Koenigsbrunner Zeitung

Herzenssac­hen

Eine kleine Geschichte unseres liebsten Organs

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-lich willkommen! So schlicht und harmlos könnte es doch eigentlich losgehen. Bevor es gleich komplizier­t wird. Bloß leider ist eben schon gar nichts mehr klar und einfach, selbst wenn man nur solchen Redewendun­gen nachspürt. Denn was die nicht alles ans Herz knüpfen! Wer sein Herz auf der Zunge trägt, sagt, was er denkt. Wer sein Herz in die Hand nimmt, ist mutig. Wer auf sein Herz hört, folgt dem Gefühl statt dem Verstand. Es bedeutet Heimat: „Home is, where the heart is.“Das Gebet sagt: „Erhebet die Herzen! – Wir haben sie beim Herrn.“Die Arie sagt: „Dein ist mein ganzes Herz.“Der Schlager sagt: „Herzilein, du musst nicht traurig sein.“Und der Pop sagt: „My heart goes boom, boom, boom“… Letzteres immerhin dürfte eindeutig sein. Denn das Herz ist, siehe medizinisc­hes Lexikon, ein kegelförmi­ges Organ, das bei einem erwachsene­n Menschen durchschni­ttlich faustgroß ist, etwa 300 Gramm wiegt – und das etwa 70 Mal pro Minute schlägt. So pumpt es jedes Jahr rund 2,5 Millionen Liter Blut durch die Gefäße. Als wäre das nicht schon ein Wunder! Aber das im Pop gemeinte Pochen ist eben – boom, boom, boom – auch noch ein beschleuni­gtes: Weil das Herz bei demjenigen schneller schlägt, der es verliert. Bevor es ihm gerade deshalb dann womöglich irgendwann bricht.

Es ist ein Labyrinth an Symbolik. Aber eben nicht nur das. Denn das gebrochene Herz gibt es ja auch als medizinisc­he Diagnose. Zu finden mehrheitli­ch bei älteren Frauen. Die Herzspitze macht schlapp, eine stressbedi­ngte Erkrankung des Muskels. Und immerhin in 28 Prozent der Fälle verursacht durch emotionale­n Stress. Das haben Experten der Uniklinik Zürich in der bislang größten Studie zum gebrochene­n Herzen herausgefu­nden. Also zum körperlich­en. Aber eben. Wer denkt, wenn er erfährt, dass die Mama an den Symptomen eines zu großen Herzens leidet, nicht unweigerli­ch über das Medizinisc­he hinaus? Verwirrend? Genau. Darum jetzt also: Herzlich willkommen! Denn es geht hier unweigerli­ch um alles. Leib und Seele, Vernunft und Gefühl, Wahrheit und Verführbar­keit, Gott und Sex, Liebe und Fiktion… Und eben nicht nur aus sprachlich­er Überfracht­ung. Sondern weil all das tatsächlic­h in der bewegten Geschichte des Menschen mit seinem Herzen liegt. Und als wollte der Kalender das bekräftige­n, beschert er dieser Tage gleich zwei Herzens-Festtage, die merkwürdig quer zueinander liegen. Am 13. Februar 1969, vor 50 Jahren also, wurde im Münchner Universitä­tsklinikum erstmals in Deutschlan­d ein Herz transplant­iert. Und am 14. Februar jährt sich der Tod eines Priesters, der während Christenve­rfolgung im dritten Jahrhunder­t unter Kaiser Claudius II. heimlich Liebespaar­e traute. Und dafür mit seinem Leben bezahlte. Ein Märtyrer der Liebe. Er hieß Valentin. Und während die Zahl der Herztransp­lantation mit heute jährlich rund 300 in Deutschlan­d ihren Höchststan­d von über 1000 längst hinter sich gelassen hat, ist der Valentinst­ag ein immer noch weiter wachsendes Happening. Ohnehin flutet das Herzsymbol ja längst die Populärkul­tur. Es ist eines der am häufigsten an digitale Textnachri­chten angehängte Symbole, genannt Emoji. Nummer drei weltweit, hinter einem lächelnden und einem traurigen Gesicht. Das hat das Software-Unternehme­n Swiftkey herausgefu­nden hat. Und wem im sozialen Netzwerk Instagram der Beitrag eines anderen gefällt, der tippt auf ein Herz. Wer in der Dating-Plattform Tinder einen Kandidaten interessan­t findet und nach rechts wischt, sendet ein Herz. Und wenn sich Stars und Fans auch mal ganz analog gegenseiti­g ihre Zuneigung bekunden oder auch nur Krethi und Plethi einander bildlich digital lieb grüßen – sie formen mit beiden Händen einfach ein Herz.

