Kein Mann wie dieser
Jared Leto ist Hollywoodstar, Star-Model – und Rockstar. Wie das? Eine Erkundung beim Konzert in München
München
Da steht er, hüpft er, winkt er, Sonntagabend, wieder auf einer Bühne mitten in einem begeistert tosenden Zuschauerraum, diesmal im Herzen einer mit 11 500 Fans ausverkauften Olympiahalle in München – und zwischen Rauschevollbart und Kopfhaarmatte blitzen die so heiß umschwärmten blauen Augen belustigt in die Kamera, die daraus ein riesiges und freudig bekreischtes Bild auf der Videoleinwand macht. Ja, 46 Jahre alt und noch immer eine Sahneschnitte, der Mann. Ob es daran liegt, dass ihm zuletzt so viel Großes widerfuhr?
Jared Leto. Bereits zuvor war der zartgesichtige Sohn einer US-Hippie-Mama in der Spur, sich die beiden meistgeträumten Kindheitsträume zu erfüllen: Hollywoodschauspieler und Popstar zu sein. Und zwar betont unabhängig voneinander. Denn mit seiner Band 30 Seconds to Mars ist er samt schlagzeugendem Bruder Shannon bereits seit 20 Jahren mit stetig steigendem Erfolg aktiv – und ebenso stetig arbeitete er sich über das Fernsehen in den Neunzigern in immer größere Filmengagements empor. Nicht selten wussten die Fans des einen Leto kaum vom anderen, so unterschiedlich waren die Charaktere und Zielgruppen seiner Star-Seiten. Der Rocker ist über bislang vier Alben hinweg zuverlässig einer der Nettigkeit geworden, mit immer ins Hymnische ausgreifenden, gut gelaunten Mitsing-Songs, familientauglich.
Der Schauspieler dagegen ist früh schon einer der Abgründe geworden, meist ein Fall für den Jugendschutz (FSK 16), brutal bis radikal, psychotisch bis psychedelisch: In „Der schmale Grat“und „Fight Club“, „American Psycho“und „Requiem for a Dream“, in „Lord of War“und „Mr. Nobody“. Und dann in den vergangenen Jahren eben (direkt nach dem Ende einer vierjährigen Beziehung mit StarSchauspielerin Cameron Diaz): der Oscar für das Spiel als Transsexueller im Aids-Drama „Dallas Buyers Club“, tragende Rollen als Joker in der neuen Superheldengang „Suicide Squad“und als Bösewicht in der Kult-Fortsetzung „Blade Runner
2049“. Jared Leto ist auf dem Weg zum Hollywood-Superstar – als im Wahn schillernde Grenzfigur.
Wenn es überhaupt eine Art Brücke zum Rocker gibt, dann ist es das dritte Feld, auf dem er Star ist: 2017 von als „stylishster Mann der Welt“gekürt, für die Top-Marke Gucci als Top-Model fungierend, tritt der zeitgemäß androgyn zum Vollbart wirkende Jared Leto stets auffallend, vielseitig mutig, tabufremd hip auf. Und so ist er eben auch an diesem Abend in München überm hellblauen Jackett und der roten Jogginghose in ein leuchtend orangenes Wickeltuch gehüllt – bevor er sich als auf simpelste Art netter Unterhalter enthüllt.
Das einzig Geheimnisvolle am Konzert ist der dunkle Sarkophag,
20 Minuten lang mit Sphärenmusik bedröhnt, der zu Anfang inmitten des Publikums steht. Sobald sich das Ding öffnet und Bühne wird, nimmt eine an Kreativität und Dauer aufs für dieses Format Minimale beschränkte Unterhaltung ihren Lauf: samt Jubellautstärke-Wettspielen und Riesenballon-Bespaßung. Einzig störend könnte wirken, dass auf der Bühne bloß Jared und Bruder Shannon sind, weil sich der dritte Mann von 30 Seconds to Mars, Tomislav Milicevic, wegen „privater Probleme“aus der Tour zurückgezogen hat und damit wesentliche Teile des Sounds aus dem Schatten kommen. Aber nochmal: Reicht nicht ohnehin die in einer Rolle aufgehende Sahneschnitte? Also auch dafür, dass Leto mit dieser Band und jetzt einer großen Tour, mit dem neuen Album demnächst und dazu auch als Headliner von Riesenfestivals wie Rock am Ring und Rock im Park zum Rock-Superstar wird – quasi als schillernder Normalo?
Nein, es ist natürlich nicht allein die Sahneschnitte. Denn Leto spielt ja tatsächlich abgründig gut, und er singt eigentlich auch mehr als nett. Aber zum „Super“als Schauspieler macht ihn die Kreativität von Regie und Drehbuch. Zum „Super“als Musiker fehlt ihm offenbar die eigene Kreativität. Aber zu seinem einfachen Vergnügen und dem seiner Zuschauer reicht’s allemal.