Braucht’s an Kini?
100 Jahre Freistaat Die Wittelsbacher haben 738 Jahre lang über Bayern geherrscht – erst als Herzöge, später als Könige. Bis die November-Revolution kam und Ludwig III. abgesetzt wurde. Gut so? Urenkel Prinz Luitpold hat dazu seine eigene Meinung
Kaltenberg Das hat man auch nicht alle Tage. Besuch in Kaltenberg beim Urenkel von Bayerns letztem König Ludwig III. Da taucht gleich ein Problem auf: Wie redet man den Mann eigentlich an? Gar nicht so einfach. Ihre Königliche Hoheit? Prinz Luitpold oder Herr von Bayern? Ja, wie denn nun? Von einem feinen Lächeln begleitet, antwortet der Gefragte gänzlich gelassen: „Im Allgemeinen werde ich Prinz Luitpold genannt.“Zumindest das wäre geklärt!
Der Besucher kommt durch zwei schlanke Tore mit Zinnen und Türmchen, geht über eine hölzerne Brücke und steht im Schlosshof. Spätestens beim Anblick der Bierlaster, die in der Herbstsonne glänzen, wird deutlich, dass Kaltenberg auch eine Brauerei beherbergt. Die meisten kennen das pittoreske Schloss zudem von den Ritterspielen im Sommer, die längst über Bayern hinaus bekannt sind.
Hier, ein paar Kilometer von Landsberg entfernt, leben Prinz Luitpold von Bayern und seine Familie. Der 67-Jährige ist ein führender Spross der Wittelsbacher, die Bayern bis vor 100 Jahren regierten. Was so ein Monarch ohne Reich tut? Prinz Luitpold ist ein beschäftigter Unternehmer. Er leitet die mittelständische Brauerei, deren wichtigstes Produkt den Vornamen des letzten bayerischen Herrschers trägt: König Ludwig.
Eine unscheinbare Treppe führt in den ersten Stock zum Besprechungszimmer. An den Wänden hängen keine Gobelins oder teure Tapeten, keine Spur des Mondänen, sondern Urkunden, mit denen die König-Ludwig-Brauerei ausgezeichnet wurde. Prinz Luitpold blickt den Gast freundlich erwartungsvoll an. Er trägt ein mattgrünes Sakko und wirkt eher wie ein Landadeliger als wie ein Mann, der König sein könnte. Was die nächste Frage mit sich bringt: Wie beginnt man das Gespräch? Und womit? Es ist ja tatsächlich nicht leicht, wenn man eine Geschichte über die Wittelsbacher erzählen will, die 738 Jahre lang das Land regierten.
Das Erste, was einem an Prinz Luitpold auffällt, sind seine silbernen Haare und seine Augen – groß, tief liegend, schwer zu ergründen. Man bildet sich ein, in ihnen würde sich auch ein wenig die Geschichte der Wittelsbacher widerspiegeln. Vielleicht aber ist das der Interpretation zu viel. Also zurück zu den Fragen: Welche Rolle spielen die Wittelsbacher heute im Freistaat? „Wir hatten damals wie heute ein entspanntes Verhältnis zu Bayern und seiner Bevölkerung“, sagt Prinz Luitpold. Er spricht druckreif, durchdacht. Manchmal, wenn er sein Gewicht auf dem Stuhl verlagert, knarzt der Holzboden.
Die Wittelsbacher sind ein außerordentliches Geschlecht. Sie brachten Könige hervor, die noch heute Einfluss auf das Denken und die Kultur Bayerns haben. König Ludwig I. war ein bedeutender Monarch, der letztendlich wegen der Tänzerin Lola Montez abdanken musste; König Ludwig II. war, wie man heute sagen würde, sogar so etwas wie ein Popstar unter den Herrschern. Er errichtete Linderhof, Herrenchiemsee und Neuschwanstein, das meistfotografierte Bauwerk der Welt, förderte Richard Wagner und elektrifizierte sogar seine Bauten. Die Familie hat bis heute Verbindungen zu vielen Königsund Adelshäusern in ganz Europa. Die komplette Geschichte der Wittelsbacher wäre ein Lebenswerk. Der Beginn ihrer Herrschaft in Bayern aber ist klar belegt: 1180 wurde Pfalzgraf Otto von Wittelsbach von Kaiser Friedrich Barbarossa mit dem Herzogtum Bayern belehnt. Von da an herrschten die Wittelsbacher ununterbrochen in Bayern – erst als Herzöge, dann als Kurfürsten, ab 1806 als Könige.
