„Mit Musik zu leben, ist ein Geschenk“
Das Augsburger Ensemble um Alexandrina Simeon stellt sein zweites Album vor. Im Interview spricht die gebürtige Bulgarin über musikalische Freiheit und Lob aus dem Internet
Wie beschreiben Sie den musikalischen Stil des neuen Albums Ihres Quintetts? Simeon:
Die Musik lässt sich als bulgarischer Vocal-Jazz charakterisieren. Denn meine Absicht war es, auf dem Album die Rhythmen und den Spirit meiner Heimat zu verarbeiten und mit westeuropäischem Jazz zu verbinden. Dazu habe ich Gesangselemente aus der klassischen Folklore herausgegriffen und auch in den Texten, die teils auf Bulgarisch sind, habe ich mich von meiner Heimatstadt Varna am Schwarzen Meer und ihrem Flair inspirieren lassen.
Daher auch der Titel „Ocean Tales“?
Simeon:
Ja richtig! Einer der Songs auf dem Album, „Dove Over Black Sea“, ist schon etwas älter. Je länger wir an der neuen Platte gearbeitet hatten, desto stärker wurde deutlich, dass jedes Stück darauf etwas mit dem Meer zu tun hat: Mal ist es wild und mitreißend, mal ruhig und man kann sich treiben lassen.
Welche Rolle spielt in diesem Konzept die jazz-typische Improvisation? Simeon:
Dafür muss natürlich stets genug Freiraum bleiben. Wir alle sind genau wegen dieser kreativen Freiheit zum Jazz gekommen und finden dort ideale Bedingungen, um unsere Persönlichkeiten zu entfalten. Das wird auch nie langweilig, denn keine Jamsession, kein Konzert ist dadurch wie das vorherige. Besonders klasse ist auch, dass wir den Benny Brown aus der Band von Roger Cicero als GastTrompeter gewinnen konnten. Ohne jede Vorgabe hat er sich perfekt in vier Stücke auf dem Album eingebracht und deren Stimmung getroffen.
Wie lässt sich diese Spontaneität auf einer CD einfangen? Simeon:
Wir haben das komplette Album gemeinsam eingespielt. Man würde die fehlende Interaktion spüren, wenn wir unsere Parts nacheinander aufgezeichnet hätten. Es wäre nicht das Gleiche! Und auch bei den Studioaufnahmen sind wir flexibel geblieben: Wie lang die einzelnen Soli sein sollten, haben wir zum Beispiel nicht im Voraus festgelegt. Da haben alle freie Hand. Somit bleibt auch auf einer Tonaufzeichnung die Spontaneität erhalten. Unsere Dynamik als Band ist jedenfalls in jedem Song zu hören.
Nächstes Jahr feiert ihr Quintett bereits sein zehnjähriges Bestehen. Wie fanden Sie zueinander? Simeon:
Die meisten von uns kennen sich schon seit etwa zehn bis zwölf Jahren – nicht nur menschlich, sondern auch musikalisch, denn wir haben schon in ganz verschiedenen Formationen zusammen gespielt. Ausschlaggebend für die Gründung des Quintetts war die individuelle Klasse all meiner Mitmusiker, die sich immer wieder als unglaublich offen, aufgeschlossen und kreativ offenbart haben. Wir sind richtig zusammengewachsen, und gerade beim Jazz ist diese Art der Harmonie sehr wichtig.
Für einige Konzerte waren Sie mit der Band sogar in Bulgarien zu Gast. Simeon:
Ganz genau. Mit dem Quintett in meiner Heimat zu spielen war ein starkes Erlebnis! Das Publikum dort ist ganz anders, in gewisser Weise auch kritischer, weil sie die Texte verstehen und Elemente ihrer eigenen Musikkultur in unserem Jazz wiedererkennen. Dementsprechend war es ein tolles Gefühl, als unsere Musik dort super angenommen wurde. Für mich persönlich war es großartig, mit der Band dorthin zurückzukehren, wo ich als Kind zur Musik gefunden habe.
Simeon:
Ich stamme aus einer Musikerfamilie. Meine Eltern haben klassische Instrumente gespielt, meine Großmutter war lange Zeit Opernsängerin. Hin und wieder nahm sie mich auf Proben mit – das hat mich begeistert. Sie hat mir auch beigebracht, worauf es beim Singen ankommt und wie befreiend es sein kann! Überhaupt ist es für mich ein Geschenk, mit Musik zu leben.
„Ocean Tales“ist seit März erhältlich, wie fällt das Feedback bisher aus? Simeon: Über die tollen Möglichkeiwunderbaren ten des Internets haben schon viele Leute unser Album hören können. Einfach unglaublich ist zum Beispiel, wenn sich jemand aus Japan meldet, weil er online auf die Platte gestoßen ist und sie ihm gefallen hat. Das ist ein schönes Gefühl, von einem weit entfernten Fremden ein so nettes Kompliment zu bekommen.
Wie ausgeprägt ist denn die Jazz-Szene hier in Augsburg? Simeon:
Es ist ein über viele Jahre gewachsener Kreis an kreativen Musikern und musikbegeisterten Zuhörern. Und sowohl bei den Künstlern, als auch bei den Gästen gibt es stetig Nachwuchs. Besonders freut es mich, wenn Jugendliche und junge Erwachsene aus Neugier vorbeikommen und feststellen, dass ihnen gefällt, was sie da hören. Viele Leute sieht man dann immer wieder und es werden immer mehr. Und uns macht es ein Stück weit natürlich stolz, dass wir mit unserer Musik einen Beitrag zu dieser Szene leisten.