Liebe auf den zweiten Blick
In ihr Showpferd Gotan war Clémence Faivre sofort vernarrt. Beim künftigen Mann schaute der Stargast des Ritterturnieres Kaltenberg zweimal hin
Manchmal lenkt das Schicksal den Schritt. Gerade für ein Pony reichte das Geld, das Clémence Faivre in der Tasche hatte, als sie vor neun Jahren durch die Stallungen eines Pferdehändlers im andalusischen Chiclana streifte. „Ich suchte ein Pony, um mit ihm Freiheitsdressuren zu üben“, blickt die Französin auf diesen wegweisenden Tag zurück. Wie schon bei allen Pferdehändlern zuvor passte keines der Tiere. Schließlich linste Faivre noch hinter einen Verschlag – und erblickte einen vierjährigen Fuchs, ein eher armseliger Portugiese: klein, aber größer als ein Pony, ohne Papiere. „Ich habe mich sofort in ihn verliebt“, gesteht sie. Und weil das Pferdchen so unscheinbar wirkte, konnte sie es sich leisten.
Zwei Jahre später trat Clémence Faivre erstmals mit dem sechsjährigen Lusitanohengst Gotan öffentlich auf: Sie präsentierte hohe Dressurschule aus dem Sattel und vom Boden. Die Fachwelt war begeistert und Clémence Faivre mit ihrem Gotan plötzlich europaweit für Shows gebucht. „Dieses Pferd hat mein Leben verändert“, erklärt die brünette Französin. Derzeit ist sie mit dem inzwischen 13-jährigen muskelbepackten Gotan und ihrem Zweitpferd, dem achtjährigen Fuego, als Stargast beim Kaltenberger Ritterturnier zu sehen.
Dabei hatte Faivre zunächst keinerlei Interesse an der Dressur. Im Norden von Paris aufgewachsen, sammelte sie erste Reiterfahrungen auf der benachbarten Galopprennbahn.
Eine Schauspielausbildung brach sie ab: „Ich hatte Sehnsucht nach den Pferden.“Schließlich landete sie bei Mario Luraschi in Paris, der seit 14 Jahren mit seinen Pferden und seiner Stunttruppe das Kaltenberger Ritterturnier prägt. Europas führender Pferdetrainer für Shows und Filme bildete die zähe junge Frau zur Stuntreiterin aus, weckte ihre Liebe zu den barocken Pferden – und, mit 21 Jahren ungewöhnlich spät, auch zur Dressur. Heute schwärmt die mittlerweile 37-Jährige von der Einheit mit dem Pferd, der mühelosen Kommunikation. Clémence Faivre ging für zwölf Jahre nach Spanien, verfeinerte ihre Dressurkunst bei Rafael Soto, dem Silbermedaillengewinner 2004 in Athen, und an der Königlich-Andalusischen Reitschule in Jerez de la Frontera.
Und schließlich fand sie Gotan, der ihr, zurück in Frankreich, ein unabhängiges Leben als gefragte Künstlerin ermöglichte. Inzwischen betreibt Faivre ein eigenes Lusitano-Gestüt bei Paris. Die Nachfahren Gotans und Fuegos verkauft sie bis nach Russland und Afrika. Damit habe sie sich einen Traum verwirklicht, versichert die zierliche Reiterin, die ihre Showauftritte mit epischer Musik unterlegt, privat aber am liebsten Jazz und Soul hört und gerne ins Kino geht.
Das Pferd fürs Leben hat Clémence Faivre in Spanien auf den ersten Blick gefunden, den Mann fürs Leben mit der Rückkehr nach Frankreich offenbar erst auf den zweiten: Am 15. September heiratet sie ihren früheren Lehrmeister Mario Luraschi.