Neuer Roman
Timur Vermes ist wieder da – diesmal lässt er die Hungrigen an unseren Grenzen rütteln
Zuletzt hat er Adolf Hitler wiederauferstehen lassen. Mit MillionenVerkäufen und Kino-Verfilmung hat diese gewagte Satire den in München lebenden Timur Vermes gleich mit dem Debüt zur Marke gemacht. Und „Er ist wieder da“: Mit dem Titel von damals wirbt sein Verlag nun auch für sein heute erscheinendes zweites Werk. Witzig?
Das Buch heißt „Die Hungrigen und die Satten“, und es handelt von der Flüchtlingskrise, einer neuen, in der Zukunft. Angela Merkel ist aus dem Kanzleramt geputscht, die EU hat die Außengrenzen dichtgemacht – so scheint Deutschland, erstmals seit Sommer 2015 und der folgenden Spaltung der Gesellschaft und Europas, irgendwie beruhigt, der Aufstieg der AfD ist gestoppt. Doch dann machen sich Flüchtlinge aus dem größten Lager der Welt auf den Weg, 150 000 der dort lebenden zwei Millionen, organisiert und verpflegt, von Kameras begleitet, zu Fuß durch Afrika, Richtung Naher Osten und Balkan. Ihr Ziel ist Deutschland. Bald sind es 400000 Menschen. Wer wird sie aufhalten?
Mit diesem so gar nicht witzigen Szenario beginnt eine Art Themenwoche in der deutschen, ohnehin vom Migrationsthema aufgewühlten Buchlandschaft. Und in der heißt es gleich noch mal: „Er ist wieder da.“Denn mit dem bei Vermes ja Hitler geltenden Satz als Überschrift freut sich das ziemlich, äh, konservative Magazin über den zweiten Höhepunkt dieser Woche. Ab Donnerstag nämlich ist Thilo mit einem neuen Buch „wieder da“. Witzig?
Das Buch nicht. Es ist die Fortsetzung von „Deutschland schafft sich ab“, mit dem 2010 Sarrazins Karriere als Serien-Bestsellerautor begonnen und das der hiesigen Zuwanderungskritik eine deutlich breitere Basis verschafft hat. „Feindliche Übernahme“heißt das Werk, Untertitel „Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“. Es läuft bereits ein Prozess mit dem Streitwert von 800 000 Euro um dieses Buch, und jedem, der vor dem Erscheinen etwas über den Inhalt verrät, droht eine Strafe von 50000 Euro. Nicht witzig. Drum freilich erst am Erscheinungstag an dieser Stelle mehr.
Da aber erscheint bei der Bücherflut zum Thema zudem auch noch ein Debüt, das Star-Autorin Juli Zeh (wie Sarrazin ja SPDMitglied) als „Roman der Stunde“und als „literarisches Ereignis“feiert. Denn der Afrika-erfahrene Christian Torkler dreht in „Der Platz an der Sonne“die Migrationssituation einfach um: Deutschland, nie aus den Trümmern des Weltkriegs erstanden, ein gescheiterter
Staat, politisch zersplittert und wirtschaftlich darniederliegend – hilft da nur die Flucht ins reiche Afrika? Man kann das für eine witzige Idee halten und darüber streiten, wie realistisch das nun ist. Aber ein eindrucksvolles Gedankenspiel wird jedenfalls daraus: auch zur Frage, inwieweit Zufälle über den Lauf der Geschichte mitbestimmen, vor allem aber zur Tatsache, dass der Zufall der Geburt über unsere Lebensumstände entscheidet, wer zu den Hungrigen, wer zu den Satten gehört. Eine perverse Lotterie von bitterem Ernst… Tatsächlich witzig aber ist der Auftakt zur Themenwoche mit dem 51-jährigen Timur Vermes. Zunächst jedenfalls. Denn von den drei Perspektiven, aus denen er sein Drama schildert, dominiert erst nicht die der zusehends besorgteren Politiker in Berlin oder die der zusehends hoffnungsvolleren Flüchtlinge, sondern die von Astrid von Roëll und Nadeche Hackenbusch. Roëll ist Reporterin eines Boulevard-Magazins und begleitet die Trash-TV-Moderatorin Hackenbusch – auch als deren Senderchefs nun nach einer Erfolgsshow mit rührselig inszenierten Besuchen in Flüchtlingsheimen auf die Idee kommen, das Glamour- und Modegirl Nadeche in die echte Welt, ins Elend von Afrika zu schicken.
