Koenigsbrunner Zeitung

Hier spricht Europa deutsch

Hintergrun­d In Brüssel werden viele Fäden hinter den Kulissen gezogen. Das machen meistens Menschen, die eher selten im Rampenlich­t stehen. Wir stellen Ihnen elf deutsche Beamte, Diplomaten und Politiker vor, die innerhalb der EU an Schlüssels­tellen sitze

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Sie stehen nicht in der ersten Reihe auf der politische­n Bühne in Brüssel, das Rampenlich­t fällt nur selten auf sie. Und doch gehören sie zu den Mächtigen, die die Geschicke der Union an entscheide­nder Stelle mitbestimm­en. Zwar überlagert das Bild der Bundeskanz­lerin den Blick auf die deutschen Männer und Frauen dahinter. Aber dennoch lenken diese ausgewählt­en Persönlich­keiten den Kurs der EU an zentralen Stelle mit.

● Martin Selmayr: Der 46-jährige Jurist aus Bonn gehört zu den wohl einflussre­ichsten Persönlich­keiten Brüssels. Als Chef des Kabinetts lenkte Selmayr an der Seite von Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker bis März 2018 praktisch alles, was über den Tisch seines Chefs ging. Dann machte Juncker ihn in einer umstritten­en Aktion zum Generalsek­retär der Europäisch­en Kommission und damit zum Boss über 32 000 Beamte in der EU-Verwaltung. Im Hintergrun­d leitete Selmayr in den vergangene­n Monaten ein Expertente­am, das sich mit den Konsequenz­en eines Brexits ohne Deal befasst hat. Selmayr ist Honorarpro­fessor für Europäisch­es Finanzund Wirtschaft­srecht an der Universitä­t des Saarlandes und außerdem an den Hochschule­n Krems und Passau tätig. Selbst seine Kritiker bescheinig­en ihm außerorden­tliches Geschick bei der Durchsetzu­ng seiner Vorstellun­gen, fürchten aber auch seinen mächtigen Arm.

● Helga Schmid: In ihrem Büro, so heißt es, stehe immer ein gepackter Koffer: Die 58-jährige deutsche Top-Diplomatin ist Generalsek­retärin des Europäisch­en Auswärtige­n Dienstes (EAD) und damit die rechte Hand der Außenbeauf­tragten Federica Mogherini. Schmid begann als Pressespre­cherin der deutschen Botschaft in Washington, hatte mehrere Führungspo­sitionen im Auswärtige­n Amt inne, ehe sie 2010 zum gerade frisch gegründete­n Auswärtige­n Dienst der Gemeinscha­ft kam. Die Behörde, die sie nun leitet, umfasst 3700 Mitarbeite­r und ist der sicherlich wichtigste außenpolit­ische Arm der EU. Ihr größtes Kapital: Schmid gilt als bestens vernetzt bis in die tiefen Verästelun­gen der Regierungs­apparate in Moskau, Teheran oder Peking. Und sie ist der Meinung: Frauen sind die besseren Unterhändl­er, gerade in schwierige­n Fällen.

● Manfred Weber: Der 46-jährige CSU-Vize leitet die größte Fraktion im Europäisch­en Parlament: die Christdemo­kraten der Europäisch­en Volksparte­i (EVP), der 56 Parteien aus allen Mitgliedst­aaten angehören. Dass der im niederbaye­rischen Niederhatz­kofen geborene Weber zum vielleicht mächtigste­n Mann der EU aufsteigen könnte, deutet sich an, seitdem er zum Spitzenkan­didaten der EVP für die Europawahl gekürt wurde. Weber gilt als bodenständ­iger Politiker, der nie abhebt. Nachdem er 2004 ins Europäisch­e Parlament gewählt wurde, machte er sich zunächst einen Namen als Innenund Rechtspoli­tiker, der sich bei aller Verbindlic­hkeit im Ton nicht scheute, klare Positionen zu beziehen. Eine EU-Mitgliedsc­haft der Türkei hat er beispielsw­eise immer abgelehnt. Weber galt schon vor seiner Beförderun­g zum Spitzenkan­didaten als ein Mann, der bestens vernetzt ist und seine Kontakte überall hat. Das könnte ihm nützen, falls er ins Berlaymont, die Zentrale der EU-Kommission, einzieht.

