Wo sind die Neuen?
Nach dem Aus für Hummels, Boateng und Müller stellt sich die Frage, wer künftig die Achse der DFB-Elf bilden soll. Die neue Schwachstelle scheint klar
Augsburg Die Worte von Joachim Löw schienen auch einen Tag nach dem Aus von Mats Hummels, Jérôme Boateng und Thomas Müller noch nachzuhallen. „Wir wollen der Mannschaft ein neues Gesicht geben“, hatte der Bundestrainer als Begründung für die Ausmusterung der drei Nationalspieler angeführt. Das Trio kommt zusammen auf 246 Länderspiele – in der Tat muss sich in der DFB-Auswahl nun eine neue Achse formieren. Bei der Suche nach geeignetem Personal dürfte aber auch Löw in manchen Bereichen schnell an Grenzen stoßen.
In der Offensive ändert sich mit dem Verzicht auf Müller relativ wenig. Im neuen Konzept, das Tempofußball vorsieht, spielte der Münchner schon zuvor keine tragende Rolle mehr. Löw scheint auf eine Offensivformation mit dem Münchner Serge Gnabry auf dem rechten Flügel, dem Leipziger Timo Werner im Zentrum und Leroy Sané von ManCity auf links zu setzen – eine vielversprechende Angriffsreihe.
Sané, der noch bei der Weltmeisterschaft überraschend nicht mitfahren durfte, sticht aus diesem Trio heraus. Mit einem Marktwert von 100 Millionen Euro ist er der mit Abstand wertvollste deutsche Spieler und Stammkraft beim englischen Meister. Der ehemalige Schalker steht für die genialen Momente, für schnelle Dribblings und neuerdings auch für spektakulär geschossene Freistöße, wovon sich der FC Schalke kürzlich in der Champions League überzeugen konnte.
Sanés Kreativität wird vor allem dann wichtig werden, wenn die Schwachstelle des deutschen Angriffs zum Tragen kommt – nämlich die, dass es keinen Stoßstürmer mehr gibt. Keine Anspielstation und Kopfballinstanz, wie es früher Miroslav Klose war. Es ist ein Problem, das es auch schon vor dem Aus für Thomas Müller gab. Der BayernKicker ist ein anderer Spielertyp. Wenn auch kein klassischer Mittelstürmer, aber dennoch eine Option in der Angriffszentrale könnte der Dortmunder Marco Reus sein – eine Variante, die Löw etwa beim Test gegen Peru Anfang September testete. Ansonsten dürfte Reus auf einer der Offensivpositionen im Mittelfeld gesetzt sein – wenn er denn fit bleibt. Ist das der Fall, komplettiert er ein Mittelfeld, das seine Stärken eindeutig in der Offensive hat. Der Leverkusener Julian Brandt ist auf den Außenpositionen eine Alternative, seinem hoch veranlagten Vereinskollegen Kai Havertz scheint in der Zentrale die Zukunft zu gehören. Dort dürften derzeit Toni Kroos und Leon Goretzka die Nase vorn haben – zwei Spieler, die als Achter Taktgeber und Motor ihres Teams sein können. Julian Draxler und Ilkay Gündogan stehen in der zweiten Reihe.
Abräumer in der Defensive sucht man aber vergebens. Wie wichtig eine solche Figur ist, demonstrierte Frankreich bei der Weltmeisterschaft mit Ngolo Kanté. Casemiro nimmt bei Real Madrid und den Brasilianern eine ähnliche Rolle ein, Javi Martínez beim FC Bayern. Unter den für die DFB-Elf spielberechtigten Kickern erfüllt am ehesten Emre Can diese Anforderung. Der Turiner ist aber von der Spitzenklasse weit entfernt. Joshua Kimmich wäre wohl die Idealbesetzung im defensiven Mittelfeld – der wird aber rechts hinten benötigt.
Ohnehin liegen die Defizite der DFB-Auswahl eindeutig in der Defensive. Während Kimmich auf dem Außenposten nahezu konkurrenzlos ist, erfüllen links weder der Hoffenheimer Nico Schulz noch der Kölner Jonas Hector höchste Ansprüche. In der Zentrale scheint Niklas Süle nach dem Aus für Hummels und Boateng gesetzt zu sein – aber wer steht neben ihm? Antonio Rüdiger vom FC Chelsea leistet sich bei aller Klasse immer wieder schwere Aussetzer – Löw schätzt aber dessen Athletik. Der Gladbacher Matthias Ginter ist solide. Jonathan Tah kommt seit Jahren nicht über den Status des Ergänzungsspielers hinaus. Die besten Aktien neben Süle scheinen Thilo Kehrer zu gehören, der bei Paris zum Stammpersonal gehört. Ob einer der Verteidiger eines Tages zu jener Spieleröffnung fähig ist, die Hummels lange ausgezeichnet hat? Bislang nicht.
Gibt es im Tor bald die nächste Wachablösung? Der 32-jährige Manuel Neuer, der immer wieder von Verletzungen gestoppt wird, hat seine Souveränität der vergangenen Jahre verloren. Marc-André ter Stegen präsentiert sich hingegen seit zwei Jahren beim FC Barcelona in überragender Form.
Der 26-Jährige hielt lange still, akzeptierte auch den Nummer-einsStatus Neuers bei der Weltmeisterschaft – und meldete nun Ansprüche an, „den Umbruch auf der TorwartPosition vollziehen“zu wollen.
Löw gestand ter Stegen, dem neben Sané wertvollsten Deutschen, künftig mehr Einsatzzeiten zu und betonte am Rande des Spiels zwischen Real und Barça – ein Spiel, in dem ter Stegen einmal mehr brillierte: „Dieses Jahr haben wir einen kleinen Neubeginn.“Das ist dann doch etwas untertrieben.