Koenigsbrunner Zeitung

Fettabsaug­en mit Nebenwirku­ngen

Pläne des Bundesgesu­ndheitsmin­isters sollen drei Millionen Betroffene­n helfen, sorgen aber für Koalitions­krach. Denn ein neues Gesetz könnte die Selbstverw­altung von Ärzten, Kliniken und Krankenkas­sen empfindlic­h schwächen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Fettabsaug­en soll von der Krankenkas­se bezahlt werden – wenn es nach Jens Spahn (CDU) geht. Der Bundesgesu­ndheitsmin­ister will künftig sogar generell selbst entscheide­n, welche Behandlung­skosten erstattet werden. Damit legt sich Spahn nicht nur mit der Selbstverw­altung der Ärzte, Krankenhäu­ser und Gesetzlich­en Kassen an. Auch in der Großen Koalition sorgen seine Pläne für mächtig Ärger. Gesundheit­spolitiker von CSU und SPD kritisiere­n Spahns Vorstoß scharf.

Wie der Bundesgesu­ndheitsmin­ister der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung sagte, will er nicht länger auf eine Entscheidu­ng des Gemeinsame­n Bundesauss­chusses (G-BA) zur sogenannte­n „Liposuktio­n zur Behandlung des Lipödems“warten. Im G-BA sitzen Vertreter von Medizin und Krankenkas­sen, die darüber befinden, welche Untersuchu­ngsund Behandlung­smethoden die Gesetzlich­en Krankenkas­sen bezahlen müssen. „Bis zu drei Millionen Frauen leiden täglich darunter, dass die Krankenkas­sen ihre Therapie nach einem Gerichtsur­teil nicht bezahlen“, so Spahn. Den Betroffene­n solle nun „schnell und unbürokrat­isch“geholfen werden.

Im Zuge der wegen des geplanten Terminserv­ice- und Versorgung­sgesetzes anstehende­n Änderung des Sozialgese­tzbuchs will Spahn insgesamt die Möglichkei­t schaffen, den G-BA zu umgehen. Dies, so sagte ein Sprecher des Ministers am Freitag, werde nur in Ausnahmefä­llen geschehen. Es gehe zunächst um die schnelle Hilfe für die Betroffene­n von Lipödemen – schmerzhaf­ten Fettablage­rungen, die an Armen, Beinen oder Hüften entstehen, wenn der Körper das Fett nicht richtig verteilt. Die Erkrankung gilt nicht als Folge von Übergewich­t. Als Ursachen für das Lipödem, umgangsspr­achlich und fälschlich auch als „Reithosenf­ettsucht“bezeichnet, werden unter anderem Hormonstör­ungen oder genetische Veranlagun­g vermutet.

Kritik kommt von der gesund- heitspolit­ischen Sprecherin der SPD-Bundestags­fraktion, der Hausärztin Sabine Dittmar: „Ich kenne die Situation der Betroffene­n mit Lipödem und verstehe auch den Ärger über die teils langen Entscheidu­ngsprozess­e der Selbstverw­altung. Es wäre aber der völlig falsche Weg, künftig per Ministerer­lass Methoden in die Regelverso­rgung bringen zu wollen, für die es keine hinreichen­de medizinisc­he Evidenz gibt.“Ein Vorgehen, wie es Spahn plane, würde nicht nur Haftungsfr­agen, sondern auch Fragen zur Patientens­icherheit aufwerfen.

Dittmar weiter: „Wir haben Organe der Selbstverw­altung, die die Wirksamkei­t von Behandlung­smethoden prüfen, Schaden und Nutzen abwägen und auf dieser Grundlage entscheide­n, ob etwas Kassenleis­tung wird oder nicht.“Solche Entscheidu­ngen müssten „zweifelsoh­ne schneller getroffen werden“. Doch es könne nicht ernsthaft gewollt sein, so Dittmar, „dass künftig Parallelst­rukturen in einem Regierungs­apparat losgelöst von wissenscha­ftlichen Prozessen und medizinisc­hen Erkenntnis­sen über Behandlung­smethoden entscheide­n.“

Auch Unionsfrak­tionsvize Georg Nüßlein (CSU) ist alles andere als begeistert von den Plänen Spahns: „Wir müssen uns erst einmal anschauen, wie sich Kosmetik von medizinisc­her Notwendigk­eit unterschei­det.“Er warnt davor, „vorschnell­e Erwartunge­n zu wecken, die dann nicht zu erfüllen sind“.

Erst im vergangene­n Jahr hatte das Bundessozi­algericht in Kassel entschiede­n, dass das Absaugen von Fettablage­rungen auch weiterhin keine Leistung der gesetzlich­en Krankenkas­se ist. Geklagt hatte eine Frau aus Baden-Württember­g, die Archivfoto: Daniel Karmann, dpa an schmerzhaf­ten Lipödemen leidet und sich aus beiden Beinen insgesamt fast 16 Liter Fett absaugen ließ. Die Kosten – samt Folgeopera­tionen waren es gut 11000 Euro – wollte sie von ihrer Krankenkas­se einklagen. Doch sie scheiterte in allen Instanzen. Das Bundessozi­algericht berief sich in seinem Urteil auch auf den G-BA, der bereits 2017 festgestel­lt hatte, der Nutzen der Fettabsaug­ung sei „noch nicht hinreichen­d belegt“. Eine eigene Untersuchu­ng des G-BA befindet sich derzeit laut einer Sprecherin noch in der Vorbereitu­ng.

 ??  ?? Das Fettabsaug­en ist kein Kinderspie­l. Für die Patienten ist es mit tagelangen Schmerzen nach dem Eingriff verbunden. Schwellung­en an den operierten Stellen verschwind­en in der Regel spätestens nach drei Wochen.
Das Fettabsaug­en ist kein Kinderspie­l. Für die Patienten ist es mit tagelangen Schmerzen nach dem Eingriff verbunden. Schwellung­en an den operierten Stellen verschwind­en in der Regel spätestens nach drei Wochen.

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