Heute ist Herzog Franz von Bayern Familienoberhaupt dieser Dynastie. Der 85-Jährige lebt in einer Privatwohnung im Münchner Schloss Nymphenburg. Nach ihm wird sein jüngerer Bruder Herzog Max in Bayern das Haus führen, danach Prinz Luitpold. Wobei, was spielt die Erbfolge heute schon für eine Rolle – 100 Jahre nach dem Ende des Königreichs Bayerns?
Im November 1918 hat die Revolution auch München erreicht. Am Nachmittag des 7. November versammelten sich 60000 Menschen auf der Theresienwiese und hörten die Kundgebungen von Linkspolitikern wie Kurt Eisner, Erhard Auer und weiteren Rednern. Auer forderte in einer Resolution unter anderem die Abdankung des Kaisers, sofortigen Friedensschluss und die Einführung des Acht-Stunden-Arbeitstages. König Ludwig III. hatte zwar zuvor zugestimmt, das parlamentarische Regierungssystem in einzuführen. Doch das war zu spät.
Dem letzten Wittelsbacher Bayern-König blieb nichts anderes übrig, als in einer Nacht-und-NebelAktion mit seiner Familie ins Schloss Wildenwart an den Chiemsee zu fliehen. „Majestät, schaug’n S’, dass hoamkumma, sunst is’s g’fehlt aa!“, soll ein Passant Ludwig III. noch zugerufen haben, als er sich trotz der Unruhen am 7. November seinen Spaziergang im Englischen Garten nicht nehmen lassen wollte. Am Abend verkündete Eisner das Ende der Monarchie und rief den „Freien Volksstaat Bayern“aus. Fünf Tage später entband Ludwig III. seine Beamten vom Treueid, was einer Abdankung gleichkam. Zu einem Thronverzicht der Wittelsbacher aber kam es nie.
100 Jahre später sagt Prinz Luitpold im schmucklosen Besprechungsraum, dass es kein politisch legitimierter, sondern ein revolutionärer Akt gewesen sei, im ältesten Staat Europas die Macht umzuwälzen. Ernst und nachdrücklich schaut er bei diesem Satz – so, als wäre er darüber heute noch unglücklich.
Die Verbindung der Bayern zur Monarchie, sie ist irgendwie immer geblieben. Und es ist ja paradox: Sie waren die Ersten, die 1918 die Monarchie abschafften, aber sie waren auch die Ersten, die das bereuten. Schon das Begräbnis des letzten Königs Ludwig III. 1921 geriet zum monarchistischen Bekenntnis, Zehntausende begleiteten den Trauerzug durch München. Sogar im August 1955 flammte es nochmals auf, als der populäre Kronprinz Rupprecht wie ein König zu Grabe getragen wurde.
Da das Haus Wittelsbach Entschädigungsansprüche gegenüber dem Nachfolgestaat erhob, richtete dieser 1923 den Wittelsbacher AusBayern gleichsfonds ein – ausgestattet vor allem mit Immobilien und Geld. In den Genuss der Erträge kommt laut Gesetz die ehemalige königliche Familie. Die Höhe des Fonds war lange eines der am besten gehüteten Geheimnisse Bayerns. Das Vermögen soll laut Süddeutscher Zeitung etwa 350 Millionen Euro betragen. Die Erträge fließen an Herzog Franz, der sie auf die Familie verteilt. Aber über Geld spricht man nicht, zumindest nicht an diesem Tag in Kaltenberg.
