Zeit für eine Pause
Forscher schlagen Alarm: Wir sind eine Gesellschaft, die den Schlaf nicht schätzt, und Deutschland eine übermüdete Nation. In vielen Bereichen muss sich dringend etwas ändern
Berlin Der frühe Vogel fängt den Wurm? Morgenstund’ hat Gold im Mund? Nicht für Schlafforscher Hans-Günter Weeß. „Wir sind eine Gesellschaft, die den Schlaf nicht schätzt“, kritisiert der Psychologe, der auch Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin ist. Im Ergebnis sei Deutschland im Vergleich zu Nachbarländern eine übermüdete Nation. Die Nachteile begännen schon beim frühen Schulbeginn. Ein Überblick:
● Schule In Deutschland beginnt sie meist zwischen 7 und 8 Uhr. Das ist deutlich früher als in vielen Nachbarländern, die oft erst ab 8.30 Uhr starten. „Wenn wir unser Bildungssystem reformieren wollen, sollten wir ernsthaft darüber nachdenken, die Schule später beginnen zu lassen“, sagt Weeß. Studien hätten belegt, dass vor allem Teenager Ma- um 9 oder 10 Uhr deutlich besser lösten als um 8 Uhr. Bei Grundschülern gebe es bei der Konzentrationsleistung einen belegten Zusammenhang zwischen der Entfernung der Schule zum Wohnort. Wer um 6 oder 7 Uhr im Schulbus sitzen muss, hat demnach schlechtere Karten.
● Arbeitswelt In Umfragen sprechen sich zwei Drittel der Eltern gegen einen späteren Schulbeginn aus, weil sie in ihren Berufen keine flexiblen Arbeitszeiten haben. „Daran sehen wir, dass das ein gesamtgesellschaftliches Problem ist“, meint Weeß. „Dabei brauchen wir alle mehr Schlaf. Wir müssen die Arbeitswelt anpassen.“Im Moment passiere aber eher das Gegenteil. Statt Acht-Stunden-Tage dehne sich die Arbeitszeit durch Internet und mobile Medien immer weiter aus. „Wir sind bald eine 24-Stun- den-Non-Stop-Gesellschaft“, kritisiert Weeß. Die Folge: Laut Studien gibt es pro Jahr rund 200 000 Fehltage auf Grund von Schlafstörungen. „Das heißt, jedes Jahr gehen der deutschen Wirtschaft 60 Milliarden Euro durch die Übermüdung ihrer Mitarbeiter verloren.“
Wenn ein Mensch in einem Monat an mindestens drei Nächten in der Woche kaum einschlafen oder durchschlafen kann, braucht er nach Ansicht von Schlafforschern Hilfe. Deutliche Anzeichen für Übermüdung sind Gereiztheit, Kopfschmerzen und Magen-Darm-Probleme. Der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin zufolge leiden in Deutschland sechs Prozent der Bevölkerung an chronischen Schlafstörungen – das sind rund 4,8 Millionen Menschen.
● Schlafbedürfnis Für Forscher steht fest: Bei jedem Menschen gethematik-Aufgaben ben die Gene vor, wie viel Zeit er im Bett verbringt. Für die meisten sind das zwischen sechs und acht Stunden. Einige brauchen noch mehr, andere weniger Schlaf. Freiwillige Frühaufsteher und überzeugte Nachteulen folgen dabei ihrer inneren Uhr. „Solche Anlagen können wir uns nicht abtrainieren“, erklärt Wissenschaftler Weeß. Der individuelle Biorhythmus lasse sich nicht austricksen. Ein Leben gegen die innere Uhr münde meist in Erschöpfung. Und: Ein Mittagsschlaf helfe nur, wenn er nicht länger als 15 bis 20 Minuten dauere.
Frauen schlafen übrigens länger als Männer. Allerdings gelten sie als anfälliger für Schlafstörungen. Hierbei spielt ihre Psyche eine Rolle – Frauen lassen Probleme dichter an sich heran und nehmen sie leichter mit ins Bett. Anspannung aber gilt als Hauptfeind des Schlafs.