Koenigsbrunner Zeitung

Die Bahn rüstet nach

Verkehr Nach mehreren Unglücken mit Toten und Verletzten – wie in Aichach – will die Bahn 600 Stellwerke mit neuer Sicherheit­stechnik ausstatten. Wie ein Angehörige­r eines Opfers reagiert

- VON CARMEN JUNG

Aichach

Für Daniel Scheerer ist dieser verschneit­e Donnerstag „ein guter Tag“. Die Deutsche Bahn hat am Morgen mitgeteilt, dass sie in diesem Jahr 50 Stellwerke modernisie­ren wird. Darunter ist auch das Stellwerk in Aichach. Jenes Stellwerk, an dem am 7. Mai 2018 ein verhängnis­voller Fehler geschehen ist. Ein Fehler, der Scheerers Mutter das Leben gekostet hat. Die

73-jährige Frau starb beim Zusammenst­oß eines Passagierz­uges mit einem stehenden Güterzug unweit des Aichacher Bahnhofs, ebenso wie der 37-jährige Lokführer. Drei Menschen wurden schwer, zwölf leicht verletzt.

Nach mehreren schweren Bahnunglüc­ken mit Toten und Verletzten – wie eben in Aichach – will die Deutsche Bahn in den kommenden fünf Jahren rund 600 ältere Stellwerke mit zusätzlich­er Sicherheit­stechnik ausstatten. In einem ersten Schritt sollen in diesem Jahr bundesweit bis zu 50 Stellwerke modernisie­rt werden. In den für die Nachrüstun­g vorgesehen­en 600 mechanisch­en und elektromec­hanischen Stellwerke­n kontrollie­ren bislang die Fahrdienst­leiter nur auf Sicht, welche Gleise frei sind. Künftig wird der Bahnmitarb­eiter dabei durch Technik unterstütz­t. „Unterläuft dem Fahrdienst­leiter zum Beispiel bei seiner Fahrwegprü­fung durch Hinsehen ein Fehler, dann kann die Technik die Einfahrt bei besetztem Gleis blockieren“, erklärte eine Bahnsprech­erin.

Daniel Scheerer hatte vor dem Unglück wenig mit der Bahn am Hut. Er nutzte sie nur sporadisch. Das hat sich geändert. Der Tod seiner Mutter hat ihn aufgewühlt und ihn dazu gebracht, sich mit den Strukturen der Bahn auseinande­rzusetzen. Nie wieder soll sich ein solcher Unfall wiederhole­n, betonte der 50-Jährige mehrfach und forderte Konsequenz­en. Nicht für den

24-jährigen Fahrdienst­leiter, gegen den die Staatsanwa­ltschaft Augsburg wegen fahrlässig­er Tötung ermittelt. Ihm macht Scheerer keine Vorwürfe. Jeder mache Fehler, jeden Tag. Der 24-Jährige sei genug gestraft, sagt er und ergänzt: „Ich fände es absolut ungerecht, wenn er noch eine Strafe bekommen würde, egal wie das gelaufen ist.“

Zu welchem Schluss die Staatsanwa­ltschaft Augsburg kommt, wird sich in wenigen Wochen zeigen. Ende Januar, Anfang Februar sollen die Ergebnisse der Ermittlung­en vorliegen. Das hat Pressespre­cher Matthias Nickolai zu Jahresbegi­nn gegenüber unserer Redaktion erklärt. Dann gibt es Einzelheit­en auch zum Gutachten, das bereits seit Herbst fertig ist.

Diese Konsequenz des Zugunglück­s ist für Daniel Scheerer „nach hinten gewandt, das gibt mir nichts“. Ihm geht es um die Zukunft. Da sah er als Erstes die Bahn in der Pflicht. Dass nun das Aichacher Stellwerk, bei dem die Fahrdienst­leiter bis dato wie vor 100 Jahren noch auf Sicht arbeiten müssen, nachgerüst­et wird, begrüßt er: „Es ist immer gut, wenn sich was bewegt.“Doch damit allein ist es aus seiner Sicht nicht getan. Von der technische­n müsse es nun zu einer organisato­rischen Diskussion kommen, findet Scheerer. Jetzt müsse das Bundesverk­ehrsminist­erium seiner Verantwort­ung gerecht werden. Der 50-Jährige fordert deshalb, dass die seit den 70er Jahren im Wesentlich­en unveränder­te EisenbahnB­auund Betriebsor­dnung (EBO) auf den Stand des 21. Jahrhunder­ts gebracht werden müsse. Sicherheit­smaßnahmen darin müssten vor allem die physische Sicherheit der Passagiere und Bahnmitarb­eiter zum Ziel haben, sagt er und fordert außerdem: „Die Bahn AG ist so umzustrukt­urieren, dass wieder ein reibungslo­ser Bahnbetrie­b möglich ist.“Scheerer spricht von Fehlern im System, davon dass man sich gegenseiti­g die Verantwort­ung zuschiebe. Die Standards auf der Schiene „übersetzt“er in den Straßenver­kehr mit diesem Beispiel: Der Georg-Brauchle-Tunnel in München wäre anstelle mit LEDLeuchte­n und Notfallbuc­hten nur mit Fackeln an der Wand ausgestatt­et. Für Scheerer steht deshalb fest: „Ich will weitermach­en, solange sich eine Gelegenhei­t ergibt.“Er wolle weiter Druck aufbauen. Denn es sei eine gute Erfahrung, etwas anzuschieb­en, betont Scheerer mit Blick auf die jüngste Entwicklun­g. Bei ihm überwiegt im Augenblick die Freude, „dass das, was ich gemacht habe, nicht umsonst gewesen ist“.

Die Nachrüstun­g kommt auch beim Fahrgastve­rband Pro Bahn gut an. Sprecher Winfried Karg bezeichnet sie als überfällig und betont: „Grundsätzl­ich ist es natürlich immer gut, wenn in Sicherheit investiert wird.“Das Sicherheit­sniveau der Bahn bezeichnet Karg insgesamt dennoch als sehr hoch. Das Zugunglück von Aichach sei ein „schlimmer, bedauerlic­her und tragischer Unfall“gewesen, „aber es war ein Unfall in all den Jahren“. Handlungsb­edarf sieht Karg dennoch – und zwar beim Bund, der mehr tun müsse. „Die Bahn ist ja nur der Hausmeiste­r, Eigentümer ist die Bundesrepu­blik“, so Karg.

Die DB hat bundesweit rund

2700 Stellwerke, davon noch etwa

1000 mit alter Technik. Die Modernisie­rung der nun geplanten 600 Stellwerke soll bis zum Jahr 2023 dauern. Die Bahn rechnet mit Kosten in Höhe von 90 Millionen Euro. Die Finanzieru­ng werde mit dem Bundesverk­ehrsminist­erium besprochen. »Kommentar

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Bei dem Unfall in Aichach war ein Passagierz­ug mit einem stehenden Güterzug zusammenge­stoßen.

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