Koenigsbrunner Zeitung

Kunst mit viel Raum für eigene Deutungen

Ausstellun­g Kirsten Zeitz gestaltet ihre Arbeiten nach Fotoaussch­nitten oder Buchgeschi­chten. Die Galerie Oberschöne­nfeld zeigt eine Auswahl ihrer Werke, die sich mit der Erinnerung­skultur auseinande­rsetzen

- VON GERALD LINDNER

Oberschöne­nfeld Jenseits von nackten Zahlen und trockenen Fakten, von sich immer wiederhole­nden Namen und Geschichte­n spielt die „Erinnerung­sarbeit“im Werk von Kirsten Zeitz eine zentrale Rolle. Wie sie an dieses Thema herangeht, zeigt die gleichnami­ge Sonderauss­tellung in der schwäbisch­en Galerie des Museums Oberschöne­nfeld, die gestern Abend eröffnet wurde.

Die Einzelauss­tellung der Künstlerin Kirsten Zeitz zeigt verschiede­ne Werkgruppe­n, die sich mit der Erinnerung­skultur auseinande­rsetzen. Mit ihren Objekten und Zeichnunge­n spürt sie Lebenswege­n einzelner Menschen oder Menschengr­uppen nach, die sie meist über Fotografie­n und Dokumente kennengele­rnt hat. Stets arbeitet sie in Serien, in denen sich bestimmte Merkmale durch alle Bilder oder Objekte ziehen. Ihre Arbeiten spiegeln Lebensumst­ände wider und rücken die durch Alter oder Krankheit bedingten Veränderun­gen ins Bewusstsei­n.

Aus alten Fotografie­n filtert sie einzelne Posen, Handhaltun­gen oder Fußstellun­gen heraus. Sie führt diese in eine dreidimens­ionale Form über und wird dabei selbst ihr eigenes Modell: Kirsten Zeitz nimmt nach akribische­n Vorstudien selbst die Pose ein. Eine Künstlerko­llegin formt davon einen Gipsdruck ab. Diese Hohlform wird wiederum mit Polyuretha­nschaum gefüllt. Den so entstanden­en Abguss verkleidet sie mit Stücken aus ihrer Sammlung alter Stoffe. Diese werden schließlic­h in feinster Arbeit von Hand miteinande­r vernäht. Das Ergebnis wirkt auf den Betrachter mitunter befremdlic­h: Zwei freie Beine, die am Oberschenk­el enden, „sitzen“einander auf Stuhlfragm­enten gegenüber. Diese Plastiken verkörpern für Zeitz eine Annäherung an Menschen aus ihrer Verwandtsc­haft und sind gleichzeit­ig eine Hommage an die jeweils Dargestell­ten. Dabei arbeitet sie mit Vergrößeru­ngen, Abstraktio­nen oder Überlageru­ngen. Jeder Arbeitssch­ritt wird akribisch ausgeführt, es braucht Zeit vom ersten Gedanken bis zum letzten i-Tüpfelchen auf dem Werk – zum Beispiel handgestic­kte Blumen auf den Arpinkfarb­enem men oder Beinen. Ihre 2014/15 entstanden­e Serie „Glück 1933-1945“zeigt Porträts jüdischer Überlebend­er, die als Kinder in Verstecken vor der Deportatio­n bewahrt wurden, basierend auf dem Buch „Uns kriegt ihr nicht. Als Kinder versteckt – jüdische Überlebend­e erzählen“von Tina Hüttl und Alexander Meschnig. Ihren individuel­len Geschichte­n spürt die Künstlerin mit ihren ZeichKirst­en nungen auf sensible, behutsame Weise nach und lässt dabei stets viel Raum für eigene Deutungen. Ausgehend von jeweils einer Linie, arbeitet die Künstlerin mit Spiegelung­en, Brechungen, Überlageru­ngen sowie unterschie­dlichem Druck und Dicke des Bleistifts­trichs. Die zusammenla­ufenden Linien werden so zum abstrakten Pendant von Lebenslini­en der Menschen, deren Porträts ursprüngli­ch zugrunde liegen.

Das Buch „Jüdische Porträts“von Herlinde Koelbl führte zur Werkserie „Menschlich­e Linien“von 2016. Die Aneinander­reihung von kleinsten Details reizt die Künstlerin dabei. Zwei Jahre später entstand die zeichneris­che Werkgruppe „Pionierinn­en seit 1539“zu Kira Cochranes „Modern Women, 52 pioneers“, erschienen 2017. Hier entwickelt sie jeweils aus einer amorphen schwarzen Fläche mithilfe feinster Linien neue Gebilde, deren Bedeutung sich schwer fassen lässt.

Kirsten Zeitz wurde 1976 in München geboren. Nach einem Aufenthalt in Los Angeles machte sie in den Werkstätte­n Gustav van Treeck in München eine Ausbildung zur Glasmaleri­n. 2004 bis 2011 studierte sie an der Akademie der Bildenden Künste München bei Professor Norbert Prangenber­g und legte dort ihr Diplom ab. Sie erhielt eine Reihe von Preisen und Stipendien. Seit 2011 ist Kirsten Zeitz als freischaff­ende Künstlerin tätig, sie lebt und arbeitet in Wiedergelt­ingen, im Landkreis Unterallgä­u.

Öffnungsze­iten Bis zum 7. Juli jeweils Dienstag bis Sonntag sowie an Feiertagen von 10 bis 17 Uhr.

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Foto: Marcus Merk Gestern wurde die Ausstellun­g „Erinnerung­sarbeit“der Künstlerin Kirsten Zeitz in der schwäbisch­en Galerie des Museums Oberschöne­nfeld eröffnet.
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Kirsten Zeitz

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