Wer hat in der Schule das Sagen?
Was und wie Schüler am besten lernen, entscheidet jedes Bundesland für sich. Jetzt zeigt eine exklusive Umfrage unserer Zeitung: Die Mehrheit der Bayern will es anders
Augsburg
Jetzt haben sie es geschafft. Mehr als sechs Wochen lang quälten sich Bayerns Gymnasiasten durch die Abituraufgaben. An den Realschulen hat der Stress erst angefangen, dort laufen die Abschlussprüfungen noch bis Anfang Juli. Und wie jedes Jahr wird am Ende jemand sagen: Die Prüfungen in Bayern sind die schwersten. Denn die Aufgaben sind je nach Bundesland unterschiedlich.
Gleichzeitig ist die Mehrheit der bayerischen Bürger der Meinung, dass das Schulsystem deutschlandweit mehr Gemeinsamkeiten braucht. Wie eine exklusive Umfrage unserer Zeitung durch das Meinungsforschungsinstitut Civey zeigt, wünschen sich gut 58 Prozent der Menschen im Freistaat, dass wichtige Entscheidungen in der Bildungspolitik vom Bund getroffen werden und damit deutschlandweit gültig sind. Ein Drittel der Bayern möchte, dass weiter die Landesregierung wegweisende Inhalte bestimmt. 9,1 Prozent sind in dieser Frage unentschieden.
Bislang hat die Bundesregierung in Sachen Bildung wenig zu melden. Was, wo, wie und wie lange die Schüler lernen, bestimmen allein die Länder. Deswegen ist das Bildungssystem in der Bundesrepublik ein großer Flickenteppich. Während in Bayern zum Beispiel die Grundschule vier Jahre dauert, wechseln Schüler in Brandenburg erst nach der sechsten Klasse auf eine weiterführende Schule. Und während der Freistaat ab Herbst zum neunstufigen Gymnasium zurückkehrt und man in Baden-Württemberg dasselbe erwägt, erlangen Schüler in den östlichen Bundesländern weiter nach acht Jahren die Hochschulreife. Bei den Abituraufgaben gibt es inzwischen einen gemeinsamen Pool für alle Länder. Ob sie sich daraus bedienen, liegt aber in ihrer eigenen Hand. Außerdem können Bundesländer die Aufgaben dem Wissensstand der Schüler anpassen. Ab 2021, so entschieden die Kultusminister kürzlich gemeinsam, soll zumindest das nicht mehr erlaubt sein.
In Bayern, dessen Schüler in bundesweiten Vergleichtests neben den sächsischen regelmäßig an der Spitze landen, will man sich vom Bund nicht dreinreden lassen. Auf Anfrage sagt Kultusminister Bernd Sibler (CSU): „Die Bildungshoheit der Länder ist ein wertvolles Gut.“Denn die Verantwortung für das eigene Bildungssystem garantiere den Menschen in Bayern Entscheidungen, „die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind und regionale Besonderheiten berücksichtigen“. Außerdem führe ein Wettbewerb zwischen den Ländern zu einer Qualitätssteigerung. Unter den Wählern der CSU halten sich Befürworter und Gegner einer Verlagerung wichtiger Entscheidungen zum Bund etwa die Waage. Bei der SPD
(81,4 Prozent) und den Grünen
(76,9 Prozent) hingegen votiert eine deutliche Mehrheit für mehr Einfluss der Bundesregierung.
Kritikpunkte am Bildungsföderalismus gibt es zuhauf: Eltern beklagen, dass es schwierig ist, von einem Bundesland ins andere umzuziehen. Kinder bräuchten oft lange, sich in ein neues Schulsystem einzuleben. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, bemängelt, dass die Noten sich über die Bundesländer hinweg nur schwer vergleichen lassen. „Ein Pisa-Abgleich der Schulnoten hat mal ergeben, dass eine 2 in Nordrhein-Westfalen eine 3 in BadenWürttemberg und eine 4 in Bayern ist“, sagte er jüngst unserer Zeitung. Wo die Prüfungen leichter und die Ansprüche der Lehrer niedriger sind, häufen sich die guten Noten – und das Bild der tatsächlichen Leistungen wird verzerrt. Dennoch befürwortet Meidinger, dass jedes Land sein Schulsystem selbst verantwortet: „Bildungsfragen können besser gelöst werden, wenn die Zentrale nicht zu weit weg ist.“
Dennoch: Ein paar wichtige Entscheidungen kann der Bund künftig treffen. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD sieht vor, dass der Bund die Länder beim Digitalausbau finanziell unterstützen darf. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat Ländern und Kommunen fünf Milliarden Euro versprochen. Doch auch sie ist eine Befürworterin des Bildungsföderalismus. Im Gespräch mit unserer Zeitung betonte Karliczek vergangene Woche: „Es ist gut, dass sich die Länder darum kümmern. Dass der Bund das besser kann, glaube ich nicht.“