EU bereitet sich auf Brexit ohne Vertrag vor
Theresa May hat einen Plan für einen sanften Ausstieg vorgelegt. Die Kommission hält davon wenig
Brüssel
Niemand sollte den 30. März 2019 vergessen. „Dann wird das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlassen.“Mit dieser Mahnung hat die Brüsseler EUKommission am Donnerstag überrascht und deutlich gemacht: Die jüngsten britischen Vorschläge für einen „weichen Brexit“führen nicht weiter. Die Nüchternheit des Papiers lässt keine Zweifel aufkommen: Europa bereitet sich konsequent auf den Abschied Großbritanniens aus der Gemeinschaft vor – mit oder ohne Vertrag. Der Brexit werde „Auswirkungen auf Bürger, Unternehmen und Behörden haben“, warnt die EU-Behörde die Öffentlichkeit. „Dazu gehören beispielsweise wieder eingeführte Kontrollen an der EU-Außengrenze“, also an allen Übergängen zwischen dem europäischen Kontinent und der Insel. Außerdem werde es „Unsicherheiten im Hinblick auf die Gültigkeit von Lizenzen, Bescheinigungen und Genehmigungen sowie uneinheitliche Vorschriften für die Übermittlung von Daten geben“– sofern diese von britischer Seite herausgegeben wurden. Die unerwartete Deutlichkeit der Brüsseler Stellungnahme überrascht: „Zwar arbeitet die EU Tag und Nacht daran, eine Einigung zu finden, die einen geordneten Austritt ermöglicht. Doch wird der Austritt – ob mit oder ohne Einigung – zweifelsohne Störungen verursachen, zum Beispiel in den Lieferketten.“
Erst vor wenigen Tagen hatte die britische Premierministerin Theresa May versucht, Grundzüge eines weichen Brexit in einem Weißbuch zusammenzustellen. Schon da zeigte sich Brüssel frostig, sagte aber immerhin eine gründliche Prüfung zu. Die fand in dieser Woche statt. Erstmals kam gestern Abend auch der neu ernannte Brexit-Minister Londons, Dominic Raab, in die EUHauptstadt. Dass die Kommission schon vorher feststellte, das Vereinigte Königreich werde „nach dem Austritt kein Mitglied der EU mehr sein und daher auch nicht mehr dieselben Vorteile genießen wie die Mitgliedstaaten“kann man zwar als Selbstverständlichkeit verstehen, angesichts des May-Papiers scheint die Aussage jedoch klar: Das Weißbuch hat keinerlei Fortschritte gebracht. Europa soll sich besser auf einen ungeordneten Brexit ohne Vertrag – sprich: Chaos – vorbereiten. Das Papier stammt nicht aus der Feder von Chefunterhändler Michel Barnier, sondern von einer Arbeitsgruppe um den Generalsekretär der Europäischen Kommission, dem Juncker-Vertrauten Martin Selmayr. Das Team spielt seit Monaten mögliche Varianten für den Fall durch, dass es keinen Deal gibt. Die Konsequenzen´ würden gravierend sein.
Aus dem Umfeld Barniers hieß es, die Vorschläge der britischen Regierung „reichten nicht“. Vor allem aber gebe es weiter „keine Lösungen“bei wichtigen Themen wie der Frage, wie die Grenze zwischen Nordirland und Irland aussehen soll. Brüssel sieht in dem Vorschlag aus London viele Widersprüche. So hatte die Premierministerin zwar zugesagt, die EU-Standards einzuhalten, in Streitfällen aber Urteile des Europäischen Gerichtshofes nicht anerkennen zu wollen. Den Binnenmarkt will Großbritannien auf Waren beschränken, Dienstleistungen sollen außen vor bleiben – für die EU inakzeptabel. „Reine Rosinenpickerei“, hieß es dazu in Brüssel.