Der lange Weg vom Armenhaus zum modernen Krankenhaus
Stadtgeschichte Vor rund 70 Jahren wirkte noch ein „Bader“als „Chirurg“in Bobingen. Heute bietet die Wertachklinik moderne Medizin. Zugleich ist sie wirtschaftlich und fachlich ein Vorzeigemodell. Ein Jubiläum steht an
Das Krankenhaus an der Wertachstraße in Bobingen wird in diesem Sommer 50 Jahre alt. Heimatforscher Georg Fritz kennt auch seine lange Vorgeschichte. Er hat diesen Bericht über die Entwicklung der Krankenversorgung in Bobingen zusammengestellt. Das Fazit: Es ist noch gar nicht lange her, da war eine medinische Versorgung, wie sie heute selbstverständlich ist, in Bobingen völlig undenkbar. Bobingen Die Gesundheit ist das höchste Gut eines Menschen. Im Krankheitsfall ist er auf die Hilfe von Angehörigen, sozialen Einrichtungen und Ärzten angewiesen. Die Kosten werden in der Regel von Krankenversicherungen übernommen. Das war aber nicht immer so. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in einem Dorf wie Bobingen kein Krankenhaus, keinen Arzt und keine Apotheke. Im Krankheitsfall sorgten Familienangehörige – bei den Knechten und Mägden die Bauern – für die Pflege der Kranken. Wer keinen ständigen Arbeitgeber hatte, war bei längerer Krankheit ohne jegliches Einkommen. Armut war die zwangsläufige Folge. Es gab zu dieser Zeit auch noch keine Arbeitslosenversicherung. Mittellose und kränkliche Dorfbewohner wurden im gemeindlichen Armenhaus untergebracht.
Zwei Häuser für die Armen
In Bobingen gab es zwei Armenhäuser. Das Erste befand sich im ehemaligen Turm an der Westseite des Kirchhofs, das Zweite in der Lindauer Straße 27 (abgetragen 1962). Beide Armenhäuser hatten feuchte Wände und befanden sich allgemein in einem schlechten Zustand. Wasser gab es nur aus einem Pumpbrunnen im Hof.
Die Bader brachten Fortschritt
Der Beruf des Baders hat seinen Ursprung im Mittelalter. Anfangs bot dieser Reinigungsbäder an – daher sein Name. Nach und nach kam eine Reihe weiterer Tätigkeiten hinzu: Rasieren, Haare schneiden, Glieder einrenken, gebrochene Arme und Beine schienen, Patienten zur Ader lassen, Warzen und Hühneraugen entfernen, Wunden verbinden und Zähne ziehen. So wurde der Beruf des „Baders“zu einem angesehenen Handwerksberuf mit einer Lehrzeit von drei bis vier Jahren. Manche Bader nannten sich dann auch „Chirurg“. In Bobingen war Josef Kitzinger (1891–1966) der letzte Bader. Er übte sein Handwerk bis Ende der 1950er-Jahre aus. Wie aus Einnahmeaufzeichnungen hervorgeht, verlangte er z.B. 1942 für das Ziehen eines Zahnes 65 Pfennige. Eine Betäubungsspritze gab es dafür natürlich nicht. Wenn Kitzinger einen Zahn zog, mussten seine Angestellten im Friseursalon nebenan ihren Kunden die Ohren zuhalten, damit sie das laute Schreien nicht hörten.
Die Zahl der niedergelassenen Ärzte auf dem Land war bis ins 20. Jahrhundert hinein gering. Für die Bediensteten gab es zwar seit 1883 eine Krankenversicherung, die Selbstständigen – in Bobingen fast ausschließlich Bauern und Handwerker – mussten aber für ihre Arztkosten selber aufkommen. Man versuchte deshalb, einen kranken Angehörigen daheim mit Hausmitteln gesund zu pflegen. Gelang dies nicht, so suchte man zunächst Hilfe bei einem Bader. Erst wenn das auch nichts half, ging man zum Arzt. Ein Beispiel aus dem Ausgabenbuch des Landwirts Anton Kohler: Seine Ausgaben betrugen 1892 für den Arzt Dr. Müller 2,70 Mark, für den Tierarzt aber 11 Mark.
