Warum Rituale für jedes Paar wichtig sind
Ob bewusst oder unbewusst: Rituale gibt es in jeder Partnerschaft. Selber entwickelte Traditionen und regelmäßig geplante Besonderheiten stärken den Zusammenhalt oft mehr, als Worte sagen können
Den Satz „Wir haben gar keine Rituale!“hörte die Paarberaterin Anke Birnbaum oft zu Beginn der Interviews, die sie für ihre Doktorarbeit mit Paaren machte. „Im Lauf des Gesprächs zählten sich die Partner dann irgendwann auf, wer welchen Hochzeitstag vergessen hat“, berichtet die Hamburgerin amüsiert. Ob man will oder nicht: Rituale gehören zu jeder Beziehung. Gemeint sind damit nicht nur klassische feierliche Anlässe wie Weihnachten oder Geburtstage und deren individuelles „Begehen“und Gestalten.
Fast alles, was ein Paar gemeinsam unternimmt, kann zu einem Ritual werden, auch ganz Alltägliches wie das gemeinsame Frühstück vor der Arbeit, besonders wenn es vielleicht an einem ungewöhnlichen Ort in der Wohnung stattfindet. Auch das gemütliche Kochen zu zweit als Einstieg in ein entspanntes Rendezvous zu Hause oder ein medienfreier Abend ohne Handy, Tablet, Fernseher, Laptop, Smartwatch und PC kann zu einem von beiden Partnern geschätzten Ritual werden.
Entscheidend ist, dass es sich nicht nur um ein zur Routine gewordenes Verhalten handelt, sondern mehr dahintersteckt. Die regelmäßige, gepflegte Verabredung mit dem eigenen Partner, der hinterlegte Zettel mit einer codierten Botschaft, die sonst niemand versteht, das Überraschungsfrühstück und das schräge Date zum Fondue auf dem winterlichen Balkon – die besonderen und alltäglichen Rituale sind nicht nur kurze Verwöhnpausen. Sie stärken den Zusammenhalt und drücken viel mehr aus, als die Partner sich mal eben mit Worten sagen könnten.
Der Verwöhnabend mit Fußmassage und Lieblingsfilm, bei dem man sich abwechselnd etwas Gutes tut, oder jeder einmal für einen ganzen Abend Gast, einmal verwöhnender Gastgeber ist; das regelmäßige Überraschungs-Event für einen Partner; das möglichst oft für Entspannung oder Ausflüge zu zweit reservierte Wochenende, an dem man nicht erreichbar ist – alle diese Unternehmungen sind nicht nur angenehme Ereignisse, sondern sie haben gleichzeitig positive Effekte, die weit über den Tag hinauswirken.
Wie wichtig solche regelmäßigen, kleinen und großen Verabredungen mit dem eigenen Partner sind, wird vielen bewusst, wenn sie nicht mehr stattfinden. Auf manche eingespielte Verhaltensabläufe könnte man dagegen verzichten. „Ein ritualisierter Ablauf kann auch negativ sagt Birnbaum und verweist auf ritualisierte Konflikte oder Schimpfworte. Zum Glück gibt es aber nicht nur die immer gleich ablaufenden Teufelskreise aus Vorwürfen, sondern auch konstruktive Streitrituale, die helfen, einen Konflikt zu begrenzen. „Es gibt Paare, die verkeilen sich über drei Stunden“, sagt Birnbaum und rät Klienten in dieser Situation: „Nehmt es einfach an, dass ihr so aufgeheizt nicht zu einer Konfliktlösung kommt. Gebt euch die Zeit, um abzukühlen!“
Wie diese Auszeit markiert wird, überlässt sie den Paaren, die dafür ganz individuelle Lösungen entwickeln. Wenn man zu wütend ist, um dem anderen zuzuhören, helfe ein humorvoller Code, sagt Birnbaum. Eines „ihrer“Paare sagte in solchen Situationen „Tante Gerda!“, warum immer. „Dann mussten beide lachen und haben es so hingekriegt zu sagen: Okay, wir lassen das jetzt, weil genau das wollen wir nicht“.