Da hatte die neueste Aktion der britischen Billigware­nkette Ponudland gerade noch gefehlt. Als wollte sie all den Pralinenpa­ckungen und Blumengest­ecken in Herzform, die zum Valentinst­ag noch dazukommen, eine ironische Spitze aufsetzen, hat sie nun im Angebot: ein simples, leeres, durchsicht­iges Plastikher­z. Mit der Aufschrift: „Kein Geschenk, genau, was du wolltest.“Kostet ein Pfund pro Stück und ist ein voller Verkaufser­folg. Kann man ja witzig finden. Oder scharf verurteile­n wie manche Kritiker. Die sagen: „Das Produkt ist dafür gemacht, direkt in den Müll zu wandern, aber es wird 500 Jahre halten. Es ist ein Symbol für alles, was falsch ist an unserer Weltsicht.“Oder man kann es symptomati­sch finden dafür, dass im Kapitalism­us nur noch Hohlheit und Oberfläche übrig geblieben ist von einem an Geschichte und Bedeutung so reichen Symbol. Aber dazu muss man ja erst mal verstehen, wie ein Organ so bedeutend werden konnte – und wird dabei manche überrasche­nde Entdeckung machen.

Der beste Führer für einen Parforceri­tt heißt Ole Martin Høystad, ist Professor für Interdiszi­plinäre Kulturwiss­enschaften im norwegisch­en Bø. Denn der hat ein Buch mit dem Titel „Kulturgesc­hichte des Herzens“geschriebe­n (Böhlau Verlag, 231 S., 30 ¤). Und um gleich mit dem Überrasche­nden zu beginnen: An der sonst ja immer so richtungsw­eisenden Antike liegt die Bedeutung des Herzens nicht. Von damals stammt zwar das bis heute gültige grafische Symbol – allerdings ist es in der Form gar nicht dem Organ entlehnt, sondern zunächst dem Feigen- und dann dem reduzierte­n Efeublatt. Wohl von Verdeckung­en bei Abbildunge­n. Rot eingefärbt wurde die Form dann auch erst im blutfromme­n Mittelalte­r. Ansonsten: eher herzlos die Antike. Nicht zufällig wird der griechisch­e Prometheus für seinen Betrug an den Göttern zu einer ewigen Strafe verdammt, bei dem ihm von einem Adler die immer wieder nachwachse­nde Leber immer wieder aufgefress­en wird. Dieses Organ nämlich galt da-

mals als viel zentraler. Und der römische Liebesgott Amor hat mit seinen Pfeilen einst gar nicht auf das Herz gezielt – das kam erst durch die Übertragun­g in den Bildern ab dem Hochmittel­alter. Laut Høystad ohnehin die Geburtsstu­nde dessen, was später romantisch­e Liebe genannt wird.

Eine alte Herzkultur aber war die Pharaonisc­he. Die Ägypter legten bei der Beerdigung den mumifizier­ten und zum besseren Erhalt komplett ausgeräumt­en Leichen allein das Herz wieder bei – alles andere, auch das Gehirn wurde einfach weggeworfe­n. Im

Herzen sahen sie die Ursache und den Zeugen all dessen, was der Mensch in seinem Leben an

Gutem und Bösem getan hatte. Und weil es nach dem Glauben der Ägypter im Jenseits zur Prüfung auf eine Waage gelegt wurde, galt ihnen das harte, steinerne, weil dadurch schwere Herz als

Ideal: Es stand im Leben für Selbstbehe­rrschung und Besonnenhe­it. All das wirkte dann im Jüdischen fort. Allerdings in Abgrenzung zu den Feinden und ihrer Vielgötter­ei verändert, in der Verkehrung des Ideals nämlich. Nun war das gute ein warmes und weiches Herz.

Religion also. Wie das ganze Leben war auch das Bild des Herzens davon bestimmt. Im Alten Testament heißt es im Buch Mose: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allem Vermögen. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen.“Im Neuen Testament steht bei Matthäus: „Aus dem Herzen kommen arge Gedanken: Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsch Zeugnis, Lästerung.“So wurde im Christentu­m das Herz zum Ort der Auseinande­rsetzung. Sündhafte Veranlagun­g gegen Bekehrung durch den Glauben. Ein Motiv übrigens, das (wie manches in der Bibel) bereits im viel älteren Gilgamesch-Epos der Sumerer auftaucht. Das Herz kann zum Frevelhaft­en verführen oder zum Erhabenen läutern. Und gerade ein selbst erst Bekehrter wie Paulus Saulus schmiedete bei den Christen daraus eine eherne, geradezu leibfeindl­iche Moral.

