Augsburg am Vorabend der Revolution
Was geschah im November 1918? Die Bevölkerung ist kriegsmüde. Und plötzlich streiken die Soldaten in Kiel. Das hat Auswirkungen bis tief in den Süden
Augsburg im Oktober 1918: Der Krieg dauert inzwischen vier Jahre und kostet jeden Tag neue Menschenleben. Todesanzeigen künden vom Verlust des Sohnes, des Ehemanns, des Geliebten …
Doch der Tod droht nun auch in der Heimat: Eine Grippewelle rafft allein in Augsburg 150 Menschen dahin, darunter nicht nur ohnehin geschwächte, sondern auch viele junge Menschen. Schulen und Kindergärten werden geschlossen, die Zeitungen geben Ratschläge, wie man sich am besten gegen die Grippe schützen kann.
Und dann steht der Winter vor der Tür: Aufgrund der Lebensmittelknappheit drohen erneut Hunger und aufgrund der immer schlechteren Versorgung mit Kohlen kalte Öfen und Dunkelheit in den Wohnungen. Viele Menschen sehnen sich nach einem schnellen Ende des Krieges und des sinnlosen Gemetzels an den Fronten.
Politisch aufgegriffen wird diese Haltung vor allem von der USPD, die sich 1917 von der SPD abgespalten hat und auch den von der SPD mit dem kaiserlichen Militär abgeschlossenen „Burgfrieden“ablehnt. Bereits im Januar 1918 hatte sie zu Streiks in den Rüstungsbetrieben aufgerufen, um der Forderung nach einem schnellen Kriegsende Nachdruck zu verleihen. So organisierte etwa Kurt Eisner von der USPD in München einen Streik in den dortigen Rüstungsbetrieben.
Doch in Augsburg war es ruhig geblieben: Die Ursache dafür dürfte darin liegen, dass die USPD in Augsburg kaum vertreten war und sich die Augsburger SPD- und Gewerkschaftsfunktionäre an den „Burgfrieden“und dem damit verbundenen Verzicht auf Streiks hielten. Im Gegenzug waren führende Gewerkschaftsfunktionäre vom Kriegsdienst zurückgestellt worden, um an der „Heimatfront“in den Rüstungsbetrieben für Ruhe und Ordnung sorgen. Doch konnten diese bei unbotmäßigem Verhalten sofort eingezogen werden, wie das Beispiel des Augsburger Sekretärs des Textilarbeiterverbands Joseph Feinhals zeigt: Diesem wurde in einer anonymen Anzeige im April 1917 vorgeworfen, „dass er sich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit an die Spitze eines Aufruhrs setzen würde, um den Krieg zu beenden“. Als Reaktion darauf wurde für Feinhals eine „unauffällige Überwachung“angeordnet.
Sollte es trotzdem in einem der zahlreichen Augsburger Rüstungsbetriebe zu einem Streik kommen, so lagen Blanko-Plakate bereit, um die Arbeiter unter Militärrecht zu stellen. Wichtigster Rüstungsbetrieb in Augsburg war die M.A.N., bei der fast 10000 Menschen, darunter über 3000 Frauen, arbeiteten. Dort wurden bis Kriegsende 394 U-Boot-Motoren produziert. Zu den kriegswichtigen Betrieben zählten daneben die Maschinenfabrik Riedinger, Keller & Knappich, die Zahnräderfabrik Renk und die erst 1917 gegründeten RumplerFlugzeugwerke. Auch die Textilindustrie war auf Kriegsproduktion umgestellt worden, so wurden etwa bei der SWA Geschosshülsen gereinigt und Geschosskörbe repariert.
Ende Oktober 1918 kommt es auf Reichsebene zu einer Demokratisierung, SPD-Minister werden in die Reichsregierung des Reichskanzlers Max von Baden aufgenommen – eine Voraussetzung für die, auch von der Obersten Heeresleitung dringend geforderten, Waffenstillstandsverhandlungen mit den Westmächten. Zeitgleich gibt aber die Marineführung den Befehl, zu einem letzten Gefecht gegen die überlegene britische Marine auszulaufen, um so in Ehren unterzugehen. Doch die Schiffsbesatzungen verweigern sich diesem selbstmörderischen Befehl und übernehmen selbst das Kommando auf den Schiffen.
