Beherztes Nein zur Kinderehe
Der Fotograf Onur Albayrak weigert sich, Hochzeitsbilder von einer 15-Jährigen zu machen. Das Ganze landet in den sozialen Netzwerken. Nun wird er wie ein Held gefeiert
Istanbul Seit Jahrzehnten kämpft die Frauenbewegung in der Türkei gegen
die Verheiratung von Kindern. Noch immer werden viele junge Mädchen mit 14 oder 15 Jahren von ihren Familien verheiratet (obwohl man laut Gesetz im Regelfall erst ab 18 Jahren heiraten darf). So war es nun auch in Malatya in Ostanatolien. Der Fotograf Onur Albayrak war gebucht worden, um Aufnahmen von einem Hochzeitspaar zu machen. Als er zur verabredeten Stunde im Park erschien, erschrak er: „Ich sah sofort, dass die Braut ein Kind war“, berichtete er. „Darf ich fragen, wie alt die Braut ist?“, fragte Albayrak. „Und ich bekam zur Antwort: ,15 Jahre.‘ Da sagte ich zum Bräutigam, dass ich keine Kinderbräute fotografiere, drehte mich um und ging.“Doch das blieb nicht folgenlos. Der wütende Bräutigam lief ihm nach, beschimpfte ihn und hielt ihn an der Jacke fest. So kam es zu einer Schlägerei, die für den Bräutigam mit einer gebrochenen Nase Bis heute weiß Albayrak nicht, wer die Szene im Park beobachtet und in den sozialen Netzwerken verbreitet hat. Doch das Echo ist überwältigend.
Tausende Briefe, Botschaften und Anrufe aus dem ganzen Land hat er bekommen, in denen ihn die Menschen zu seinem Handeln beglückwünschen. Mehrere Anwälte haben ihm kostenlose Vertretung angeboten, falls er Scherereien bekommt. Und eine alte Dame läutete bei ihm, weil sie ihm die Hände küssen wollte, erzählt Albayrak. „Ich habe diese Hochzeit nicht verhindern können, aber ich bin froh, dass ich die Aufmerksamkeit der türkischen Öffentlichkeit zumindest für ein paar Tage auf dieses Problem lenken konnte“, sagt er. Türkische Frauenverbände fordern schon lange die gesellschaftli- che Ächtung der sogenannten Kinderehen, in denen minderjährige Mädchen mit erwachsenen Männern verheiratet werden. Der beherzte Fotograf hat mit seiner Aktion nun in einer Woche mehr Öffentlichkeit für ihre Forderung geschaffen, als es ihnen sonst in jahrelanger Arbeit möglich ist.
Die Frauenrechtlerin Gülsun Kanat vom Istanbuler Frauenschutzverein Mor Cati ist begeistert. Der Einsatz von Albayrak sei ermutigend für die Frauenrechtsbewegung, sagte sie unserer Zeitung. Dass ein Mann öffentlich für die Rechte von jungen Mädchen eintrete – das zeige ihr, dass ihr Kampf nicht aussichtslos sei. Nach Angaben des türkischen Statistikamtes fiel zwar die Zahl der minderjährigen Bräute in den vergangenen fünf Jahren von sechs Prozent auf vier Prozent aller Eheschließungen. Doch diese Statistik zählt nur die amtlichen Ehen, die von Standesbeamten geschlossen werden. Demnach können minderjährige Mädchen in Ausnahmefällen mit 17 Jahren heiraten, wenn die Elendete. tern zustimmen, nur mit richterlicher Genehmigung auch mit 16 Jahren. Die allermeisten Kinderehen werden aber nicht erfasst, weil sie nicht amtlich geschlossen werden, sondern nur von einem Imam, einem islamischen Geistlichen.
Anfang des Jahres sorgte die staatliche Religionsbehörde für einen Skandal, indem sie verkündete, Mädchen ab neun Jahren dürften nach den Regeln des Islam heiraten. Nach einem Aufschrei der Empörung in der Öffentlichkeit wurde der Ratschlag zurückgezogen.
Fotograf Albayrak will sich weiter engagieren: „Ich werde weiter gegen diesen Missbrauch eintreten, und ich appelliere an alle im Hochzeitssektor, das auch so zu machen“, sagt er. Wenn Geschäfte keine Brautkleider mehr für kleine Mädchen verkaufen, wenn Friseure sich weigern, minderjährige Bräute herzurichten, wenn Hotels keine Räume mehr für solche Hochzeiten vermieten – das wird die Leute aufrütteln und ihnen zeigen, dass Kinderehen nicht in Ordnung sind.