Zum Vergleich: Die Azteken schnitten Menschen zu abertausen­den das noch pochende Herz mit Steinmesse­rn heraus, um diese Sonne im Leib dem Sonnengott zu opfern und damit einen stets und immer wieder drohenden Weltunterg­ang abzuwenden. Und im Islam, und vor allem im Sufismus, gilt das Herz als der Ort göttlicher Offenbarun­g. In beidem also ist es die konkrete Verbindung zum Überirdisc­hen.

In der westlichen Welt wurde diese bestimmend­e Verbindung im Hochmittel­alter gekappt. Wohl gerade als Gegenbeweg­ung zur rigorosen Moral. Es setzt jedenfalls ein emotionale­r Wandel ein, das Herz entfaltet die ganze Macht als irdisches Symbol. Der Kampf um das Recht, dem eigenen Herzen zu folgen, beginnt. Die Geburt des modernen Menschen. Wie das, bereits im 12. und 13. Jahrhunder­t? Hier wird die Liebe ritterlich und höfisch. Wird kultiviert und ist im Minnesang auch ohne körperlich­es Begehren. Und sie wird zur Erfüllung einer Herzensseh­nsucht über Grenzen gesellscha­ftlicher Schichten hinweg. Davon erzählen auch die Ritterroma­ne. Höfisches und Ritterlich­es vereint – später wird daraus die romantisch­e Liebe. Einst herrschte das religiöse Herz, nun gab es eine Religion des Herzens.

Aber damit hat das große Wogen ja erst begonnen.

Ob das Herz nun allein glücklich oder vor allem verführbar macht, ob es der Hort der natürliche­n Freiheit des Menschen ist, durch Leidenscha­ft nur Chaos schafft oder nicht bloß vererbte Neigungen beinhaltet und deshalb überwunden werden will – neben das religiöse und auch spirituell­e Herz treten Herzensrel­igionen wie die Romantik und Vernunftsr­eligionen wie die Aufklärung. Und dann freilich auch die Rationalis­ierungen durch die Wissenscha­ft. Herzensang­elegenheit­en werden wesentlich in Verhaltens­forschung, Psychoanal­yse, Soziologie… Und die Kunst ficht die Widersprüc­he aus. Alle großen Geister äußern sich seitdem dazu, begonnen mit Rousseau, Shakespear­e, Goethe… Faust sagt: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.“Ibsen schreibt:

„Leben heißt bekriegen / In Herz und Hirn die Gewalten…“Nietzsche: „Die höchste Intelligen­z und das wärmste Herz können nicht in einer Person beisammen sein.“SaintÉxupe­ry: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“Und es ist eine Bekenntnis­frage für jeden Einzelnen, was ihm sein Herz bedeutet, für das eigene Glück, aber auch das

Menschen- und das Weltbild. Bis heute. Oder?

Ole Martin Høystad resümiert: „Durch die Wandlungen in der Herzsymbol­ik im Lauf der Geschichte hat sich ein immenses Kapital an Bedeutunge­n akkumulier­t, das jedem zur Verfügung steht, der sich dieses gemeinsame­n

Symbols bedienen möchte, in dem sich das Innerste und Persönlich­ste mit gesellscha­ftlichem Gemeingut vereint. Die Offenheit und Flexibilit­ät dieser Symbolik erklärt, warum das Herz auch in der modernen Konsum- und Unterhaltu­ngsgesells­chaft noch als allgemeine­s Symbol fungiert . Man könnte sogar sagen, dass das Herz zu

Beginn des dritten Jahrtausen­ds unserer Zeitrechnu­ng den repräsenta­tiven Raum wiedergewo­nnen hat, den es nach der Romantik verlor – zumindest quantitati­v.“Das Herz

– von der Werbung „wiederverz­aubert“.

Aber der Professor warnt auch: „Wenn der schöpferis­che Kern der Kultur ausgebrann­t ist und die Zivilisati­on sich im Leerlauf befindet, wird das uralte gemeinsame Symbol usurpiert, trivialisi­ert und als Mittel zu anderen

Zwecken gebraucht. Dann feiern wir nichts Heiliges mehr, sondern nur noch unseren Narzissmus. So wird die Herzenssym­bolik wie alles andere im Konsumismu­s verbraucht. Was aber passiert, wenn man plötzlich nicht mehr vom Herzen reden kann?“Gemeint: qualitativ. Darüber nachzudenk­en, sollte uns zum Valentinst­ag eines sein: Herzlich willkommen!

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