Zu Hause ein König
Das Donauschwäbische Zentralmuseum Ulm zeigt die teils pompösen Häuser, die Arbeitsmigranten aus Südosteuropa in ihrer Heimat errichten. Die Geschichten hinter ihnen sind manchmal tragisch
Ulm
Zwei- oder dreimal im Jahr, im Sommer, zu Weihnachten und zu Ostern, erwachen die weitgehend verlassenen Dörfer im rumänischen Hinterland zum Leben. Dann kommen die Leute in ihre Häuser zurück. Es sind Paläste, mit Türmen und Erkern, Glas- oder Stuckfassaden, mit glänzenden Edelstahltoren vor Einfahrten, manchmal groß genug für mehrere Mercedes. Es ist, als kehrten Könige und Königinnen heim. Doch in den restlichen elf Monaten des Jahres sind die Monarchen Bauarbeiter, Altenpfleger, Putzfrau, Plantagenhelfer. Nicht in ihrer Heimat, sondern in Deutschland, Frankreich, Italien.
Diese Protzbauten, errichtet oft auf dem Familiengrund gleich neben den Häusern der Eltern und Großeltern, widmet derzeit das Donauschwäbische Zentralmuseum Ulm die – überwiegend aus Fotografien bestehende – Ausstellung „Schöne neue Welt“. Sie entstand ursprünglich für das Berliner Museum Europäischer Kulturen, in Kooperation mit dem rumänischen Kulturinstitut in der Hauptstadt. Für Ulm wurde sie um Beiträge aus dem früheren Jugoslawien ergänzt: 2017 reisten Ethnologen und Fotografen durch Kroatien und Serbien, um dort nach den gebauten Spuren der Arbeitsmigration zu suchen.
Die aus westlicher Sicht bizarr anmutenden Träumhäuser prägen seit Jahren das Bild der Dörfer in abgehängten Regionen wie dem Oascher Land oder Maramuresch. Diese Fremdkörper sind ein augenfälliges Symptom der Pendelmigration zwischen Rumänien und Westeuropa. Wie Kuratorin Beate Wild be- richtet, arbeitet jeder fünfte Bürger außerhalb des Landes. Doch die Kontakte zu den Familien daheim sind noch immer eng – entsprechend stark ist der soziale Druck. Wild: „Im Dorf kontrolliert jeder jeden. Wenn man baut, muss es immer ein bisschen größer, ein bisschen schöner und ein bisschen glänzender sein als beim Nachbarn.“Das Haus in ist Statussymbol aus Beton, der gebaute Beweis dafür, dass man es in der Fremde zu etwas gebracht hat. Dass es die meiste Zeit leer steht, tut nichts zur Sache. Die Ethologin Wild deutet die Bauten als Theaterkulisse für ein soziales Schauspiel: Von den Migranten werde erwartet, den Lifestyle ihrer Arbeitsländer in die bäuerliche Heimat zu bringen. Entsprechend zitieren die Häuser oft westliche Prachtarchitektur, während sie innen oft wie ein – nicht unbedingt geschmackvoll zusammengestellter – Showroom eines Möbelhauses wirken. Die Fortsetzung findet diese Status-Perfor- mance häufig in pompösen Hochzeiten, bei denen das ganze Dorf vorgeführt bekommt, wie erfolgreich der Sohn oder die Tochter ist.
„Schöne neue Welt“besteht aus unzähligen Fotografien, die, zusammen mit handlichen Statussymbolen, zu schwebenden Häusern arrangiert sind. Neben den überdimensionierten Wolkenkuckucksheimen zeigt sie aber auch die andere, dunkle Seite des Themas: Bauruinen, deren Zahl seit der jüngsten Weltwirtschaftskrise zugenommen hat, die Lebensbedingungen der Arbeitsmigranten im Westen, die hunderttausenden zurückgebliebenen „Euro-Waisen“, die ohne Eltern aufwachsen müssen und dafür mit mitgebrachten westlichen Konsumgütern entschädigt werden.
Interessant an der Ausstellung, mit der das Museum einen Beitrag zum Internationalen Donaufest Ulm/Neu-Ulm (6. bis 15. Juli) leistet, ist der Vergleich mit Serbien und Kroatien. Auch dort bauten – eine Generation früher – die Gastarbeiter Häuser, die im Schnitt etwas weniger angeberisch wirken als die Märchenschlösser in der rumänischen Provinz. Doch auch sie stehen heute oft leer. Zwar kehrten einige Gastarbeiter zurück, doch wenige fanden in der strukturschwachen Heimat ihr Glück. Ihre Kinder und Enkel fühlen sich längst in Ländern wie Deutschland und Österreich zu Hause – und spüren nicht den Drang, sich auf dem Balkan einen Palast zu errichten.
OAusstellung
„Schöne neue Welt“läuft bis 28. Oktober. Der englischsprachige Katalog „Brave New World. Romanian Mi grants Dream’ Houses“ist für 39,99 Euro im Buchhandel erhältlich.