Wer hier wohnt, ist nicht alleine
Vor drei Jahren eröffnete im Textilviertel das Ellinor-Holland-Haus. Es gibt Notleidenden Halt und hilft ihnen, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Die Betreuerinnen der Einrichtung verraten ihr Erfolgsgeheimnis
Die ersten drei Jahre des Ellinor-Holland-Hauses sind fast vorüber. Sind bereits Bewohner ausgezogen?
Ja, fünf Familien sind vor dem Ablauf der von uns festgelegten Wohndauer von drei Jahren ausgezogen. Und sie sind gut ausgezogen: Sie haben wieder Tritt gefasst im Leben.
Wie realistisch ist das Konzept Ihres Hauses, Menschen in Not binnen dreier Jahre wieder in ein eigenständiges Leben zu bringen?
Am Anfang dachten wir, drei Jahre sind eine sehr lange Zeit. Tatsächlich ist das aber eine relativ kurze Spanne, wenn man beruflich, finanziell oder persönlich wieder Fuß fassen muss im Leben. Dies gilt vor allem dann, wenn Bewohner nicht aktiv dazu beitragen, ihre Ziele zu erreichen. Auch das gab es in diesen drei Jahren.
Aber andere ziehen aus und haben es geschafft?
Die Entwicklung zu einem eigenständigen Leben ist nach drei Jahren in den meisten Fällen nicht abgeschlossen. Aber wir haben in dieser Zeit die Voraussetzungen dafür geschaffen. Unsere Bewohner profitieren unter anderem vom Netzwerk, das wir ihnen erschließen: Sie wissen, mit welchen Problemen sie sich an welche Einrichtung wenden können, wenn sie selbst keinen Ausweg wissen.
Welche Menschen sind am interessiertesten daran, schnell wieder auf eigenen Beinen zu stehen?
Junge Mütter sind in aller Regel hoch motiviert, ihre Situation zu verändern. Was wir aber in diesen Jahren festgestellt haben, ist: Je länger eine Notlage sich schon verfestigen konnte, desto geringer ist die Eigeninitiative, sich daraus zu befreien.
Mit welchen Problemen kommen die Menschen denn zu Ihnen und welche Ziele setzen Sie ihnen?
Wir motivieren unsere Bewohner, sich eigene Ziele zu setzen – und das möglichst schon vor dem Einzug. Wir helfen ihnen dann dabei, sie umzusetzen. Oft geht es anfangs erst einmal darum, die Unterlagen zu ordnen. Weitere Themen sind beispielsweise der Abbau von Schulden, die Suche nach einer Arbeits- oder Ausbildungsstelle oder – bei Bewohnern mit Migrationshintergrund – das Erlernen der deutschen Sprache. Und wenn die Bewohner ihre Ziele nicht in drei Jahren erreichen?
Wir haben aus den Erfahrungen unserer ersten Zeit gelernt. Deshalb machen wir bei den Bewohnern künftig nach eineinhalb Jahren eine Bestandsaufnahme und sehen uns an, wie weit sie gekommen sind. Wenn sie keine Veränderungsbereitschaft zeigen, müssen wir ihnen unter Umständen sagen, dass unser Haus nicht die richtige Einrichtung für sie ist.
Hat das Kuratorium der Stiftung Kartei der Not darüber nachgedacht, die Verweildauer zu verlängern?
Wir wollen eigentlich nicht von diesen drei Jahren weg, weil so viele Menschen die Chance brauchen, in unserem Haus wieder durchatmen und sich neu ausrichten zu können.
Welche Kriterien gelten bei der Aufnahme neuer Bewohner? Wir sind nach unseren ersten Erfahrungen klarer gewor- den. Menschen mit ausgeprägten psychischen Erkrankungen, die kaum in einer Gemeinschaft leben können, oder Menschen mit einer akuten Drogenabhängigkeit nehmen wir nicht auf. Was von Anfang an galt, war, dass die Notlage, in der sich ein Mensch befindet, nicht selbst verschuldet ist. Wir sehen da bei Neuaufnahmen jetzt auch noch genauer hin und nennen eventuell andere Anlaufstellen, die geeigneter sind.
Was ist in den vergangenen drei Jahren gut gelaufen?
Die Vernetzung der Bewohner unseres Hauses ist sehr gut – vor allem bei den Alleinerziehenden. Sie beaufsichtigen gegenseitig ihre Kinder und ermöglichen sich so gegenseitig den beruflichen Wiedereinstieg. Sehr gut funktioniert auch die Zusammenarbeit mit unseren ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern. Die Bewohner haben Vertrauen zu ihnen entwickelt und öffnen sich. Sie erwähnten den beruflichen Wiedereinstieg. Wie läuft es da?
Die berufliche Wiedereingliederung läuft gut – gerade, weil wir von Anfang an eng und gut mit dem Jobcenter zusammenarbeiten. Für die Jugendlichen lief das zuletzt sogar fantastisch, aber auch bei den Erwachsenen funktioniert es.
Drei alleinerziehende Mütter haben zuletzt eine Ausbildung begonnen, eine ein Studium. Zwei Mütter haben eine Festanstellung bekommen, andere begannen eine Umschulung. Damit sind wir sehr zufrieden.
Im Haus leben auch Menschen mit Migrationshintergrund. Was können Sie für sie tun?
Alle unsere migrantischen Bewohner sind in Integrationskursen, sie besuchen Mietbefähigungskurse und lernen, worauf es in Deutschland ankommt.
Apropos Miete: Sie unterstützen Ihre Bewohner auch bei der Suche nach einer Wohnung. Das muss bei der derzeit angespannten Lage schwierig sein ...
Eine Wohnung zu finden ist oft leichter als ein Kinderbetreuungsplatz. Aber natürlich ist auch die Wohnungssituation schwierig. In dem Bereich, der für unsere Bewohner finanziell leistbar ist, ist kaum etwas zu finden.
Dabei machen wir unsere Leute zu guten Mietern: Sie lernen im Ellinor-Holland-Haus, Gemeinschaftsaufgaben und Funktionen zu übernehmen, sie lernen, wie man eine Wohnung in Ordnung hält und wie man sich bewirbt. Und tatsächlich hatten wir unsere Bewohner ja drei Jahre im Blick und können in dieser Zeit nachhelfen, wenn es an Fähigkeiten mangeln sollte.
Welche Wohnungen sind bei Ihren Bewohnern am gefragtesten?
Da viele Alleinerziehende mit Kindern oder auch ganze Familien bei uns leben, sind beim Auszug Zwei- und Dreizimmerwohnungen nötig – bei größeren Familien manchmal auch mehr Zimmer. Wichtig ist, dass die Wohnungen gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind, da unsere Bewohner sonst nicht mobil sind.
Interview: Nicole Prestle