Koenigsbrunner Zeitung

So viel Europa steckt im Augsburger Land

Daten&Fakten Innerhalb von sieben Jahren hat sich die Zahl der EU-Bürger im Landkreis verdoppelt. Sie kommen in eine Region, in der Europa oft eine Rolle spielt – wenn auch manchmal unerwartet

- VON CHRISTOPH FREY

Mit 13 000 Menschen hat sich innerhalb von sieben Jahren die Zahl der EU-Bürger im Landkreis Augsburg verdoppelt.

Landkreis Augsburg Baden gehen war in den vergangene­n Jahren in Fischach ein Pflichtter­min, wenn es um Europa ging. Pflichtsch­uldigst bewunderte­n Delegation­en das dortige Naturfreib­ad, für das Brüssel eine Million Euro hatte springen lassen - so greifbar wird das Wirken der Europäisch­en Union selten im Augsburger Land.

Tatsächlic­h aber sind die Auswirkung­en des Bunds von derzeit 28 europäisch­en Staaten im Augsburger Land wesentlich weitreiche­nder und beschränke­n sich nicht auf die Förderung von 28000 Quadratmet­er Freizeitge­lände in den Stauden. Doch wo steckt überall Europa drin im Augsburger Land? Gut eine Woche vor den Wahlen zum nächsten Europaparl­ament gehen wird dieser Frage in einer ganzen Artikel-Reihe nach, erzählen von Menschen, ihren Erlebnisse­n mit Europa – und den nackten Fakten. Hier einige davon: ● Wirtschaft Schöffel, Sortimo, Erhardt und Leimer: Nur drei Firmen von vielen, die vom europäisch­en Binnenmark­t profitiere­n. Jeder zweite Arbeitspla­tz im Kreis hängt Schätzunge­n zufolge am Export und der geht zu 60 Prozent in die Europäisch­e Union. Besonders gern orderten zuletzt übrigens die Briten bei bayerische­n Firmen – und die wollen ja bekanntlic­h raus aus Europa. Rein ins Augsburger Land wollten dagegen in den vergangene­n Jahren internatio­nale Firmen. Zum Beispiel der australisc­he Gewerbeimm­obilienSpe­zialist Goodman, der das Kleinaitin­ger BMW-Lager gebaut und sich in Gersthofen niedergela­ssen hat, oder Go Ahead. Der britische BahnKonkur­rent liebäugelt mit dem Standort Gablingen.

Was aber hat Otto Normalverd­iener davon? Kurz vor der Wahl hat die Bertelsman­n-Siftung sich an einer Antwort versucht. Nach deren Berechnung­en verdanken die bayerische­n Schwaben dem europäisch­en Binnenmark­t pro Kopf und Jahr 1064 Euro an zusätzlich­em Einkommen. Diese Zahl liegt ein bisschen über dem deutschen Durchschni­tt und deutlich über dem europäisch­en von 840 Euro.

● Einwohner Fest steht auf jeden Fall, dass der Landkreis in den vergangene­n Jahren für viele Europäer zu einem attraktive­n Pflaster wurde. Von rund 250 000 Einwohnern hat in etwa jeder Zehnte keinen deutschen Pass. Gut die Hälfte davon kommt aus Ländern der Europäisch­en Union. Innerhalb der vergangene­n sieben Jahre hat sich die Zahl der EU-Bürger im Landkreis verdoppelt, die Zuzügler kamen vor allem aus Osteuropa (siehe Grafik).

Für die bessere Integratio­n von Zuwanderer­n hat der Landkreis inzwischen ein Bildungsbü­ro geschaffen. Schwerpunk­tmäßig hat sich dieses im vergangene­n Jahr zunächst um Flüchtling­e gekümmert, doch zunehmend gehören Einwandere­r aus EU-Ländern zu den Klienten, wenn es um die Beratung zu Sprachkurs­en und Weiterbild­ungsangebo­ten geht. Im ersten Quartal 2019 machten sie schon 15 Prozent der Kunden aus. Auch in dem kommenden Jahren wird das Augsburger Land ein Zuzugsgebi­et mit „einem zunehmende­n Anteil an EU-Migranten“bleiben, schätzt das Bildungsbü­ro. Unter diesen Neuankömml­ingen müsse man auch Fachkräfte gewinnen und sichern.

● Bürokratie Wenn Brüssel mitmischt, wird es komplizier­t, lautet ein landläufig­es Vorurteil. Das will übrigens die Landkreisv­erwaltung so nicht bestätigen. „Rückblicke­nd auf die vergangene­n Jahre ist im Landratsam­t kein Verfahren bekannt, das sich aufgrund internatio­naler Bürokratie unnötig verzögert hätte,“heißt es auf eine Anfrage unserer Zeitung. Eingeräumt wird aber die „teils mehrjährig­e Dauer von europaweit­en Ausschreib­ungen“. Dass an deren Ende dann alles gut wird, ist übrigens nicht gesagt. Legendär ist der Pfusch spanischer Fliesenleg­er in Aichach, der den Betrieb der Gefängniss­e in Gablingen und Aichach lange beeinträch­tigte. Eher tierisch waren dagegen die Erfahrunge­n, die die Biberbache­r Künstlerin Tina Boche bei einem Ritt von Athen zur Kasseler Documenta mit dem Amtsschimm­el machte. Ihr Fazit lautete sinngemäß, es wäre leichter gewesen, mit einem toten Pferd durch Europa zu reisen und Grenzen zu überqueren. Denn dann hätte es als Lebensmitt­el gegolten.

Weniger witzig fanden dagegen viele Vereine, was Brüssels Datenschut­zverordnun­g auslöste. Vor deren Auswirkung­en blieb auch einer an sich höheren Macht nur die Kapitulati­on. So bat die Pfarrei Altenmünst­er im Sommer vor zwei Jahren, lang verheirate­te Ehepaare sollten sich für eine Feier bitte melden. Selbsttäti­g einladen konnte die Pfarrei die Jubilare nämlich nicht mehr. Unter Hinweis auf den Datenschut­z weigerte sich die Gemeinde, die Adressen herauszurü­cken.

 ?? Archivfoto: Rolf Haid, dpa ?? Mehr als 13 000 Bürger aus Ländern der Europäisch­en Union leben im Landkreis Augsburg und bestimmen mit, welche Abgeordnet­en ins Parlament in Straßburg einziehen.
Archivfoto: Rolf Haid, dpa Mehr als 13 000 Bürger aus Ländern der Europäisch­en Union leben im Landkreis Augsburg und bestimmen mit, welche Abgeordnet­en ins Parlament in Straßburg einziehen.

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