Prinz Luitpold erzählt, die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sei für die Wittelsbacher schwer gewesen. Im Gegensatz zu manch anderer Monarchie habe sie aber in der NSZeit nie mit den Machthabern paktiert. Im Gegenteil, viele Mitglieder der Familie landeten in Konzentrationslagern. Letztlich aber sei das alles „ein Glücksfall“gewesen. Die Wittelsbacher konnten politisch unbelastet in die Nachkriegszeit starten: „Das hat uns sehr geholfen.“
In die Politik hat sich später keiner von ihnen gedrängt. Nicht Herzog Franz, das Familienoberhaupt. Nicht Prinz Leopold, das Oberhaupt der Adalbertinischen Linie des Hauses Wittelsbach und ein Urururenkel von König Ludwig I., der es mit Autorennen zu Bekanntheit gebracht hat und heute meist als Markenbotschafter für BMW unterwegs ist. Prinz Luitpold wiederum, der mit seiner Frau Beatrix fünf Kinder hat, interessiert sich zwar neben Betriebswirtschaft durchaus für Politik, sieht sich jedoch, vermutlich im Sinne seiner Vorfahren, als überparteilich.
Das Erbe der Wittelsbacher hält er für eine Art besondere Beziehung zum Land. Und Tatsache ist auch: In Bayern hat die Monarchie noch immer viele heimliche Fans, deren leidenschaftlichste sich im Verband der Königstreuen zusammengeschlossen haben. Luitpold selbst wirft im Gespräch ein, dass sich Demokratie und Monarchie, wie es ja auch in vielen anderen Staaten Europas der Fall ist, grundsätzlich nicht ausschließen müssen. Wie gut das funktionieren könne, zeigten beispielsweise Dänemark, Schweden und Norwegen. Also doch wieder eine Monarchie für Bayern? „Diese Frage stellt sich derzeit nicht“, sagt der Prinz. Aber die Republik müsse sich in der Tat erst einmal über die Jahrhunderte hinweg als bessere Staatsform erweisen.
Auch wenn die Wittelsbacher in Bayern keinen politischen Einfluss mehr haben, kommt ihnen nach wie vor eine tragende gesellschaftliche Rolle zu. Als Kunstmäzen und Veranstalter von hochrangigen Gesprächsrunden repräsentiert zum Beispiel Herzog Franz das ehemalige Königshaus, dessen Schätze den europäischen Vergleich nicht scheuen müssen. Das belegen etwa die Preziosen in der Schatzkammer der Münchner Residenz. Und das sehen auch Historiker so.
Professor Hans-Michael Körner, der bis 2012 an der LMU München lehrte, gilt als einer der besten Kenner der Wittelsbacher. Das Ende der bayerischen Monarchie habe wenig mit deren Verfallserscheinungen zu tun. Die Wittelsbacher seien auch nicht das eigentliche Ziel des revolutionären Umsturzes gewesen, erklärt er in seinem Buch „Die Wittelsbacher“. Dieser habe sich vor allem gegen den Krieg gerichtet, „damit aber gleichzeitig gegen jene, die für die Verlängerung des Krieges die Verantwortung trugen“. In diesen Sog sei dann auch die Monarchie geraten. „Sie fand keine Verteidiger mehr.“Aus Körners Sicht haben die Wittelsbacher später vieles richtig gemacht. Die jüngeren Generationen hätten den politischen Wandel nicht nur akzeptiert, sondern verantwortungsvoll begleitet und teilweise mitgestaltet. So seien sie geradezu ein „Glücksfall für Bayern“.
In Schloss Kaltenberg neigt sich das Gespräch dem Ende. Prinz Luitpold muss zum nächsten Termin und außerdem vorher noch sein Pferd – er ist ein begeisterter Reiter – von der Koppel holen. In der nächsten Woche geht es für ihn nach Asien, geschäftlich natürlich, vielleicht, um das Kaltenberger Bier oder das Nymphenburger Porzellan dort zu vermarkten, dessen Manufaktur er seit 2011 leitet. So genau erklärt er sich nicht.
Was bleibt also – 100 Jahre nach dem Ende der Monarchie in Bayern? Zweifelsohne eine Familie, die das Land über Jahrhunderte tief geprägt hat. Und sicher auch eine Faszination für die bayerischen Könige, die die Dynastie Wittelsbach hervorgebracht haben. Die erfasst bisweilen sogar Ministerpräsident Markus Söder, der zuletzt beim Fasching in Veitshöchheim verkleidet als Prinzregent Luitpold von Bayern einzog. Nur: Als einziger der Herrscher im Königreich Bayern war er kein König, sondern halt nur Prinzregent.
Bier und Porzellan, das ist sein Geschäft Die Bayern und der König, das war immer besonders