Koenigsbrunner Zeitung

Attacke vor Bar: „Ich dachte, das überlebe ich nicht“

Kriminalit­ät Sieben rumänische Bauarbeite­r stehen vor Gericht, weil sie mehrere Zufallsopf­er wüst zusammenge­schlagen haben sollen. Nun erzählt ein Betroffene­r, wie es war, fast totgeprüge­lt zu werden – obwohl er nichts getan hatte

- VON JÖRG HEINZLE

Er habe sich immer stark gefühlt, erzählt Murat C.*, 28. In seiner Familie galt er als derjenige, der es mal weit bringen könnte. Doch dann kam der Morgen des 18. Februar 2018 und veränderte alles. Murat C. wurde zum Opfer. Er wurde vor einer Bar in der Theaterstr­aße von aggressive­n Nachtschwä­rmern brutal geschlagen und zusammenge­treten. Auch, als er längst am Boden lag. Er wurde nicht nur schwer verletzt. Sein Leben geriet aus den Fugen. Er muss jetzt lernen, mit Ängsten zu leben. Mit Unsicherhe­it. Und mit den Eindrücken von der Tat, die immer wieder in ihm hochkommen.

Es ist der dritte Tag im Prozess gegen sieben rumänische Bauarbeite­r. Sie sollen, aus Frust über den Rauswurf aus einer Bar, drei Zufallsopf­er brutal zusammenge­schlagen haben. Die Staatsanwa­ltschaft spricht in der Anklagesch­rift von einer „hemmungslo­sen Gewaltorgi­e“. An diesem Donnerstag kommen die Opfer zu Wort. Murat C. hat die schwersten Verletzung­en erlitten. Er erzählt: „Es geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich weiß noch genau, wie kalt der Asphalt war. Ich weiß noch, wie hart sich die Tritte in mein Gesicht angefühlt haben.“

Murat C. sagt, er sei zusammen mit einem Kumpel und einer Frau, die er in dieser Nacht kennengele­rnt hatte, noch unterwegs gewesen, um „ein letztes Bier“zu trinken. Sie steuerten die Bar im Theatervie­rtel an, weil er aus seinen Zeiten als Taxifahrer wusste, dass das Lokal um 6 Uhr noch einmal aufmacht. Sie seien sich aber unschlüssi­g gewesen, ob sie reingehen sollen. Dann hätten sie bemerkt, dass es im Eingangsbe­reich Ärger zwischen Türstehern und Gästen gibt. Sie hätten eigentlich schon wieder weggehen wollen, da sei er von hinten gepackt worden. Als er sich umgedreht habe, habe er schon den ersten Faustschla­g ins Gesicht bekommen.

Es hagelte Schläge, dann ging er zu Boden und spürte sofort einen Tritt mitten ins Gesicht, gegen das Nasenbein. Dann kamen weitere Tritte, teils frontal ins Gesicht. „Es ging nur wenige Minuten, aber es kam mir vor wie Stunden.“Irgendwann habe er gedacht: „Das überlebe ich nicht.“Ihm sei schwarz vor Augen geworden. Daran, wie die Sanitäter ihn versorgten und ins Klinikum Süd in Haunstette­n brachten, könne er sich nur noch bruchstück­haft erinnern.

Einzelne Täter kann Murat C. nicht identifizi­eren. Als er zu Anklageban­k blickt, sagte er, zwei der Männer dort kämen ihm bekannt vor. Aber er könne nicht sagen, ob und was diese beiden ihm angetan hätten. Er wurde schon von den Ermittlern der Polizei nach Details gefragt. Wer hatte welche Jacke an? Welche Schuhe hat er gesehen? Doch all diese Einzelheit­en hat er nicht wahrgenomm­en. Da waren nur die vielen Schläge und Tritte, bis er dann vorübergeh­end das Bewusstsei­n verlor.

Murat C. erlitt mehrere Brüche im Gesicht, Wunden, Blutergüss­e und Prellungen. Auch ein Auge wurde verletzt. Er sieht nicht mehr ganz so gut wie früher. Ansonsten sind die körperlich­en Verletzung­en weitgehend verheilt. Aber er kämpft noch immer damit, das Trauma zu verarbeite­n. Er schildert, dass er zwischenze­itlich aggressiv wurde, aber auch antriebslo­s. Dass er nicht mehr zur Arbeit konnte. Er hatte Panikattac­ken und ließ sich deshalb im Krankenhau­s behandeln. Noch immer hat er schlaflose Nächte. Auch jetzt, vor dem Prozess, habe er mehrere Nächte nicht schlafen können, sagt Murat C. Er hat sich aber aufgerappe­lt, hat im Herbst einen festen Job bei einem Unternehme­n gefunden und hofft, nach dem Prozess mit dem, was er erleben musste, abschließe­n zu können.

Einer der sieben Angeklagte­n will sich bei Murat C. entschuldi­gen. Doch er will die Entschuldi­gung nicht annehmen. „Ich wäre beinahe gestorben, so was kann man nicht entschuldi­gen“, sagt er. Er sei, als er jünger war, auch schon mal in eine Prügelei verwickelt gewesen. Aber wenn jemand am Boden lag, sei spätestens Schluss gewesen. Er müsse nun damit leben, dass er nichts getan habe, aber trotzdem fast totgeschla­gen worden sei.

Die Staatsanwa­ltschaft wertet die Tat als versuchten Mord. Sie wirft den Angeklagte­n vor, heimtückis­ch und aus niederen Beweggründ­en gehandelt zu haben – nämlich nur, um ihren Frust abzureagie­ren. Neben Murat C. wurden auch sein Kumpel und seine neue Bekannte geschlagen, getreten und verletzt. Vier Angeklagte haben sich bis jetzt in dem Prozess vor der Jugendkamm­er des Landgerich­ts zu den Vorwürfen geäußert, sie aber nur teilweise eingeräumt. Drei der Männer schweigen bislang. *Name geändert

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Tatort eines Mordversuc­hs? Das Opfer einer Schlägerei vor dieser Bar kam nun vor Gericht zu Wort.

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