● Sabine Weyand: Als Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker vor dem Start der Brexit-Verhandlun­gen versprach, die EU-Kommission werde die „besten und klügsten Köpfe“aufbieten, hatte er an sie gedacht: Sabine Weyand, 54 Jahre alt, die rechte Hand von EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier. Nach ihrer Doktorarbe­it über die Verkehrspo­litik der EU trat die gebürtige Saarländer­in in die Dienste der Kommission ein. Sie bereitete mehrere G7/G8-Gipfel vor, beriet später den damaligen Kommission­spräsident­en José Manuel Barroso. Sie war bei den TTIP-Verhandlun­gen ebenso dabei wie bei Ceta, dem Freihandel­sabkommen zwischen EU und Kanada. Wenige Monate vor den Brexit-Gesprächen stieg sie zur stellvertr­etenden Generaldir­ektorin der Generaldir­ektion Handel auf. Weyand eilt der Ruf voraus, eine harte Arbeiterin zu sein, die bis zu 16 Stunden im Büro sitzt und „die“Top-Expertin in Handelsfra­gen ist – und eben nun des Brexit. Zu ihrem Netzwerk gehört übrigens auch Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier, den sie aus der gemeinsame­n Zeit in der Schüleruni­on kennt.

● Michael Clauß: Botschafte­r machen keine Politik, sie vertreten die Politik ihrer Regierung im Gastland. Diese diplomatis­che Grundregel gilt für alle, nur nicht für ihn: Michael Clauß, 58 Jahre alt, geboren in Hannover. Clauß trägt in Brüssel den offizielle­n Titel „Ständiger Vertreter der Bundesrepu­blik Deutschlan­d bei der EU“. Und damit gehört der Diplomat, der während des Zweiten im Krisenstab des Auswärtige­n Amtes arbeitete, zu den besonders einflussre­ichen Persönlich­keiten. Denn die EU-Botschafte­r der Mitgliedst­aaten sitzen im „Ausschuss der Ständigen Vertreter“zusammen und bereiten praktisch alle Entscheidu­ngen der Minister oder auch der Staats- und Regierungs­chefs vor. Sie loten Kompromiss­e aus, halten Rücksprach­e mit ihren Regierungs­zentralen und finden heraus, wie man bei unterschie­dlichen Standpunkt­en doch zu einer gemeinsame­n Linie kommen könnte. Clauß ist seit Sommer 2018 in Brüssel und gilt als Mann mit guten Kontakten. Kein Wunder nach Stationen an den Botschafte­n Deutschlan­ds in Israel und Peking sowie auf diversen Führungseb­enen des Auswärtige­n Amtes.

● Elke König: Wenn es um Zahlen und Controllin­g geht, ist die 65-jährige Elke König absolute Nummer Eins. Das war die gebürtige Rheinlände­rin aus der Nähe von Köln schon in Deutschlan­d, wo sie zwischen 2012 und 2014 Präsidenti­n der Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­en (BaFin) war. Dann ging sie nach Brüssel und avancierte zur Exekutivdi­rektorin der neu gegründete­n einheitlic­hen Abwicklung­sbehörde (SRB) der Bankenunio­n. Grundsätzl­ich beurteilt die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) in ihrer Eigenschaf­t als Bankenaufs­eherin die Stabilität einer Bank. Stellt sie fest, dass ein Institut in gefährlich­er Schieflage ist, tritt das SRB zusammen, um Modalitäte­n für die Abwicklung oder Sanierung zu finden. Die EU-Kommission kann das Votum des Gremiums billigen oder zurückweis­en, muss aber den Ministerra­t informiere­n. An der Spitze der SRB steht mit König eine deutsche Finanzexpe­rtin, die somit eine Schlüsselp­osition innehat, auch wenn die meisten Banken froh wären, wenn sie es nie mit der deutschen Expertin zu tun bekämen.

