Der Praxis-Knigge
Interview In speziellen Kursen lernen Ärzte und ihre Mitarbeiter, taktvoll mit Patienten umzugehen. Denn im täglichen Stress kann das manchmal untergehen. Was die Fachfrau rät
geht man wertschätzend mit Patienten um? Welche Höflichkeitsformen sind bei der Begrüßung Standard? Was gilt als Fauxpas? Die Münchner Kommunikationstrainerin Janine Katharina Pötsch bietet Seminare für Gesundheitsberufe an. Darin trainieren Mitarbeiter von Arztpraxen, sich in jeder Situation kompetent zu verhalten. Im Interview berichtet die Knigge-Trainerin von ihren Erfahrungen.
Frau Pötsch, Sie veranstalten KniggeKurse für Arztpraxen. Haben die es nötig ...? Pötsch:
„Nötig“ist das falsche Wort. Grundsätzlich gilt: Man lernt nie aus. Im Kurs geht es vor allem um die Themen Kommunikation, Wertschätzung, stilsicherer Umgang mit unterschiedlichen Patiententypen, Respekt und Teambuilding. Das Stichwort Knigge ist schließlich ein weites Feld. Da geht es nicht nur um Benimmregeln im engeren Sinn.
Was hat Sie auf die Idee gebracht, dieses Angebot zu machen? Pötsch:
Ich bin Privat-Patientin und habe in dieser Rolle meine Beobachtungen in vielen Praxen gemacht, zum Beispiel beim Zahnarzt. Da ich einen kleinen Mund habe, bin ich in dem Bereich sehr empfindlich. Das können einige zahnmedizinische Fachangestellte meines Erachtens nach manchmal nur schwer nachempfinden. Jedenfalls wurden mir schon Dinge gesagt wie „Nun haben Sie sich mal nicht so“. Ich denke, da haben sich die Mitarbeiter in der einen Praxis nicht gut in meine Situation hineinversetzen können. Im Kurs finden daher auch sehr viele Fallstudien aus der Sicht von Patienten als Rollenspiele statt.
Wie sieht das genau aus?
Pötsch:
Als Business-Coach und Trainerin bin ich auch eine Schauspielerin und schlüpfe in unterschiedliche Patientenrollen, zum Beispiel in die Rolle einer verärgerten Patientin, die in der Praxis anruft. Anschließend schildere ich den Mitarbeitern, wie ich das Gespräch empfunden habe. Oder die Mitarbeiter schlüpfen in Rollen und ich gebe ihnen Tipps, welches Verhalten und welche Art von Kommunikation beim jeweiligen Patiententyp gut ankommt. Ich bin davon überzeugt, dass viele Missverständnisse daraus resultieren, dass man die Situation des anderen zu wenig kennt.
Wie reagieren die Teilnehmer darauf?
Pötsch:
Da kommt es öfter zu AhaEffekten. Ich bin der Meinung, dass viele Mitarbeiter zwar die nötige Fachkompetenz haben, es ihnen aber teilweise durch den oft stressigen Alltag an Feingefühl oder Sozialkompetenz in kritischen Situationen fehlt. Das kommt in der Ausbildung oft zu kurz. Hinzu kommt noch, dass Ärzte und Helfer es mit sehr vielen verschiedenen Menschen zu tun haben, die ihrerseits wieder ganz unterschiedlich reagieren. DaWie besprechen wir, welche Patiententypen es gibt und wie man am besten mit ihnen umgeht.
Welche Typen unterscheiden Sie?
Pötsch:
Es gibt zum Beispiel solche, die schnell unverschämt und aggressiv werden. Andere haben sich im Internet schon viel angelesen und treten manchmal überheblich auf. Außerdem gibt es ausländische Patienten, mit denen die Kommunikation schwierig sein kann. Und Angst-Patienten. Im Kurs erarbeiten wir auch einen gemeinsamen Leitfaden, an dem sich alle Mitarbeiter orientieren können. Das ist wichtig, damit die Praxis nach außen hin einheitlich auftritt. Wie reagiert man als Mitarbeiter am besten, wenn jemand am Telefon ruppig wird? Pötsch:
Als Erstes gilt die Regel: nicht persönlich nehmen! Ansonsten ermutige ich meine Kursteilnehmer immer dazu, Grenzen zu setzen und bestimmte Dinge nicht zuzulassen – sich zum Beispiel nicht duzen zu lassen. Bei manchen Patienten muss man regelrecht Erziehungsarbeit leisten. Das ist auch dann der Fall, wenn Leute permanent zu spät kommen.