Hier spielt Timur Vermes nicht nur seine eigenen Erfahrungen als BoulevardJournalist und sein kabarettistisches Ta- lent aus – er findet zudem die Protagonisten, die mit wirklichkeitsblindem (Be-)Deutungsanspruch und naivem Moralismus das schwelende Verhängnis zwischen den „Hungrigen“in der Welt und uns „Satten“zum Eskalieren bringen. Die Tussi Hackenbusch verliebt sich in einen Flüchtling, und die auf Emotionalität und Drama gepolten Medien lieben es; dieser Flüchtling ist so klug zu erkennen, dass nur eine koordinierte Massenbewegung all den Darbenden eine Zukunft bieten kann; und die deutsche Politik sieht über eineinhalb Jahre eine Katastrophe sehr langsam, aber immer sicherer auf sich zukommen.
Ebenso langsam und ebenso sicher ist Vermes’ Buch dann auch immer weniger witzig. Denn die Fragen sind ja nicht nur ernst: Wer sollte solchen Massen standhalten? Eine in der Ausgrenzung der Not bis hin zum Schießbefehl einige EU? Und würde nicht allein die Angst in Deutschland die Rechte samt Pegida sofort wieder mächtig erstarken lassen? Sondern auch das Drama wirkt realistisch: Die Ruhe im Inneren gibt es nur auf Kosten von Toten an den Außengrenzen, einerseits; wer offen für die Hungrigen der Welt bleiben will, riskiert eine Spaltung im Inneren bis zum Bürgerkrieg, andererseits. Wie kann Politik da moralisch und realistisch entscheiden? Hier ist es – kontrastiert an seinem jungen, schwulen StaatssekreSarrazin tär – ein greiser, erhabener Bundesinnenminister von der CSU, der in der Verantwortung steht. Und der dann tatsächlich entscheidet – bis ein Schuss fällt und alles eskaliert, bis es also wirklich gar nicht mehr witzig ist (und in der letzten, übrigens unnötigen Zuspitzung wohl auch kaum mehr verfilmbar)…
Aber nein, dieser Innenminister heißt nicht Seehofer. Denn obwohl Timur Vermes witzige Referenzen an die Wirklichkeit einstreut, Erinnerungen an eine Margarethe Schreinemakers etwa, einen Gutmenschen-Auftritt von Campino… Es geht dem Autor hier viel offensichtlicher als in seiner ja auch schon doppelbödigen Hitler-Satire jenseits des Personals um Aufklärung. Er liefert bei allem lange wirkenden Witz letztlich eine durch Mark und Bein gehende Vision für das, worauf wir da zusteuern, bei dutzenden Millionen von Flüchtlinge in der Welt. Vermes schreibt im Vorwort: „Dieser Roman ist eine Fiktion… Es ist durchaus möglich, dass alles ganz anders kommt. Es ist nur nicht wahrscheinlich.“Was also werden wir, „Die Satten“, tun, wenn sich „Die Hungrigen“dereinst als vereinte Masse auf den Weg zu uns machen? Krieg um unseren Wohlstand führen? Das ist die Frage zum Auftakt dieser Themenwoche.
Tote an Außengrenzen oder Bürgerkrieg im Inneren?
» Timur Vermes: Die Hungrigen und die Satten. Eichborn, 512 S., 22 ¤
O
Lesung Timur Vermes wird sein Buch am 5. Oktober in der Neuen Stadtbü cherei in Augsburg vorstellen. Karten sind noch nicht erhältlich.