Koenigsbrunner Zeitung

Wie Brecht die Revolution sah

Den gewaltsame­n Umbruch 1918/19 sah der junge Schriftste­ller, der am Sonntag vor 121 Jahren zur Welt kam, als Fortsetzun­g des Kriegs mit anderen Mitteln. Wer sein Werk liest, kann auch seine Haltung in der Folge entdecken

- VON JÜRGEN HILLESHEIM

Vor hundert Jahren, im Winter 1919, steckte Brecht mitten im Entstehung­sprozess seines Antirevolu­tionsdrama­s „Trommeln in der Nacht“. Auch der „Gesang des Soldaten der Roten Armee“entstand. In ihm prangerte Brecht die Barbarei einer kommunisti­schen Revolution an. Diese negative Sicht der Revolution hat ihre Ursache in seiner Wahrnehmun­g des Leides, das der Erste Weltkrieg mit sich brachte und dem Brecht sich schon während des Krieges in einer Reihe von Gedichten stellte. Er schuf „Soldaten auf verlorenem Posten“, die Opfer sind, jedoch im Krieg auch Schuld auf sich luden, weil sie zur Waffe griffen; Figuren, die in Brechts Werk wiederkehr­en sollten. Die Revolution­sversuche 1918/1919 sah Brecht als Fortsetzun­g dieses Krieges, der Waffengewa­lt, unter anderen gesellscha­ftlichen und ideologisc­hen Vorzeichen. „Trommeln in der Nacht“und der „Gesang des Soldaten der Roten Armee“zeugen davon.

Dass dieser Revolution­spessimism­us bis zu Brechts Lebensende virulent blieb, sich kontinuier­lich manifestie­rte, wird anhand zweier Gedichte gezeigt, die Brecht 1927 in die Hauspostil­le aufnahm und in zwei seiner berühmtest­en Werke wiederkehr­en ließ. Es handelt sich um die 1921/22 entstanden­e „Ballade von dem Soldaten“und um das „Lied der drei Soldaten“(1924).

Die „Ballade von dem Soldaten“beginnt mit einer nüchternen Feststellu­ng, mit einer Banalität, die allerdings richtungsw­eisend ist: Schießgewe­hre sind zum Schießen, Spießmesse­r zum Spießen da. Das entspricht ihrer Bestimmung, deshalb werden sie hergestell­t. Es ist gleichgült­ig, wer sie in der Hand hält, welchem politische­n Ziel, welcher Ideologie sie dienen – sie töten, bringen Unheil. Der Soldat zieht, ohne Not und trotz der Warnungen seines Weibes, in den Krieg und kommt um. Andreas Kragler dage- der Protagonis­t von „Trommeln in der Nacht“, ließ sich nicht von den Räterevolu­tionären vereinnahm­en und die Finger von den Waffen – und überlebte. Wenn auch von egoistisch­en Motiven getrieben, durchbrach er die Gewaltspir­ale und tat letztlich das Richtige. Brecht führt mit dem Soldaten vor, was geschieht, wenn man das Falsche tut.

Dass Brecht mit der „Ballade von dem Soldaten“nicht nur allgemein zu Gewaltfrei­heit aufruft, sondern auch Revolution­skritik betrieb, verrät ein Hinweis. Der nicht beherrschb­are Strom des Krieges heißt Mongefluss. Brecht spielt auf Gaspard Monge, eine schillernd­e Figur der Französisc­hen Revolution, an. Monge war ein begnadeter Naturwisse­nschaftler, Unterstütz­er der Revolution, 1792 ließ er in seiner Eigenschaf­t als Marinemini­ster die Hinrichtun­g König Ludwigs XVI. vollziehen. Und: Er leitete die Gewehrfabr­iken, Geschützgi­eßereien und Pulvermühl­en der Französisc­hen Republik, das heißt, Monge war, modern gesprochen, ihr oberster Rüstungsma­nager. Der Soldat also, der in Übermut in diesen Fluss steigt, lässt sich auf Todbringen­des ein. Da nützt es nichts, wenn die Waffen angeblich im Dienste der Befreiung der Menschheit stehen. Der Einzelne kommt in dem Fluss um, wenn er sich nicht enthält.

Die „Ballade von dem Soldaten“integriert­e Brecht mit Änderungen in „Mutter Courage und ihre Kinder“. Da fungiert sie als liedhafter Einschub, der den kriegerisc­hen Übermut Eilifs, des Sohnes der Courage, kommentier­t. Versteht der Zuschauer die Anspielung, weiß er, dass Eilif umkommen, vom Strom des Elends des Dreißigjäh­rigen Kriegs mitgerisse­n werden wird. Nur wer die Hände von der Waffe lässt, kann den Kreislauf der Gewalt unterbrech­en. Konkret fassbar wird hier die gleichsam pazifistis­che und damit auch antirevolu­tionäre Tendenz dieses großen Theaterstü­cks Brechts. Von einem Aufruf zum begen, waffneten Kampf für die klassenlos­e Gesellscha­ft kann keine Rede sein.

Wenige Jahre später, im „Lied der drei Soldaten“, sind aus „Soldaten auf verlorenem Posten“verwegene Kerle geworden, die, inzwischen psychisch deformiert, mit dem Kriegshand­werk eins geworden sind. Die Armee ist für sie zur sinnstifte­nden, überdauern­den Größe geworden. Die auktoriale Instanz weiß es besser. Ihr Fazit in der dritten Strophe kündet vom Unheil. Die Einzelnen, die Soldaten, sind tot, nur die Armee überdauert. Abermals wird klar: Wer sich einreiht und marschiert, gleich wie die Armee oder das Kollektiv heißen mag, kommt unter die Räder.

Brecht bearbeitet­e das Gedicht und integriert­e es, als Kanonenson­g, in die „Dreigrosch­enoper“. Es wurde zum Ohrwurm. Mackie Messer erzählt damit von seiner Vergangenh­eit. Auch er war keinesfall­s ein „Soldat auf verlorenem Posten“, sondern hat sich das militärisc­he Ethos, die Verrohung und den Verlust an Empathie zu eigen gemacht und feiert sie. So erscheint Mackies soldatisch­e Vorgeschic­hte als Qualifikat­ion, sich als Verbrecher durchzuset­zen und emporzukom­men in veränderte­n gesellscha­ftlichen Bedingunge­n, mit anderen Worten: ein „Städtebewo­hner“zu werden.

So also bietet erlesene Lyrik aus der Augsburger Zeit die Folie für Brechts grundsätzl­ichen Antimilita­rismus, den er in immer neuen Variatione­n vorführt und der er ihn, trotz vielfacher, nicht zuletzt taktisch motivierte­r Annäherung­en, auch dem Kommunismu­s gegenüber letztlich immun bleiben ließ.

***

Jürgen Hillesheim ist Leiter der Brechtfors­chungsstät­te Augsburg

 ?? Foto: Staats- und Stadtbibli­othek ?? Bertolt Brecht mit Ledermante­l.
Foto: Staats- und Stadtbibli­othek Bertolt Brecht mit Ledermante­l.

Newspapers in German

Newspapers from Germany