Die Nachricht von den meuternden „roten Matrosen“verbreitet sich wie ein Lauffeuer im gesamten Reich, die Rufe nach einem „Ende des Krieges“und einer „Revolution“werden immer lauter.
Am Donnerstag, dem 7. November 1918, veranstaltet daher die Münchener SPD eine Friedenskundgebung auf der Theresienwiese. Diese nutzt Kurt Eisner von der USPD, um die in Massen anwesenden Arbeiter und Soldaten aufzufordern, die Münchner Kasernen zu besetzen. Als sich dann ein Protestzug in Bewegung setzt, stößt er kaum auf Widerstand, sodass bis zum Abend alle Kasernen besetzt sind. Noch in der Nacht wird in München ein Arbeiter- und Soldatenrat unter Führung von Kurt Eisner gewählt, der das Ende der Wittelsbacher-Dynastie verkündet. Bayern ist fortan ein „Freistaat“, eine demokratische Republik.
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Der Historiker Reinhold Forster will mit der Geschichtsagentur Augsburg historische Informationen vermitteln.
Heute starten wir hier im Feuilleton regional mit einer neuen Serie, drehen wir die Zeit um 100 Jahre zurück und lassen den Historiker Reinhold Forster erzählen, was in Augsburg geschah, als es in Bayern 1918/19 die rote Revolution gab. Im Mai haben wir uns das erste Mal mit Forster über diese Serie unterhalten. Damals war uns nicht bewusst, wie viel mehr in Augsburg zu diesem Thema in diesen Tagen angeboten wird.
Je näher nun der November und das Jubiläum kam, desto mehr Flyer und Vorankündigungen trudelten ein. In den Thalia-Kinos gibt es eine Kombination aus Filmen und Lesung; der Buchhändler Kurt Idrizovic und der Schauspieler Matthias Klösel haben eine Veranstaltungsreihe aus Lesungen, Vorträgen und Theaterstücken zum Thema zusammengestellt. Das Stadtarchiv plant im nächsten Jahr eine kleine Ausstellung, die Staatsund Stadtbibliothek eine größere Schau, die sich mit Bertolt Brecht und der Revolution auseinandersetzt. Die wilden Monate in Bayern, die so blutig endeten, treffen heute auf einen fruchtbaren Boden. Damals schien alles möglich, auch eine revolutionäre Regierung, geführt unter anderem von der linken Münchner Künstlerbohème.
Und ja: Ich erinnere mich noch, eine meiner ersten Anschaffungen als Germanistikstudent war eine Ernst-Toller-Gesamtausgabe. Damals dachte ich mir: Was für Schriftsteller, was für Kerle! Heute stelle ich mir die Frage, ob sie nicht hätten ahnen müssen, welche Folgen ein Scheitern der Revolution nach sich zieht – und ob sie nicht selbst sich hätten fragen müssen, ob sie das richtige Personal für eine Revolution sind. Das ist ja aktuell: In Syrien ist zu sehen, was geschehen kann, wenn eine Revolution nicht zum Ziel kommt.
Es lohnt sich, diese verrückten und entscheidenden Monate nach dem Ersten Weltkrieg noch einmal genau anzuschauen. So vieles nimmt dort seine Anfänge: die uneinige und zerrissene Arbeiterschaft in Deutschland, dann auch eine Formierung von rechten, nationalen, gewaltbereiten Kreisen, die ein paar Jahre später in München zum Hitler-Putsch 1923 führte. Wie es von da an weitergeht, ist bekannt.
* * * „Intermezzo“ist unsere KulturKolumne, in der Redakteure der Kultur- und Journal-Redaktion schreiben, was ihnen die Woche über aufgefallen ist.