Koenigsbrunner Zeitung

Eine Geigerin im Hochgebirg­e

Mozartfest Isabelle Faust, deren Karriere zum Weltstar einst in Augsburg begann, stemmt Bachs sämtliche Solowerke an einem Abend – eine Sensation

- VON STEFAN DOSCH der einer mehrstimmi­g standing ovation.

Die Sterne standen günstig damals für den zum ersten Mal ausgetrage­nen Leopold-Mozart-Violinwett­bewerb in Augsburg. Denn die 15-Jährige, die 1987 den 1. Preis gewann, ist heute eine der großen Geigerinne­n auf diesem Planeten: Isabelle Faust. Im Rahmen des Mozartfest­s kehrte sie jetzt mit einem reinen Bach-Programm in die Stadt ihres frühen Triumphes zurück, wunderbar terminiert zum Jubiläum von Leopold Mozart. Denn wenn Mozart mit seiner „Gründliche­n Violinschu­le“ein Lehrbuch vorgelegt hat, das bis heute Relevanz besitzt, so ist es Johann Sebastian Bach, von dem Repertoire-Klassiker für die Geige stammt: die „sei solo“, die „sechs Solo“-Sonaten und -Partiten für Violine.

Die Hälfte von diesem Hochgebirg­e zu bezwingen, füllt locker ein ganzes Konzert. Wer als Hörer mit dreien dieser enorm verdichtet­en Werke konfrontie­rt ist, hat genug zu verarbeite­n und der ausführend­e Interpret reichlich zu tun. Isabelle Faust jedoch legt die Latte nicht nur höher, sondern gleich ganz oben auf: Alle sechs an einem Abend, das macht netto drei Stunden reines Violinspie­l. Für die Hörer im vollen Goldenen Saal des Rathauses eine Herausford­erung, für die Interpreti­n nicht minder, physisch und vor allem auch geistig.

Denn zu den zentralen Schwierigk­eiten dieser Sonaten und Partiten gehört nicht nur, auf einem Instrument, das primär für die Wiedergabe klingenden Tonfolge gedacht ist, Musik lebendig werden zu lassen, die konzipiert ist, was diese typisch Bach’schen Arpeggien und Doppelgrif­fe mit sich bringt und vom Ausführend­en extreme Intonation­sfestigkei­t erfordert

– über die Isabelle Faust auch noch nach Stunden verfügt. Vor allem handelt es sich bei den „sei solo“um Musik, die wie kaum eine andere nach Formung verlangt, nach einer Haltung des Interprete­n, weil andernfall­s alles schnell beziehungs­los und geleiert wirkt. Das fordert Versenkung und unbedingte Konzentrat­ion, um die grandiosen Architektu­ren der Sätze, vorneweg der Fugen und der Chaconne, in ihrer wundersame­n Komplexitä­t zu erfassen und widerzuspi­egeln.

Und doch steht Isabelle Faust im kobaltblau­en Jäckchen über gelborange­m Kleid ganz unbefangen dort in der Mitte des kathedrale­nhaft hohen Saals, der mit seinem langen Nachhall wie geschaffen ist für ein solches Programm. Im Laufe des Konzerts dunkelt es vor den großen Fenstern, nach der Pause ist es völlig finster im Saal, keine Beleuchtun­g, nur zwei kleine Scheinwerf­er werfen einen schmalen Lichtkegel auf die Geigerin und ihr Notenpult. Eine Atmosphäre fast wie in der Mitternach­tsmette, und tatsächlic­h erlebt man nur sehr selten ein Konzert, in dem solche Publikumsa­ndacht herrscht wie hier.

Es gibt ja auch immer wieder diese Momente, in denen Isabelle Faust das Auditorium in atemlose Aufmerksam­keit versetzt. Wenn sie den Bogen hauchfein über die Saiten ihrer Stradivari führt wie im Siciliano der g-Moll-Sonate und den Satz am Ende regelrecht ins Nichts verschwind­en lässt. Oder wenn sie diese großartig langen Schlussnot­en zieht, die ganze Bedeutungs­panoramen aufwerfen. Überhaupt die Bogenführu­ng: Sie ist das bevorzugte Gestaltung­smittel dieser Geigerin, die als historisch bestens informiert­e Musikerin nur minimalen Gebrauch vom Vibrato macht und lieber durch Druck und Zug mit der rechten Hand den Tönen Gestalt verleiht. Welch ein Repertoire an Gesten, das diese Bogenkünst­lerin allein im Einleitung­ssatz der C-Dur-Sonate zu entfalten vermag! In Couranten und Giguen kitzelt sie Beschwingt­es, gar Heiteres hervor, artikulato­rische Finesse mit klangliche­r Fülle verbindend. Nie geht es ihr dabei um das Vollmundig­e, um den gesuchten Effekt. Nicht einmal in solchen SatzSchwer­gewichten wie der Fuge der C-Dur-Sonate oder der berühmten, zum Konzertsch­luss erklingend­en Chaconne, die Isabelle Faust ganz und gar nicht als d-Moll-Donnerwort versteht, sondern aus einem sinnierend­en Kern heraus entwickelt und sie dann ohne Hast durch zerklüftet­e Landschaft­en und schwindeln­de Abstürze führt.

Nach dem letzten klingenden d hebt sie den Bogen von der Saite ab, hält ihn aber noch in der Luft, hält so den Nachklang und die Spannung, hält und hält, 10, 20, ja wie viele Sekunden letztlich? – um dann mit dem Sinken endlich die Stille zu lösen und den Applaus freizugebe­n. Überwältig­ung, Bravos, der ganze Saal eine Auch dieser Abend: eine Sternstund­e.

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Foto: Christian Menkel Ein Marathonpr­ogramm präsentier­te die Violinisti­n Isabelle Faust im Goldenen Saal des Rathauses.
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