Es wird gelacht und getanzt
WM Stimmung Fans aus aller Welt feiern beim Public-Viewing in Moskau. Sie haben aber mit einem Problem zu kämpfen
Moskau An der Nikolskaja-Straße in Moskau ist kein Durchkommen mehr. Die vor wenigen Jahren gestaltete Fußgängerzone führt eigentlich direkt zum Roten Platz, doch dieser ist in diesen Tagen ohnehin gesperrt. Die Nikolskaja aber strahlt. Nicht nur wegen der herunterhängenden, bunten Beleuchtung, die ein wenig an verkitschte Weihnachtsdekoration erinnert. Sie strahlt, weil an diesem Abend hier alle strahlen. Russen, Mexikaner, Australier, Argentinier oder Peruaner. Sie überbieten sich in ihren Gesängen und mit ihren Trommeln, selbst die Nigerianer haben den lauten „Rossija, Rossija“-Ruf (Russland, Russland) perfekt drauf.
Russlands „Sbornaja“hatte wenig zuvor das Auftaktspiel gegen Saudi-Arabien 5:0 gewonnen – und alle überrascht. Noch wenige Tage vor der Fußball-Weltmeisterschaft schlief das Land. Den meisten waren die Spiele egal, sie freuten sich höchstens über die ausgebesserten Straßen. Der Sieg der russischen Nationalmannschaft katapultiert die Menschen in Moskau in eine, sie selbst überraschende, Euphorie. Sie ist ihnen noch ein wenig suspekt, „immer wenn wir uns über etwas sehr gefreut haben, kam es danach zu irgendeiner Katastrophe“, sagt einer, doch sie geben sich ihr hin.
Es ist eine kindliche Freude, die berührt. „Russland hat ja ein sehr negatives Image in der Welt. Das Meiste, was man uns vorwirft, stimmt. Leider“, sagt ein 48-jähriger Mann, der sich in der Nikolskaja-Straße als „Iljitsch“vorstellt. „Doch jetzt haben wir die Welt bei uns, können mit unserer Menschlichkeit, mit einfachen, kurzen Treffen so etwas wie eine Annäherung feiern.“Er hebt einen Plastikbecher mit Bier hoch und stimmt in den lauten Gesang der Argentinier ein, egal, wie falsch die Worte aus seinem Mund herauskommen.
Von dieser „Annäherung“spricht auch Gleb, der sich eine Perücke in Weiß-Blau-Rot, der russischen Trikolore, über den Kopf gezogen hat und mit seinem neunjährigen Sohn Andrej noch vor dem ersten Spiel auf dem Manege-Platz unweit des Kremls von einer Fan-Gruppe zur nächsten zieht. Die beiden Moskauer haben sich vorgenommen, mit Fans aus jedem WM-Land ein Selfie zu machen. „Toll, welche Stimmung gerade die Lateinamerikaner hier verbreiten.“
Und alle bemühen sich „mitzumachen“. Es gelingt nur nicht immer. Vor allem an der Sprache scheitert manche Völkerfreundschaft. Selbst die immerwährend lächelnden jungen Freiwilligen, die vor allem den Weg zu Toiletten und der nächsten Metrostation weisen müssen, haben zuweilen Schwierigkeiten. Sie leiern zwar begeistert ihre „Herzlich Willkommen zur WM in Moskau, genießen Sie Ihren Aufenthalt“-Sprüche auf Englisch herunter, doch auf so manche Fragen der Fans antworten sie nur stockend. „Wann macht die Fan-Zone auf?“, fragt die Peruanerin Sandra Sanchez unweit der Moskauer Universität hoch über der Stadt. Die Freiwillige vor ihr lächelt, bleibt stumm. „Immerhin lächelt sie. Hier lächeln so wenig Menschen“, hat die 36-Jährige festgestellt, deren Kindheitstraum es war, einmal nach Moskau zu kommen. Die WM sei der richtige Anlass gewesen, sich Russland anzuschauen. Sandra Sanchez begleitet das peruanische Team auch nach Jekaterinburg in Sibirien und in die kleinste Austragungsstadt Saransk in Mordwinien.
„Ich bin überrascht über so viel Natur in der Stadt, aber auch im Land, wir sind mit dem Zug von Nischni Nowgorod nach Moskau gekommen“, erzählt Freddy aus Costa Rica. Doch auch er bemängelt die Sprachschwierigkeiten. Quer durch die Stadt sieht man wild gestikulierende Fans, die in ihre Übersetzungs-Apps etwas eintippen, dem Taxifahrer oder der Verkäuferin zeigen, es mit einem Lächeln probieren, den Kopf schütteln, noch einen Versuch wagen und zuweilen auch mal ein Lied anstimmen.
Die Annäherung funktioniert vor allem dort, wo sich Fans versammeln. Die Menschen umarmen sich und tanzen miteinander, dafür brauchen sie weder Russisch noch Englisch. Ein paar Straßen weiter geht der Moskauer Alltag weiter. „Ach, unsere Mannschaft hat gewonnen? Vielleicht haben sie den Saudis einfach genug Geld dafür bezahlt, dass sie sie gewinnen lassen?“, sagt eine Frau im Bus in den Westen der Stadt und nimmt einem Jungen in russischer Fan-Montur die Freude am Jubel.