Koenigsbrunner Zeitung

Die Verlierer unserer Gesellscha­ft

Das Dramalutio­n Kids Ensemble gibt im Stück „Klassenfei­nd“Einblicke in das schwierige Schulleben und die Sorgen der Außenseite­r. Im Jugendzent­rum Matrix stehen noch zwei Aufführung­en an

- VON MICHAEL ERMARK

Zum Auftakt flogen Stühle und Tische durch die Luft und knallten auf die Bühne im Jugendzent­rum Matrix. Denn dort hatte das Stück Klassenfei­nd von Nigel Williams, aufgeführt durch das Dramalutio­n Kids Theaterens­emble unter der Leitung von Angie Klecker, seine Premiere. Bei dem Wort „Klassenfei­nd“kommt einem unweigerli­ch der Kalte Krieg in den Sinn, doch ist der Titel dieses Stückes sehr wörtlich zu nehmen – nicht auf eine Klasse der Gesellscha­ft, sondern auf eine Schulklass­e bezogen. In die Klasse 10a, „A wie Arsch“, wie sie sich selbst gerne nennt, wurden sämtliche Schüler gesteckt, bei denen die Lehrer bereits aufgegeben haben. Diese Lehrer, die bislang versuchten, die Jugendlich­en in das normale Schulleben zu integriere­n, sind gescheiter­t. Und dieses Scheitern macht sie zum Feind. Dem Feind der Klasse 10a. Dem Klassenfei­nd. Da sich nun offenbar kein Lehrer mehr in das Klassenzim­mer wagt, haben die Schüler den Raum bereits verwüstet: Das Bühnenbild zeigt zerrissene­s Papier, umgeworfen­e Stühle und Tische sowie eine verschmier­te Tafel. Als die Schüler, acht Stück wurden in der 10a zum Lehrerfein­d abgestempe­lt, nun auf einen neuen Lehrer warten, wollen sie sich die Zeit vertreiben. Der Anführer der Klasse, Fetzer (gespielt von Romeo Fischer), beschließt, jeder der Schüler muss eine Unterricht­sstunde halten und über das sprechen, was ihn außerhalb der Schule am meisten beschäftig­t. So erfuhr das Publikum in bestechend­er Ehrlichkei­t von den Sorgen der Außenseite­r der 10a – und dass es auch in einem vermeintli­ch wohlhabend­en Staat immer Menschen gibt, die durch das System fallen.

Koloss (Thomas Berchtold) und seine Schwester Blondie (Antonia Moeßner) wohnen beispielsw­eise in einem Plattenbau. Nach dem Tod ihres Vaters rutschte die arme Familie noch tiefer in den Schlund der Mittellosi­gkeit. Die Schuldigen an der Gier der Armut, die alles Schöne am Leben frisst, sind „die Ausländer“. Koloss und Blondie verkörpern die Szene der Neonazis. Mit einer Keule bewaffnet und von Hass getrieben, schlagen sie alles kurz und klein – besonders, wenn ihre Argumente hinterfrag­t und für falsch erklärt werden. „Die Ausländer sind schuld“ist auch das Thema der Unterricht­sstunde, die die beiden halten. Diese Feindselig­keit stachelt natürlich einen Schüler mit Migrations­hintergrun­d an: Kebab (gespielt von Luca Lanzinger). Er sitzt in der 10a fest, da er in regelmäßig­en Abständen Glasfenste­r einschlägt. Er offenbart auch den Grund für die zügellose Zerstörung­swut: Noch im Grundschul­alter wurde der türkischst­ämmige Kebab als „Kanake“beschimpft. Als er dann in einem Schaufenst­er einen Pappaufste­ller einer Familie entdeckte, so einer, die ihn seiner Meinung nach auch als Kanaken hätten bezeichnen können, lösen die Scherben des zerbrochen­en Fensters ein klein wenig Frust. Persönlich­e Frustratio­n ist auch der Grund, weswegen Pickel (Valentin Moeßner) in die 10a gekommen ist. Pickel fühlt sich von allen Menschen, die ihm tagtäglich begegnen ignoriert: „Sie schauen nicht einmal durch mich hindurch, denn ich existiere nicht für sie.“Das verzweifel­te Ringen nach Aufmerksam­keit gipfelt darin, dass er an jeglichen Orten masturbier­t – deswegen sitzt er nun in der 10a. Er sagt, er wäre gestresst, doch den wohl größten Stress hat Vollmond zu tragen, der sich um seine beiden blinden Eltern kümmern muss. Diese „Schwäche“der Eltern nutzt Fetzer provokativ, um die eskalieren­de Stimmung noch weiter anzufachen, bis sie in einer Schlägerei endet, bei der Fetzer Vollmond zu Boden schlägt. Nur Angel (Taro Hoven) und Pickel können Fetzer von weiteren Exzessen gegenüber Vollmond abhalten. Vom Lärm beunruhigt, wird ein Lehrer (gespielt von Georg Noll) angelockt. Er wirft den Schülern schließlic­h vor, dass sie das Angebot der Bildung nicht annehmen wollten. Doch die Wahrheit ist, so versteht es das aufmerksam­e Publikum, dass zuerst die gesellscha­ftlichen und privaten Probleme der Schüler gelöst werden müssen, bevor das Prinzip Schule wieder greifen kann.

Dramalutio­n Kids hat sich mit Klassenfei­nd abermals ein grandioses Stück ausgesucht. Ein Stück, das provoziert, ein Stück, das über Grenzen geht. Die Sprache der Jugendlich­en ist von Kraftausdr­ücken geprägt und die aufkochend­en Emotionen fordern eine enorme schauspiel­erische Leistung. Die Darsteller lieferten eine hervorrage­nde Premiere ab. Sie ließen das Publikum Grenzen spüren, ob bei Wortwahl oder Gewaltbere­itschaft. Sie verknüpfte­n Theatralik mit realer Problemati­k, was ihnen bei den nächsten Aufführung­en am Mittwoch und Donnerstag, 25. und 26. Juli, jeweils um 19.30 Uhr volle Publikumsr­änge bescheren dürfte.

 ?? Foto: Michael Ermark ?? Als der Steit zwischen Fetzer (Romeo Fischer, rechts) und Vollmond (Christoph Koloska, liegend am Boden) in einer Schlägerei gemündet ist, müssen Angel (Taro Hover, rechts Fetzer haltend) und Pickel (Valentin Moeßner, links Fetzer haltend) diesen davon abhalten, weiter auf Vollmond loszugehen. Kebab (Luca Lanzinger, rechts außen), Halbmond und Koloss (Azra Altundal und Thomas Berchtold, links außen) sehen nur zu.
Foto: Michael Ermark Als der Steit zwischen Fetzer (Romeo Fischer, rechts) und Vollmond (Christoph Koloska, liegend am Boden) in einer Schlägerei gemündet ist, müssen Angel (Taro Hover, rechts Fetzer haltend) und Pickel (Valentin Moeßner, links Fetzer haltend) diesen davon abhalten, weiter auf Vollmond loszugehen. Kebab (Luca Lanzinger, rechts außen), Halbmond und Koloss (Azra Altundal und Thomas Berchtold, links außen) sehen nur zu.

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