Das erste Krankenhaus
Wegen des schlechten Bauzustandes der beiden Armenhäuser kaufte die Gemeinde Bobingen 1858 das Haus des Händlers Johann Kantmann in der Lindauer Straße 31. Es sollte als Armen- und Krankenhaus genutzt werden. 18 Betten für Kranke wurden aufgestellt und eine Wohnung für den „Krankenpfleger“eingebaut. Im Erdgeschoss befanden sich Gemeinschaftsräume, im Obergeschoß drei kalte und drei heizbare Zimmer und im Dachgeschoß sechs Schlafkammern für die Armen. Man kann ab diesem Datum vom ersten Bobinger Krankenhaus sprechen, wenngleich am Anfang noch die Mehrheit der Bewohner Arme waren. Das Haus wurde aber mit der Zeit mehr und mehr zum reinen Krankenhaus.
Ein Gesetz vom 29. 4. 1869 verpflichtete die Gemeinde, Dienstboten, Gehilfen, Gesellen und Lehrlinge bei Erkrankung 90 Tage zu verköstigen und während dieser Zeit die ärztlichen Leistungen und die Medikamente zu bezahlen. Am 1. 2. 1883 wurde das Armen- und Krankenhaus daher zum Dienstbotenkrankenhaus erklärt. Der praktische Arzt Dr. Gustav Müller (1844– 1906) erhielt für die Betreuung der Patienten 200 Mark jährlich. Operationen wurden gesondert vergütet. Dr. Müller war der erste Arzt mit akademischer Ausbildung in Bobingen. Er hatte seine Praxis in der Hochstraße 48. Sein Nachfolger war Dr. Franz Medicus.
versorgte das Haus nur noch einen Obdachlosen, aber 18 Kranke, sodass man spätestens ab diesem Jahr von einem reinen Krankenhaus sprechen kann. Die Zahl der zu versorgenden Kranken stieg dann rasch an: 1906 auf 30 Patienten, 1918 waren es schon 239.
Dr. Medicus befürchtete schon damals einen weiteren starken Anstieg der Patientenzahlen, nicht zuletzt wegen der immer größer werdenden Fabrik und dem damit verseinen bundenen Anwachsen der Einwohnerzahlen. Er mahnte auch den schlechten Bauzustand des Krankenhauses an: Feuchte Wände, kein fließendes Wasser, nur ein reparaturbedürftiger Brunnen und die Kanalisation fehlte ganz. Dr. Medicus forderte deshalb schon 1919 den Neubau eines Krankenhauses, der aber erst 1953 erfolgte.
Die Betreuung der Patienten im Krankenhaus wurde lange Zeit von zwei Krankenpflegerinnen (Felizi1905 tas Häring und Walburga Schaller) übernommen. Die steigende Patientenzahl erforderte jedoch später eine Aufstockung des Pflegepersonals. Am 10. 8. 1906 schloss die Gemeinde deshalb mit dem Mutterhaus der Franziskanerinnen in Dillingen einen Vertrag ab, der die Entsendung von Schwestern als Pflegekräfte zum Inhalt hatte. Drei Ordensschwestern und eine Kandidatin kamen ins Bobinger Krankenhaus. Sie erhielten eine jährliche Entlohnung von 120 Mark, freie Wohnung und Verköstigung. Dafür mussten sie neben der stationären und ambulanten Krankenpflege auch kochen, reinigen und waschen. Hinzu kam die Verpflichtung, in der Volksschule Handarbeitsunterricht zu erteilen. Die Bezahlung der Schwestern erfolgte u. a. durch den 1906 gegründeten „Verein für ambulante Krankenpflege“. Mit der Erweiterung der Kapazitäten des Bobinger Krankenhauses erhöhte sich auch die Zahl der Ordensschwestern. Es wurde schließlich notwendig, auch weltliche Schwestern einzustellen. Sie waren bald in der Überzahl.
Eine besondere Bekanntheit und Beliebtheit erlangte die Franziskanerschwester Alena (Lehner). Sie war von 1924 bis 1968 mit ihrem Fahrrad in Bobingen unterwegs und pflegte ihre kleinen und großen Patienten. Schwester Alena verfügte über ein breites heilkundiges Wissen. Nicht wenige schätzten ihre „Heilkünste“höher ein als die des Arztes.
