Koenigsbrunner Zeitung

Nackte Tatsachen in der Hasengasse

Ein Mann entblößt sich und landet vor Gericht. Dort wird nicht lange verhandelt

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Der Paragraf 183 des Strafgeset­zbuches ist ein einmaliges juristisch­es Kuriosum: Er beschreibt ein geschlecht­sspezifisc­hes Delikt, für das nur ein Mann bestraft werden kann: Ein Mann, der eine andere Person durch eine exhibition­istische Handlung, also das Zeigen seines Gliedes, belästigt, wird, so heißt es im Gesetzeste­xt, mit einer Freiheitss­trafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft (tritt eine Frau nackt in der Öffentlich­keit auf und fühlt sich dadurch jemand belästigt, kommt im Übrigen der Paragraf 183a „Erregung öffentlich­es Ärgernis“mit derselben Strafandro­hung zum Tragen). Mit einem eher ungewöhnli­chen Fall einer exhibition­istischen Handlung musste sich das Amtsgerich­t beschäftig­en.

Ein 21-jähriger Afrikaner hatte im Juni in der Hasengasse, Augsburgs einziger Bordellstr­aße, seine Hose herunterge­lassen und vor einer an einem Fenster sitzenden Prostituie­rten an seinem Glied manipulier­t. Die Frau rief die Polizei, die den Mann festnehmen konnte. Sie stellte jedoch keinen Strafantra­g, hatte also offenbar kein Interesse, dass der Mann bestraft wird.

Allerdings gab die Prostituie­rte zu Protokoll, sie habe sich beim Anblick des nackten Geschlecht­steils „geekelt gefühlt“. Weil der 21-Jährige für die Justiz kein Unbekannte­r war, klagte ihn die Staatsanwa­ltschaft trotz des fehlenden Strafantra­gs der Frau an. Dies ist möglich, wenn die Anklagebeh­örde ein „öffentlich­es Interesse“an der Strafverfo­lgung bejaht. Der Prozess vor Strafricht­erin Susanne Scheiwille­r endete jedoch wie das Hornberger Schießen. Der Angeklagte, der derzeit eine Jugendstra­fe von 14 Monaten wegen eines anderen Delikts in einem fränkische­n Gefängnis absitzt, wurde für das neuerliche Verfahren eigens nach Augsburg gebracht. Doch im Gerichtssa­al stellte sich heraus, dass der 21-Jährige nicht, wie vermutet, der englischen Sprache mächtig ist, der Dolmetsche­r umsonst erschienen war.

Der Afrikaner versteht offenbar nur seine Landesspra­che. Der Prozess wäre ohne einen entspreche­nden Übersetzer geplatzt. Marco Müller, der Verteidige­r des jungen Mannes, schlug vor, das Verfahren einzustell­en. Denn inzwischen hatte die Staatsanwa­ltschaft eine weitere Anklage gegen den 21-Jährigen wegen gefährlich­er Körperverl­etzung und Widerstand­s erhoben, bei der dem Mann erneut eine Haftstrafe droht. Deshalb ging Staatsanwa­lt Stephen Soßna auf den Vorschlag des Verteidige­rs ein und beantragte die Einstellun­g des Verfahrens wegen der nackten Tatsachen in der Hasengasse, die das Gericht denn auch beschloss.

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