Was helfen die Götter zum Gutsein?
Ausgerechnet Brecht: Am Aschermittwoch der Künstler 2019 lässt der Augsburger Bischof den Dichter vortragen. Passt das zusammen? Professorin Gerda Riedl weiß wie
Der Bischof von Augsburg lässt dieses Jahr am Aschermittwoch der Künstler nach dem Pontifikalamt Bertolt Brecht vortragen. Wie kam es dazu?
Prof. Gerda Riedl: Prälat Karlheinz Knebel hat die Latte hochgelegt mit seinen Programmen zum Aschermittwoch der Künstler. Sie bieten eine Gelegenheit, aus dem Alltagsgeschäft auszusteigen und über Grundsätzliches nachzudenken. Theater kam bisher noch nicht vor. Bischof Konrad Zdarsa hat die Anregung, in einer Schauspielerlesung Szenen aus Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“vorzutragen, sofort aufgegriffen.
Gab es nicht lange Zeit große Spannungen zwischen der katholischen Kirche und dem marxistischen Religionskritiker Brecht?
Riedl: Wenn es um bestimmte weltanschauliche Fragen ginge, sind zweifellos Fronten da. Was Bert Brecht jedoch mit vielen Katholiken verbindet: Er hatte eine Überzeugung. Zwar eine andere, aber genauso eine Überzeugung. Das unterscheidet sie beide von denen, die meinen, sie wären ohne Überzeugung glücklicher. Diese Gemeinsamkeit mit Brecht hat man vielleicht bislang weniger betont. Sein Parabelstück „Der gute Mensch von Sezuan“verweist darauf, dass die Verhältnisse und die Art, wie sich Menschen in ihnen einrichten und darin agieren, bei weitem nicht zufriedenstellend sind. Dass es diesbezüglich einer Änderung bedarf, auch das ist eine Parallele mit dem, wie wir als Christen die Welt wahrnehmen. Die Zielrichtung, wohin die Änderung stattfindet, und auch die Weise, wie diese Änderung erfolgen soll, unterscheiden sich. Aber warum darüber nicht ins Gespräch kommen?
Im Lehrstück steigen die Götter vom Himmel auf die Erde herab, um gute Menschen zu suchen. Ist das nicht ein jämmerliches Bild ihrer Ohnmacht?
Riedl: Dieser Interpretation stimme ich nicht zu. Das Spannende an dem Stück sind die vielen biblischen Zitate. Brecht ist ein ausgesprochen gebildeter Mann und versteht es hervorragend, in sehr ansprechender, sehr konzentrierter Weise diese intertextuellen Bezüge in sein Werk zu verweben. Diese drei Götter, die in der Provinz Sezuan nach einem guten Menschen Ausschau halten, erinnern an den Besuch der drei Engel bei Abraham. Sie finden in der Prostituierten Shen Te jemand, der als guter Mensch offensichtlich bereit ist, unter Inkaufnahme eigener Nachteile ihnen Herberge zu bieten – eine Anspielung auf die Dirne Rahab im Buch Josua. Und auch Lot könnte man noch nennen, den einzi- gen guten Menschen in der Stadt Sodom. Die Problematik in Brechts Parabelstück konzentriert sich auf die Unmöglichkeit, aus guten Taten Gutes entstehen zu lassen: Was die Götter dieser Shen Te an Gutem tun – sie geben ihr ein Startkapital –, setzt eine Kettenreaktion in Gang, die schlussendlich Shen Te nicht belohnt für ihre gute Tat, sondern sie in noch gravierenderer Weise an die Grenze des existenziellen Ruins bringt.
Also doch ohnmächtige Götter?
Riedl: Es gibt in dem Stück „Das Lied von der Wehrlosigkeit der Götter und der Guten“. Darin wird aus- drücklich die Frage gestellt, warum die Götter nicht mit kriegerischer Gewalt die Verhältnisse ändern. Wollen sie dies nicht mit diesen Methoden tun, dann wäre das mitnichten jämmerlich. Oder können sie es nicht? Der Text gibt dafür keinen Anhaltspunkt: Sie sind in die Welt gekommen, um nach einem guten Menschen Ausschau zu halten, und sind dann sehr enttäuscht über das Ergebnis, das sie vorfinden.
Brecht holt dann den erbarmungslosen Vetter auf die Bühne. Geht’s anders nicht?
Riedl: Dass Shen Te notgedrungen in die Rolle ihres Vetters Shui Ta schlüpft, um mit harter Hand und radikaler Konsequenz das Ruder herumzureißen, verweist den Zuschauer auf das Dilemma, als guter Mensch in dieser Welt zu leben. Brecht spricht vom „Altertum“, in dem der Mensch lebt. In dieser Welt kann er nicht gut sein, obwohl er es möchte. Und er weiß auch nicht, wie und in welche Richtung die Verhältnisse geändert werden müssten.
Und trotzdem fordert Brecht: „Es muss ein guter (Schluss) da sein!“Drückt sich darin Hoffnung aus?
Riedl: Brecht hatte viel Kontakt mit Karl Valentin. Von ihm stammt der denkwürdige Satz: „Der Mensch ist gut, aber die Leut sind schlecht.“Das scheint sich hier als roter Faden durch das Stück zu ziehen. Ich denke schon, dass er Hoffnung auf positive Veränderung hatte, sonst wäre das Stück wohl unveröffentlicht geblieben. Ein Instrument dafür – keine vorgefertigten Antworten – schien Bertolt Brecht ja gerade das epische Theater als Experimentaltheater zu bieten.
Haben Sie als Theologin eine Antwort, wie „Der gute Mensch“zu einem guten Schluss gelangen kann?
Riedl: Als Katholiken sind wir davon überzeugt, dass es uns aus menschlichen Kräften allein nicht gelingen wird, tatsächlich Verhältnisse zu schaffen, in denen der Mensch als guter Mensch leben kann. Neben Bedürfnissen und Begierden problematisiert Brecht vor allem die Herrschaft des Geldes. Das Geld ist in dem Stück geradezu der Katalysator aller Unglücksfälle, die den einzelnen Figuren widerfahren. Und „nicht einmal für Geld“– so lautet es doppeldeutig im Epilog – lässt sich eine Lösung finden. Brechts episches Theater ist Laborarbeit, eine Versuchsanordnung, die hier trotz intensiver Bemühungen nicht zum Erfolg führt. Noch nicht – oder weil es vielleicht überhaupt keine innerweltliche Lösung gibt? Wir Katholiken glauben jedenfalls, dass es tatsächlich des Eingreifens Gottes bedarf, um eine grundlegende Änderung herbeizuführen, und dass dies mit der Menschwerdung Jesu bereits geschehen ist. Eine Perspektive, auch wenn noch immer so vieles im Argen liegt. Termin Der Aschermittwoch der Künstler findet am heutigen Mittwoch um 10 Uhr im Dom in Augsburg statt.