Am 31. 12. 1998 zog das Mutterhaus der Franziskanerinnen aus ordensinternen Gründen seine Schwestern aus dem Bobinger Krankenhaus ab.
Das private Entbindungsheim
Lange Zeit (von 1913 bis 1934) gab es in Bobingen ein Privatentbindungsheim. Es wurde von Maria Bader (später verheiratete Hartmann) betrieben und befand sich im Haus Nr. 249½ (später Lindauer Straße 38). Sie war eine angesehene Hebamme. Viele Bobinger hat sie zur Welt gebracht.
Das zweite Krankenhaus
Der Bau eines neuen Krankenhauses wurde über Jahrzehnte hinweg immer wieder zum Thema. 1933 erwarb die Gemeinde Bobingen das Untere Schlössle. Ein Architekt sollte prüfen, ob es zu einem Krankenhaus umgebaut werden könne. Das Vorhaben scheiterte.
Nach dem Krieg stieg die Einwohnerzahl von 3609 (1939) auf 6001 (1946). Die Krankenhausfrage bekam neue Dringlichkeit. 1947/48 überlegte man, die Wohnhäuser der „D.A.G. Bobingen“(Greifstraße 12 bis 14/Ecke Koloniestraße) in ein Krankenhaus umzubauen. Doch auch dieser Plan fand keine breite Zustimmung.
1953 kam es dann zum Bau eines neuen Krankenhauses in der Lindauer Straße 31 östlich vom Altbau – mit 44 Betten. Es bekam die zur damaligen Zeit übliche Ausstattung: Zum Beispiel septischer und aseptischer Operationssaal, Sterilisierraum, Entbindungsstation, Röntgenstation und Laborraum. Zur Verwertung der Essensreste wurden Schweine gehalten.
Schon wenige Jahre später wurde das neue Krankenhaus schon wieder zu klein. Es musste 1957/58 auf 60 Betten erweitert werden. Auch Schwesternwohnungen kamen dazu. Es war zuvor zu einem Konflikt mit dem Mutterhaus der Schwestern gekommen, weil diese nach dem Neubau 1953 weiterhin im alten, feuchten und nicht mehr beheizbaren Altbau wohnen mussten. Das Mutterhaus hatte mit dem Abzug der Schwestern gedroht. Das alte Haus wurde schließlich 1958 abgetragen.
Aber schon nach wenigen Jahren stieg die Einwohnerzahl erneut stark an. Waren es zur Zeit des Erweiterungsbaues 1957 noch 6738 Einwohner, so stieg die Zahl bis 1964 auf 8531. Zusätzlich kamen aus den Nachbargemeinden immer mehr Patienten nach Bobingen.
Der Neubau an der Wertach
Man entschied sich deshalb 1964 für einen Neubau in den Wertachauen. Der Landkreis beteiligte sich mit einer hohen Summe an den Baukosten. Am 2. 8. 1969 konnte das neue Krankenhaus mit 164 Betten eingeweiht werden. Es war einer der Faktoren, der Bobingen in diesen Tagen zur Stadterhebung verhalf.
Das alte Haus wurde als Seniorenheim weitergeführt. Stadt und Landkreis konnten auf das hohe Niveau des neuen Krankenhauses stolz sein. Heuer wird das Krankenhaus 50 Jahre alt. Es konnte aber die vielen Jahre hindurch stets auf dem gewohnt hohen Standard im ärztlichen, pflegerischen und medizintechnischen Bereich gehalten werden. Der Zusammenschluss mit dem Schwabmünchner Krankenhaus zu den „Wertachkliniken“am 1.7.2006 war ein weiterer Schritt zur bestmöglichen Versorgung der Patienten. Die Fusion sicherte den Weiterbestand und gab dem Kommunalunternehmen eine wirtschaftliche Basis. Der Wunsch der Menschen, möglichst gesund zu bleiben, wird immer das wichtigste Lebensziel sein. Das Krankenhaus hilft dabei.