Wie die Patienten solche Situationen erleben, erfahren Sie allerdings nicht. Pötsch:
Nein, das geht über das Basic-Seminar hinaus. Interessierten Praxen biete ich das als Paket an, bei dem ich die Praxis ein paar Tage vor Beginn des Kurses als Testpatientin besuche. Ich mache dazu einen Termin aus und setze mich wie alle anderen ins Wartezimmer. Dabei bin ich ganz diskret, damit ich nicht auffalle. Nachher bespreche ich mit dem Team im Workshop das, was mir positiv und negativ aufgefallen ist.
Woran kann es denn etwa haken?
Pötsch:
In älteren Praxen wird manchmal noch zu wenig auf Diskretion geachtet. Da kann es sein, dass man im Empfangsbereich oder Wartezimmer Dinge zu hören bekommt, die vertraulich behandelt werden sollten. Ich frage die Kursteilnehmer dann, wie sie es empfinher den würden, wenn jemand laut vor allen Leuten verkünden würde: „Ihre Prothese können Sie nächste Woche abholen!“Mitarbeiter müssen lernen, mit Dingen, die brisant oder peinlich sein könnten, mit Feingefühl umzugehen. Und zum Beispiel zu sagen: „Herr Maier, können wir kurz in ein anderes Zimmer gehen?“
Patienten fühlen sich manchmal von Ärzten abgefertigt, weil diese oft nur wenig Zeit für sie haben. Können Umgangsformen daran etwas ändern? Pötsch:
Oh ja, durchaus. Zum Teil fehlt es Ärzten an Herzlichkeit. Statt wortlos ein Rezept auszustellen, könnten sie auch etwas unverbindlich Freundliches sagen wie: „Seien Sie froh, dass Sie nichts Ernsthaftes haben. Wenn Sie noch Fragen haben, dann melden Sie sich wieder“. Auch mit Höflichkeitsfloskeln wie „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!“sorgt man für eine gute Grundstimmung. Das Wesentliche ist, dass der Patient sich wohlfühlt.
Im Wartezimmer wird die Zeit dagegen lang. In manchen Praxen dauert es Stunden, bis man dran ist. Können Arzthelfer etwas tun, um die Patienten bei Laune zu halten? Pötsch:
Um die Terminorganisation geht es im Kurs nicht. In jeder Praxis kann aber etwas Unvorhergesehenes passieren. Wenn klar ist, dass Patienten wegen eines Notfalls länger warten müssen, sollten die Mitarbeiter auf jeden Fall Bescheid geben. Dann haben die Leute eher Verständnis für die lange Wartezeit.
Auf dem Kursprogramm steht auch das Thema Kleidung. Legen Patienten Wert darauf, dass ihnen Mitarbeiter in schicken Outfits gegenübertreten? Pötsch:
Schick muss es nicht unbedingt sein, aber ich finde einen Einheitslook wichtig. Das gilt auch für die Schuhe. Außerdem sollten bestimmte Regeln eingehalten werden – zum Beispiel, dass die Hosen nicht zu durchsichtig und die T-Shirts gebügelt sind. Auch wilde Piercings, bunt gefärbte Haare und riesige Tattoos machen keinen guten Eindruck. In Gesundheitsberufen kommt es auf Reinlichkeit und Ästhetik an. Einmal wurde ich in einer PrivatPraxis von einer Dame empfangen, die auffällig viel teuren Schmuck und eine teure Schweizer Uhr trug. Als sie sich als Arzthelferin entpuppte und mir eine Spritze geben wollte, wurde mir ganz bang, weil ich ihr das gar nicht zutraute. Ich dachte, sie wäre die Praxis-Managerin oder die Chefarztsekretärin. Auch ein solches Outfit ist also unpassend. Ich finde, das äußere Erscheinungsbild von medizinischen Fachangestellten sollte zurückhaltend sein.
Tipps für den Arztbesuch
Interview: Angela Stoll Janine Katharina Pötsch,