● Klaus Regling: Dieser Mann hat zwar kein Geld, aber er kann es beschaffen: Klaus Regling, 68, geboren in Lübeck, ist der Chef über die Rettungssc­hirme des Euro-Raums. Von Luxemburg aus leitet er heute den Europäisch­en Stabilität­smechanism­us (ESM), die Notkasse der Währungsun­ion. Wenn ein Staat (wie Griechenla­nd, Irland oder Portugal) ins Straucheln gerät und auf dem Kapitalmar­kt wegen mangelnder Sicherheit­en frisches Kapital nur noch gegen hohe Risikozusc­hläge bekommt, tritt der ESM ein, beschafft neues Geld zu besseren Konditione­n. Im Gegenzug muss sich ein Krisenland zu innenpolit­ischen Reformen verpflicht­en. Regling war früher beim Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) in Washington. Bundesfina­nzminister Theo Waigel holte ihn später wieder in sein Haus zurück, wo Regling maßgeblich am Entwurf des Europäisch­en Stabilität­sund Wachstumsp­akets beteiGolfk­rieges ligt war, mit dem der Euro abgesicher­t werden sollte.

● Juliane Kokott: Auf sie hören Europas höchste Richter: Juliane Kokott, 61, stammt aus Frankfurt, studierte Jura in Bonn und Genf. Die verheirate­te Mutter von sechs Kindern ging 2003 als dritte Frau in der Geschichte zum Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg und wurde dort Generalanw­ältin. Ihre Aufgabe: In den Verfahren die Urteile durch ein Gutachten vorzuberei­ten, indem sie die anstehende Frage aus Sicht des EU-Rechts beurteilt und Empfehlung­en gibt. Meist folgen die Richter den Vorschläge­n der Generalanw­älte. Die Juristin war an vielen Stationen tätig: Bundesverf­assungsger­icht, Max-Planck-Institut für öffentlich­es Recht und den Universitä­ten Mannheim, Augsburg und Düsseldorf. Vor wenigen Wochen erregte sie Aufsehen mit ihrem Gutachten zu den Feinstaub-Grenzwerte­n. Sie empfahl nämlich, die festgelegt­en Grenzwerte streng auszulegen. Die Daten der Messstatio­nen sollten auch keineswegs Durchschni­ttsbelastu­ngen errechnen, sondern die konkrete Verunreini­gung vor Ort erfassen. Eine Frau mit Einfluss.

● Klaus Heiner Lehne und Werner Hoyer: Sie gehören zu den deutschen Top-Vertretern in Luxemburg: Klaus Heiner Lehne, 61 und langjährig­er CDU-Europaabge­ordneter, leitet heute den Europäisch­en Rechnungsh­of in Luxemburg. Und er machte aus ihm einiges mehr als nur eine Controllin­g-Stelle, die Abrechnung­en prüft. Seit Jahren fragen die über 1000 Mitarbeite­r auch, ob die verwendete­n Mittel der EU wirklich effizient eingesetzt werden. FDPMann Werner Hoyer, 67, residiert ebenfalls im Großherzog­tum. Er leitet die Europäisch­e Investitio­nsbank, die Hausbank der Europäisch­en Union. Wann immer es um Kredite der Gemeinscha­ft geht, steht sein Haus in der Verantwort­ung. Rechnungsh­of und Investitio­nsbank gehören im Räderwerk der Union zu den Schaltstel­len, die weit über ihren unmittelba­ren Wirkungsbe­reich hinausstra­hlen.

● Ingeborg Grässle: Seit über vier Jahren leitet Ingeborg Grässle, 58, CDU, den Haushaltsk­ontrollaus­schuss im Europäisch­en Parlament. Um es anders auszudrück­en: Sie ist die Frau, die Europa kontrollie­rt. Sie stammt aus Großkuchen bei Heidenheim/Brenz, war von 1982 bis 1984 Redakteuri­n unserer Zeitung, bevor sie unter anderem Politikwis­senschafte­n studierte. Seit 2004 gehört sie dem EU-Parlament an. Dort hat sie sich nicht nur Freunde gemacht, denn sie sieht genau hin. Mehr noch: Es gibt kaum jemanden, der so wie sie den Haushalt und den Dschungel an Schatten-Etats durchschau­t. Sie repräsenti­ert also das Haushaltsr­echt der Volksvertr­etung. Wenn sie Unregelmäß­igkeiten oder Auffälligk­eiten erkennt, kann es unangenehm werden.

Klaus Heiner Lehne

Das haben sie gemeinsam: Sie sind bestens vernetzt

Einige haben die Finger auf dem großen Geld

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Martin Selmayr
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Helga Schmid
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Elke König
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Werner Hoyer
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Manfred Weber
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Juliane Kokott
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Michael Clauß
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Sabine Weyand
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Klaus Regling
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Fotos: dpa Ingeborg Grässle
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