Fahrradstadt!?
Im Jahr 2012 hat Augsburg das Schlagwort „Fahrradstadt 2020“verpasst. Eine ganz persönliche Zwischenbilanz
Keine Frage, ich habe Glück. Mein täglicher Fahrradweg verläuft etwa zur Hälfte entlang der Wertach. Wunderbar, schon bevor es die Fahrradstadt 2020 gab. Dann den Berg hinauf zur Gögginger Bahnbrücke. Dort, an der Kreuzung zur Stettenstraße endlich klare Verhältnisse durch eine Radlerampel. Danke, auch wenn sie unglücklich geschaltet ist. Hermanstraße – schlimm, keine Verbesserung. Königsplatz, alles neu und aus meiner Sicht besser als früher. Kann sich noch jemand erinnern, als auch auf der Ostseite Autos fuhren? Dann Innenstadt. Es holpert. Aber ich könnte bis 11 Uhr durch die Fußgängerzone fahren. Das Fazit: Manches ist besser geworden, die spür- und sichtbare Sensation fehlt noch. Und bis 2020 bleibt noch so viel zu tun, dass es gar nicht zu schaffen ist. Das war schon lange absehbar.
Der Blick ins Archiv zeigt: 2012 tauchte das Projekt Fahrradstadt 2020 in der Öffentlichkeit auf. Das Ziel war, mehr Menschen aufs Rad zu bringen – perfekte Idee. Von Millionen war die Rede, doch der Kampf ums Geld war über Jahre mühsam. Der Eindruck: Augsburg hat sich einen sehr hübschen großen Anzug angezogen, der aber ein paar Nummern zu groß war. So wie der Zehnjährige, der in Papas Sakko schlüpft, es bei weitem aber nicht ausfüllen kann. Man kann zwar hineinwachsen, aber das dauert eben seine Zeit – und bei der Fahrradstadt sicherlich über das Jahr 2020 hinaus. Augsburg, das muss man auch sagen, ist da nicht alleine. München hat sich ganz bescheiden zur Radl-Hauptstadt ausgeruDer fen, um nun im Jahr 2018 diese große Kampagne. Dagegen war der Augsburger „Anzug“tatsächlich bescheiden. Im besten Fall hätte die Stadt schnell hineinwachsen können. Es gab aber ein paar Wachstumsdellen. Da war das liebe Geld – ein Grundsatzbeschluss ist schneller gefällt, als Millionen in den Haushalt gepackt. Da war der Schmerz – wenn man Parkplätze oder Fahrbahnen zugunsten von
Radlern streicht, tut das weh. Stadtrat gönnte sich dazu teils ausgiebige Debatten. Aber vielleicht muss das so sein. Natürlich wünsche ich mir als Radler mehr: breite Wege etwa, eine klare Verkehrsführung und vernünftig geschaltete Ampeln. Rücksichtsvolle Autofahrer. Und das alles schnell. Warum? Weil Radfahren in Augsburg toll ist und allen gut tut. Weniger Autos, weniger Lärm, ... Zugleich muss ich mir eingestehen: Vielleicht braucht alles eben doch seine Zeit, müssen sich Autofahrer darauf einstellen, dass Radler echte Verkehrsteilnehmer sind und Radler lernen, wie man sich als gleichwertiger Verkehrsteilnehmer benimmt. Das ist das Ziel: das Rad als selbstverständliches Verkehrsmittel. Dafür muss man mit den Leuten reden – die Stadt plant eine Kampagne. Gerne, dann hat vielleicht bald ein Arm die richtige Größe für den Anzug Fahrradstadt. Und man muss den Leuten zeigen, dass man es ernst meint: Ja, mit kleinen Verbesserungen aber auch mit sichtbaren, die einen begeistern. Von mir aus eine grün, gelb, blau oder sonst wie markierte Komfortroute in einen Stadtteil. Ob Augsburg dann 2020 Fahrradstadt ist oder nicht – egal. Aber man will spüren, dass es alle ernst meinen. Marcus Bürzle, 42, kam eher durch Zufall zum Fahrrad. Nun fährt er täglich in Augsburg. *** Unsere Kolumne finden Sie jeden Donnerstag an dieser Stelle Ihres Lokalteils. Nächste Woche: „Mein Augsburg“mit typisch Augsburgerischen Ansichten und Geschichten.