Bis zum Wirtshaus am Ende der Straße
Der Weg in die Stauden hat ein festes Ziel und führt zu vielen überraschenden Begegnungen (Serie, Teil 2)
Wer ein gutes Schnitzel sucht, findet in nur 0,39 Sekunden mehr als 200 000 Angebote. Statt im weltweiten Netz zu wühlen, kann er sich aber auch zu Fuß auf den Weg machen zu einem Wirtshaus. Dort, wo die Straße zu Ende ist, trifft er dann Katja Höss. Und die weiß, was ein gutes Schnitzel ausmacht. Doch dazu später.
Der Vormittagshimmel ist ein wenig bedeckt, als der Marsch in Reischenau beginnt. In dem Weiler mit der kleinen Kapelle und der Mühle, an der die Zusam vorbeirauscht, ist es ruhig. Eine Katze umschleicht das geparkte Auto, das Lachen der Kinder aus der Kinderkrippe Frohsinn weht herüber. Der Weg führt an der Straße entlang nach Breitenbronn, vorbei an der Weidenwerkstatt von Luzia Birle.
Vor 20 Jahren hat sie mit der Weidenflechterei begonnen, zunächst zum Zeitvertreib und Ausgleich für die Arbeit auf dem Bauernhof. „Über die Liebe zum Garten kam ich auf die Weide,“erzählt Luzia Birle, die notwendigen Kniffe hat sie sich selbst beigebracht. Aus dem Hobby ist eine Profession geworden: die Bäuerin verkauft ihre Produkte auf Märkten und gibt Kurse im Weidenflechten.
Im Hof kniet Luzia Birles Schwägerin Annegreth und zupft Unkraut. Sie ist auf dem Bauernhof groß geworden, als 18-Jährige hat sie Breitenbronn dann den Rücken gekehrt. Aus Schwaben ging es in die Schweiz, im Kanton Zug lernte sie Krankenpflege. „Und dann bin ich in der Schweiz hängen geblieben,“erzählt sie und der Zungenschlag ihrer neuen Heimat schwingt leicht mit.
In der alten, in Breitenbronn, hat sich im Lauf der vergangenen gut 40 Jahre viel verändert. Was Annegreth Birle sofort auffällt: Es gibt viel weniger Bauern als früher.“
Ihre Schwägerin Luzia erzählt später am Telefon, dass es früher mehr als 20 Bauern im Dorf gab. Heute sei nicht einmal mehr ein halbes Dutzend übrig. Und dann sagt sie noch, dass Wanderer in Holzara den schönsten Blick über die gesamte Reischenau vorfänden. Zu spät.
Unser Grenzgänger-Pfad führte schnurstracks nach Ried, ein Stück die B 300 entlang, vorbei an den Schildern, die vor dem asiatischen Laubholzbockkäfer warnen, der dort für Aufregung sorgte. Emil Mairhörmann ist für einen Plausch vom Fahrrad gestiegen, zuvor ist er aus seinem Heimatort Ustersbach über Aretsried und Fischach hierher geradelt.
Das Gespräch über den Gartenzaun ist mühsam, weil erstens seine Gesprächspartnerin nicht mehr gar so gut hört und weil zweitens schwere Lastwagen und Autos auf der Bundesstraße, die hier mitten durchs Dorf führt, im Sekundentakt vorbeirauschen. Morgens und abends, wenn die Berufspendler durchkommen, sei es noch viel schlimmer, klagt die Frau. Sie zeigt auf die Pflanzen, die den Garten umhegen und die sie nicht über Hüfthöhe wachsen lässt: „Sonst sieht man an der Ausfahrt nicht mehr auf die Straße“, und das wäre lebensgefährlich.
„Seit es die Maut für Lastwagen auf der Autobahn gibt, ist es hier viel schlimmer geworden, erzählt Mairhörmann. Jetzt gilt die Maut auch auf Bundesstraßen und bei Thannhausen hat der Ustersbacher schon eine Zählsäule entdeckt. Hat es was geholfen? „Bisher merkt man noch nichts.“
Szenenwechsel nach Wollmetshofen, Ortsteil von Fischach, wo die laute Bundesstraße so unendlich weit weg zu sein scheint. In den Gärten biegen sich die Bäume unter der Last der reifenden Früchte. „Was sollen wir nur mit all dem Obst machen? Letztes Jahr hat es fast gar nichts gegeben“, schnauft ein Mann. Auch das Mosten rentiere sich nicht wirklich. Aber: „Es ist halt dann der eigene Saft.“Rund um die Mariengrotte werden am Tag des Grenzgänger-Besuchs Büsche geschnitten, wird das Gras gemäht. Der Schützenverein feiert an diesem Wochenende Jubiläum, in der 1967 eingeweihten Grotte gibt es einen Gottesdienst. Der Weg nach Wollmetshofen führt durch eine Eichenallee, die mit Warnschildern förmlich gepflastert ist. Der Eichenprozessionsspinner hat sich in diesem Sommer in der Region explosionsartig vermehrt.
Drei Wochen lang waren die Gemeindearbeiter von Fischach damit beschäftigt, die Raupen mit ihren giftigen Haaren abzusaugen. Nächstes Jahr, so befürchten Experten, könnte es noch wesentlich mehr von den Biestern geben, „Hura-Viecher“, schimpft ein Arbeiter in breitem Schwäbisch.
An Schloss Elmischwang vorbei, den Berg hinauf durch den Wald nach Unterrothan. Unterwegs noch der Versuch ein Reh zu fotografieren, das fast am Wegesrand steht und sich dann flott in die Büsche schlägt.
In Unterrothan, dem kleinen Langenneufnacher Ortsteil, endet die Straße. Knapp 20 Häuser, drei Dutzend Einwohner – Anziehungspunkt ist der Gasthof Zur Sonne von Katja und Thomas Höß. Viel los ist nicht unter der Woche, dafür am Wochenende. Das Schweineschnitzel Wiener Art, das aus der Küche kommt, ist frisch aus der Pfanne. Ansonsten stehen Brotzeiten auf der kleinen Karte.
Das ist am Wochenende anders. Thomas Höß präsentiert stolz die Karte. Das Fleisch für den Ochsenbraten stammt vom eigenen Hof, die Sonne hat sich einen Namen gemacht als traditionelles Wirtshaus. „Wir brauchen keine Werbung mehr“, sagt Thomas Höß stolz und erzählt: „Neulich waren sogar Preußen da.“
Die Stammtische schlafen langsam ein
Die Wirtsleute können auch erzählen vom Wandel der Lebensgewohnheiten auf dem Dorf. Früher, da seien die Gäste auch abends hocken geblieben. Heutzutage werde das immer seltener, die Stammtische schlafen langsam aber sicher ein. Katja Höß hat die Wirtschaft vom Vater Alois Schiegg übernommen. Der Senior hilft noch immer mit. Früher gab es auch Fremdenzimmer, die Gäste kamen bis aus Berlin, erzählt Schiegg. Doch das sei vorbei: „Außer Ruhe ist hier nicht viel geboten.“
Die übrigens soll am heutigen Sonntag unterbrochen werden, wenn kurz nach elf Uhr die Oldtimer-Rallye Station macht. 200 betagte Fahrzeuge sollen den steilen Berg hinaufschnaufen und im Ort wenden. Ob sich ein Fahrer Zeit nimmt für die Mittagspause? Das Schnitzel, so viel sei gesagt, hätte es wirklich verdient.