Ein anderes Paar erfand das Ritual, dass man notfalls einen Kaffeebecher aus der Toskana in der Mitte des Tischs platzieren konnte. „Das hieß: Ich kann zwar grad nicht mehr, aber ich komm’ wieder, ich versprech’s“, erzählt Birnbaum und betont, dass dieses Konzept sogar bei hochstrittigen Paaren funktionieren könne, wenn beide die nötige Selbstdisziplin aufbringen.
Verbreiteter dürften allerdings Versöhnungsrituale sein, bei denen der Streit mitunter mehr verdrängt als gelöst wird. So könne es auch ritualisiert sein, „dass immer nur der eine Partner sich entschuldigt und eine Wiederannäherung versucht, der andere nicht“, sagt die Hambursein“, Illustration: Mimomy, Adobe Stock ger Paarberaterin. „Rituale sind ein zweischneidiges Schwert – aber sie haben etwas ganz Positives, Verbindendes und stärken das Wirgefühl des Paares. Wer Zweisamkeitsrituale pflegt, hat eine positivere Verbindung und dadurch einen besseren Stresspuffer.“Das gilt nicht nur für sensationelle Wellness-Wochenenden, sondern auch für die tägliche kleine Runde nach der Arbeit mit dem Rad oder zu Fuß, bei der man sich gegenseitig erzählen kann, was der Tag gebracht hat.
Das enorme, „beziehungsnotwendige“Potenzial regelmäßig gepflegter Rituale scheint vielen nicht bewusst zu sein. „In Krisenzeiten werden solche Termine als Erstes über Bord geworfen“, sagt Diplompädagogin Birnbaum. Auch wenn ein Partner beruflichen Stress hat, schiebt man die gemeinsamen Unauch ternehmungen meist ganz nach hinten, weil der andere am ehesten Verständnis hat. Dabei gilt auch für Paar-Rituale „Use it, or loose it“. Wenn sie nicht gepflegt werden, verliert man sie irgendwann ganz und tut sich schwer, wieder mit kleinen Aufmerksamkeiten anzufangen. „Meine Frau lacht sich ja tot, wenn ich ihr jetzt plötzlich wieder kleine Klebezettel-Nachrichten hinlege“, sagte ein Klient zu Birnbaum.
Die Paarberaterin betont, dass die Pflege von Ritualen immer eine Anstrengung voraussetze – wie bei jenem Hamburger Ehepaar, das über fünfzig Jahre lang jeden Mittwoch tanzen ging – allen Hindernissen und Vereitelungsversuchen der Kinder zum Trotz. „Sie haben betont, dass das Arbeit war, das zu pflegen“, berichtet Birnbaum. „Das war eine bewusste Entscheidung.“Sie muss die Paare immer wieder überzeugen, dass man in Beziehungen investieren muss und nicht warten kann, bis beide irgendwann ein Zeitfenster und gleichzeitig spontan romantische Gefühle füreinander haben. Paaren werde heute eine Organisationsund Abgrenzungsleistung abverlangt.
Um bewusst mitten im Alltag ein wohltuendes Date mit dem Partner zu erleben, gilt es nicht nur, den Termin zu verteidigen. Sondern, wenn es so weit ist, auch alle Handys und Medien auszuschalten und sich ganz auf den anderen einzulassen. Gefahr droht den beziehungsbelebenden Bräuchen aber auch von innen: wenn Rituale zu hohlen Pflichtveranstaltungen werden – zumindest für einen Partner. Wen man „Unser Lied“nicht mehr hören kann und beim immer gleichen Urlaubsziel heimlich die Augen verdreht, ist es Zeit, über Veränderungen zu sprechen. Rituale können und sollen „mitwachsen“, sagt Birnbaum. Wenn über Jahrzehnte jeder Geburtstag und jeder Urlaub nach festen Regeln abläuft, bringt das zwar Ordnung in die Beziehung oder gibt Kindern einen Halt. Bei solchen „überritualisierten“Familien besteht aber die Gefahr, dass die Partnerschaft ihre Lebendigkeit verliert.
Haben beide ihr Ding gefunden, lohnt es sich, unbedingt daran festzuhalten wie jene alten tanzenden Eheleute: „Das war für sie so wichtig, diesen gemeinsamen Lebensinhalt zu haben und zu pflegen, dass darüber hinaus eine ganz andere Verbindung entstanden ist.“ »
Rituale müssen mitwachsen, um lebendig zu bleiben