird, sagt viel darüber aus, wie er mit diffizilen Situationen umgeht und wie er auf schwierige Menschen einzugehen in der Lage ist.
Mediator und Coach Hermann Müller aus Schwabmünchen zieht zur Erklärung die Lehre des Psychologen und Kommunikationswissenschaftlers Schulz von Thun heran und erklärt sein Kommunikationsquadrat, in dem – bildlich gesprochen – jeder Mensch vier Ohren nutzen könnte. Zumindest rein theoretisch. In der Praxis sieht das anders aus. „80 Prozent der Menschen hören hauptsächlich auf dem Beziehungsohr“, erklärt Müller. Das heißt, dass sie es im Zweifelsfall immer erst einmal persönlich nehmen, wie man ihnen begegnet.
Wäre Markus einer dieser Menschen, würde er vermutlich sauer auf den Hinweis seines Chefs reagieren und in sein Büro flüchten. Gehört Markus hingegen zu den Menschen, die die Fähigkeit besitzen, ihr sachorientiertes Ohr hören zu lassen, würde er vielleicht so antworten: „Stimmt. Ich bin 30 Minuten zu spät.“
Die zwei weiteren Ohren im Kommunikationsmodell nach Thun sind das Bedürfnis und der Appell, die sich im Grunde gar nicht so unähnlich sind und lediglich eine andere Sichtweise offenbaren. Im Bedürfnis-Ohr kommt die Frage des Chefs bei Markus so an: „Ich wünsche mir, dass du pünktlich bist.“Auf dem Appell-Ohr kommt es als Aufforderung an: „Sei bitte künftig pünktlich.“
Möglichkeiten, in eine schwierige Situation zu geraten oder in ein Gespräch mit einem „schwierigen Menschen“, gibt es tagtäglich. Im Berufsleben. In der Partnerschaft. In einer Familie. Immer und überall gibt es Situationen wie diese, die – wohl reflektiert – vielleicht gar nicht die Bezeichnung „schwierige Situation“bekommen müssten.
Der Schlüssel ist dabei das Training der verschiedenen Hörweisen. Denn in jeder Situation herrscht dieselbe Ausgangssituation vor, weiß der Mediator: „Sender und Empfänger treffen aufeinander. Und in 80 Prozent aller Fälle kommt es zum Missverständnis.“Unterschiedliche Vorstellungen, Ziele, Worte und Sprachen führen zu diesen Missverständnissen.
Wer in jeder Situation Interesse daran zeigt, warum die Situation als „schwierig“angesehen wird, tut den ersten Schritt in die richtige Richtung. Markus, der zu spät kam, kann Verständnis aufbringen, wenn er weiß, dass ein wichtiges Meeting ansteht und nun keine Zeit mehr ist für eine kurze Absprache.
Mit diesem Verständnis in der Tasche geht es darum, sich zurückzunehmen und vielleicht dem Gegenüber mit hochrotem Kopf die Chance zu geben, Dampf abzulassen. Ein Abklopfen der Situation und der Aussage mit den unterschiedlichen Hörsinnen kann ein gangbarer Weg sein.
Hinzu kommen allerdings noch weitere Komponenten, die entscheidend sind. „Körpersprache und Stimmgebung machen 93 Prozent des Wirkungsanteils in einer Kommunikation aus“, weiß Müller. Nur sieben Prozent entfallen auf die Worte selbst. Körpersprache zu trainieren, ist in diesem Zusammenhang eine gute Idee. Distanz zu wahren und nicht auf Konfrontation zu gehen, sind dabei die entscheidenden Faktoren.
Bei der Stimme wird das deutlich schwieriger. Die Bauchstimme ist grundsätzlich die Ruhigste, doch bei Aufregung steigt die Stimmlage ganz von allein an, erklärt Müller. Auch kommen diejenigen besser mit schwierigen Menschen und Situationen zurecht, die einen guten Mix aus Fachintelligenz, emotionaler Intelligenz und Systemintelligenz in sich tragen.